Für eine Wuchtel ist Gorden Wagener stets zu haben. Da hat der sympathische Daimler-Design-Oberguru doch tatsächlich eine Hommage aus dem Hut gezaubert: eine an die Geschichte der Marke Mercedes. Eben noch hat er auf der IAA den EQS präsentiert, der auf eine 2021 kommende batterieelektrische S-Klasse verweist, und zwei, drei Tage später dies: Vision Mercedes Simplex. Dass ihn bei der Enthüllung die tiefstehende Sonne blendet, dass ihm die hochsommerlichen Temperaturen den Schweiß auf die Stirn treiben, all das kann seine gute Laune nicht trüben.

Daimler-Designchef Gorden Wagener, ein lockerer Herr, man kann ihn inzwischen auch als charismatisch bezeichnen, hat es getan: Zur Eröffnung des neuen Studios ward die "Vision Mercedes Simplex" enthüllt.
Foto: Daimler

Und er hat ja gut lachen. Denn einerseits hat er bewiesen, dass er mit analytischem Gespür (Was bedeutet moderner Luxus? Wie stelle ich die Submarken auf?) und enormem gestalterischem Talent der Marke zu einem nie dagewesenen Höhenflug verholfen hat. Wageners Design der klaren, prägnanten Rundformen zieht sich inzwischen über fast alle Baureihen. Es kommt an, ja, wird regelrecht zum Absatzturbo. Zum anderen bedeutet Stillstand Rückschritt, deshalb werden jetzt die nächsten Stufen gezündet. Eine davon ist das neue Designstudio in Sophia Antipolis, dem Technologie- und Wissenschaftspark an der Côte d'Azur, eine andere das Weiterdenken der Philosophie der "sinnlichen Klarheit".

Hauptziel: Mercedes soll vom Premiumhersteller zur beliebten, ja: geliebten Marke werden, zur "meistgeliebten Luxusmarke" gar, die Deutschen gehen gewissermaßen auf Schmusekurs mit ihrer Kundschaft.

Der soeben eröffnete neue, zusätzliche Gestaltungsstandort ist wie die Ableger in USA und Asien mit dem zentralen Studio in Deutschland eng vernetzt. Früher saß in dem Bau ein Computerspielkrösus, dann stand es leer, Mercedes hat es in zwei Jahren (Um-)Bauzeit zum Design Studio Europa adaptiert, es beherbergt viel Technik und 40 Designer, und die richten ihre Antennen obendrein auf den Lebensstil in Südfrankreich aus, um allfällige relevante Trends bei Reich und Schön frühzeitig zu orten und in die Denke einzubringen, womöglich auch noch in Farben wie in Bildern von van Gogh.

Österreichbezug

Bestens hierher passt jedenfalls die besagte Simplex-Studie (als E-Mobil konzipiert, logisch), denn die Geschichte von Mercedes, die begann genau hier in dieser Region. Sattsam bekannt, dass der österreichisch-ungarische Konsul Emil Jellinek bei Daimler jene Simplex-Rennwagen bestellte, die den Namen seiner Tochter Mercédès trugen. Was Chefingenieur Wilhelm Maybach da allerdings konstruierte, war revolutionär. Bisher leiteten sich Automobile von Kutschen ab. Die Maybach-Entwicklung ließ diese Ära hinter sich, das moderne Auto war geboren – ein ähnlich umwälzendes Ereignis wie die anstehende Mobilitätswende zum E-Auto. Kehrt man mit Simplex zurück zu den Wurzeln, dann also auch deshalb, um einen noch stärkeren Stamm, eine noch prachtvollere Krone ausbilden zu können.

Wie es weitergeht, erläuterten Wagener und seine Designer im Workshop "Design Essentials II" in mehreren Stationen, und zwar hauptsächlich anhand der Überlegungen hinter dem EQS. Richtschnur, so Wagener, seinen die Markenwerte "Liebe, Leichtigkeit, Respekt und Vertrauen".

Und hier das Original. Na ja, eines davon. Ein Mercedes-Simplex aus Beständen des Hauses. Initiator: Konsul Emil Jellinek. Konstrukteur: Wilhelm Maybach.
Foto: Daimler

Blickt man solcherart vorbereitet in den EQS und spielt daneben von der zerebralen Festplatte das Interieur der S-Klasse ein, könnte der Kontrast größer kaum sein. Hie schwelgerische Opulenz, dort – EQS – extreme Reduktion, fast ein Bauhaus-Ansatz (passt wiederum zu dessen 100-Jahr-Jubiläum), aber eben auch sehr organisch mit diesen wunderbar fließenden, schwingenden Formen, angeregt vom Yachtbau.

Trendbeobachtung

Nähert man sich dem EQS und setzt sich hinein, erwacht er sukzessive zum Leben, heißt einen sanft über raffinierte Lichtinszenierung willkommen. Es tut sich ein neues Raumgefühl auf. Und von der immer komplexer werdenden Technik fühlt man sich nicht überfordert, da sich jeweils nur das meldet, was gerade gebraucht wird, der Rest schweigt stille. Selbst der Gedanke der Nachhaltigkeit kommt zum Tragen, beispielsweise in Form der schicken Mikrofaser Dinamica – rezykliert aus Altkleidung, Fahnen, Plastikflaschen. Sauber, sauber, Herr Wagener. (Andreas stockinger, 20.10.2019)