Spaß steht keineswegs in Widerspruch zur Ernsthaftigkeit des Klimathemas, ist Annie Sprinkle überzeugt. Sie und Beth Stephens sprechen am Sonntag beim Steirischen Herbst über "Ökosexuelle".

Foto: Beth Stephens, Annie Sprinkle

Annie Sprinkle und Beth Stephens verfassen ökosexuelle Manifeste, drehen Dokumentarfilme oder inszenieren erotisch aufgeladene Hochzeitsrituale mit der Erde. Performancekunst, die irritiert – und in der Tradition von Dada mit Tabus und dem Absurden spielt. Seit fast zwei Jahrzehnten leben und arbeiten Sprinkle und Stephens nun schon zusammen in San Francisco, Stephens lehrt an der University of California in Santa Cruz. "Mir ist wichtig, dass Beth auch zu Wort kommt", betont Sprinkle im Gespräch. Sprinkle ist es, die schon lange vor dem gemeinsamen "ökosexuellen" Projekt Berühmtheit erlangte: als Pornodarstellerin, die sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen einsetzte und sich erst später ganz der Kunst verschrieb. Beim Steirischen Herbst stellen die beiden feministischen Künstlerinnen ihr Konzept der Ökosexualität vor – eine "sexuelle Orientierung und aktivistische Strategie in Zeiten des Klimawandels".

STANDARD: Sie haben in Graz über Ihr ökosexuelles Konzept gesprochen. "We aim to make the environmental movement more sexy and fun", ist dazu auf Ihrer Website zu lesen. Darf Umweltschutz angesichts der Klimakrise überhaupt Spaß machen?

Stephens: Ja, wir wollen Spaß, und wir wollen die Bewegung sexy machen – aber auch diverser! Der Spaß steht keineswegs in Widerspruch zur Ernsthaftigkeit. Annie und ich waren auch mit sehr radikalen, seriösen Gruppen unterwegs, die in verschiedenen Regionen der USA gegen verschmutztes Wasser oder die Folgen des Kohleabbaus kämpfen. Aber ständig ernst und wütend sein zu müssen, das hält niemand lange durch. Wenn innerhalb einer Bewegung nicht auch Platz für Spaß ist, folgt das Burnout. Du wirst depressiv und hoffnungslos – viele politische Gruppen zerbrechen daran. Wir sagen also nicht, dass der Umweltschutz dauernd beschwingt und sexy sein muss, aber es muss auch Platz für den freudvollen Teil geben. Und den repräsentieren wir.

Sprinkle: Unser Zugang ist die Kunst, mit der wir neue Möglichkeiten erschließen. Aber wir brauchen ganz unterschiedliche Formen von Aktivismus. Ich habe großen Respekt vor Greta Thunberg. Eine sehr entschiedene junge Frau, die Menschen rund um den Globus verbindet. Es ist also nicht so, dass wir Ernsthaftigkeit nicht auch schätzen würden.

STANDARD: Aber Ihre Kunst zielt auf Absurdität, auf Parodie?

Stephens: Die Traditionen, auf die wir uns beziehen, sind Dada und Fluxus. Für unsere Kunst ist also der Entstehungsprozess, das Unfertige von zentraler Bedeutung. Wir wählen eine absurde Situation und kreieren dann ein absurdes Kunstprojekt und spiegeln so diese Absurdität. Nehmen wir etwa den neoliberalen Kapitalismus, der die Erde, unsere Lebensgrundlage, mit einem Tempo zerstört, wie es kaum vorstellbar erschien. Für viele Menschen bedeutet das Leid, Schmerz, es bedeutet Trauer. Mit unserer Verbindung von Kunst und Aktivismus versuchen wir Menschen auf eine andere Art zu erreichen. Darüber machen sich JournalistInnen auch gerne mal lustig, sie ziehen uns ins Lächerliche, aber damit können wir leben.

STANDARD: Ist die Ökosexualität, bei der die Natur zur Geliebten wird, auch ein solch absurdes Konzept, oder ist die ökosexuelle Identität für Sie persönlich tatsächlich mit erotischem Erleben verbunden?

Stephens: Hatten Sie schon einmal Sex im Freien oder sind nackt in einem Fluss geschwommen? Dann kennen Sie die Antwort. Nackt in der Sonne zu liegen, den Wind nach dem Schwimmen auf der Haut zu spüren ist sehr erotisch.

Sprinkle: Oder Bäume und Pflanzen zu riechen. Ein kaltes Glas Wasser an einem heißen Tag zu trinken – auch das kann erotisch sein. Viele Menschen verstört diese Idee, etwas in der Natur mit Erotik aufzuladen, regelrecht. Aber ich denke, die meisten haben schon sinnliche Erfahrungen außerhalb menschlicher Zusammenhänge gemacht, sie sind sich dessen nur noch nicht bewusst geworden. Das Wort Ökosexualität haben auch gar nicht wir erfunden, das existierte schon, Menschen haben es beispielsweise beim Onlinedating verwendet, um ihre sexuelle Identität zu beschreiben. Wir haben allerdings die "Sexocology" kreiert, wir interessieren uns für all die Überschneidungspunkte von Sexualität und Ökologie. Sexualität spielt im Grunde in jedem Lebensbereich eine wesentliche Rolle.

Stephens: In der christlichen und jüdischen Tradition ist es ja überhaupt ein Tabu, erotische Gefühl außerhalb der Ehe, der monogamen Zweierbeziehung zu haben – da wollen wir noch gar nicht an eine Wolke oder einen Baum denken. Mit solchen Tabus spielen wir. Aber es geht auch ganz grundsätzlich darum zu sagen: Menschen stehen nicht über den Dingen, es gibt keine Hierarchie der Lebewesen, wir alle sind miteinander verbunden.

STANDARD: Sie sind auch angetreten, um "Mutter Erde" in eine Liebhaberin zu verwandeln. Wie verändert sich die Perspektive, wenn die Erde nicht mehr nährende und schützende Mutter ist?

Sprinkle: Für uns ist die Erde nicht mehr nur Mutter, sie ist Schwester, Geliebte, queer, trans. Wir verleihen ihr menschliche Qualitäten, um unsere Beziehung zu ihr zu stärken, und entziehen sie zugleich starren Kategorien. "Mutter Erde" wird traditionell als Frau imaginiert, sie wird verdinglicht, ausgebeutet, missbraucht. Wir zerstören den Planeten, beuten seine Ressourcen aus und bauen weiterhin darauf, dass Mutter Erde sich schon um uns kümmern wird. Aber diese Mutter kann auch grausam sein und wird keine Gnade kennen, denken wir nur an Erdbeben, an Fluten und Hurrikans. Wir hoffen, dass wir Menschen an sinnliche, an engere Beziehungen zur Erde heranführen, damit sie sie wertschätzender und respektvoller behandeln.

STANDARD: Ihre Beziehung zur Erde haben Sie weiter vertieft, indem Sie eine Ehe mit ihr eingegangen sind.

Sprinkle: Ja, wir haben 2008 diese Hochzeit gefeiert und fühlen uns seither dem Umweltschutz noch mehr verpflichtet. Auf unseren ökosexuellen Hochzeiten haben wir dann an verschiedenen Orten weitere Elemente zelebriert, auf dem Donaufestival in Krems haben wir uns mit dem Erdreich vermählt. Es war eine großartige Performance mit großartigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Überhaupt war Österreich sehr wichtig für unsere künstlerische Entwicklung. Unser Stück "Dirty Sexocology" haben wir im Kosmos-Theater in Wien aufgeführt und weiterentwickelt, was uns schließlich zur Documenta geführt hat – dem Höhepunkt unserer künstlerischen Karriere. Barbara Klein, die damalige Intendantin des Theaters, war unglaublich unterstützend. Und ohne Beth würde ich überhaupt keine Kunst mehr machen, sie ist meine Muse.

Stephens: Sie ist auch meine Muse. Annie ist verrückter als ich, sie inspiriert mich. Ohne sie würde ich bestimmt langweilige, konventionelle Kunst machen. Ihre FreundInnen aus dem Pornogeschäft machen außerdem wesentlich mehr Spaß als meine FreundInnen von der Universität.

STANDARD: Annie, Sie sind eine sexpositive feministische Pionierin, Sie haben sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen eingesetzt, für eine Enttabuisierung von Sexualität und Selbstbestimmung gekämpft. Sexuelle Selbstbestimmung und Body Positivity sind heute unter jungen Feministinnen erneut wichtige Schlagwörter, in sozialen Medien wird über die unterschiedliche Form von Vulvalippen ebenso wie über Menstruationsblut und queere Pornografie diskutiert. Ist der sexpositive Feminismus eine Erfolgsgeschichte?

Sprinkle: Nun, seit ich in dem Feld aktiv bin – und das ist wirklich schon lange her, 1973 –, sehe ich große Fortschritte ebenso wie große Rückschläge. In den sozialen Medien, aber auch auf den Laufstegen der New York Fashion Week sehen wir endlich unterschiedliche Körperformen, wir sehen Frauen mit Behinderung, mit unterschiedlicher Hautfarbe. Unternehmen bringen endlich auch Produkte für dicke Frauen auf den Markt. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass Fatshaming nicht nach wie vor ein großes Problem wäre. Ein besonders großes Problem in den USA ist aktuell das Thema Abtreibung. Erkämpfte Rechte werden beschnitten, es wird versucht, Kontrolle über die Körper von Frauen zu erlangen.

Stephens: Und das spielt sich nicht nur hierzulande ab. Wir erleben aktuell eine weltweite faschistische Bewegung, die Frauen über die Kontrolle der Körper wieder auf ihren Platz verweisen will. In den USA wurde der Kampf für das Recht auf Abtreibung praktisch in die 50er-Jahre zurückkatapultiert.

Sprinkle: Ich sehe außerdem wieder eine wachsende Anti-Pornografie-Bewegung, die Thesen von Andrea Dworkin werden wiederentdeckt, die Rechte von Sexarbeiterinnen attackiert. Sexpositive Feministinnen können sich also keineswegs zurücklehnen. (Brigitte Theißl, 5.10.2019)