Premier Giuseppe Conte und Finanzminister Roberto Gualtieri tüfteln an einem Budget, das Brüssel nicht vor den Kopf stoßen soll.

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Rom – Die neue Regierung unter dem alten Premier Giuseppe Conte hatte bei ihrem Amtsantritt vor vier Wochen ein Versprechen gemacht: Die mit der EU vorsorglich vereinbarte Erhöhung der Mehrwertsteuer von 22 auf 25 Prozent zur Begrenzung der Neuverschuldung soll vermieden werden. Dieses Versprechen wird die Regierung halten: Im Staatshaushalt 2020 sei keine solche Maßnahme geplant, betonte Conte bei der Vorstellung der neuen Wirtschaftszahlen, welche die Grundlage der Haushaltsplanung bilden werden. Wegen des Verzichts auf die Mehrwertsteuererhöhung werden im neuen Haushalt 23 Milliarden Euro Einnahmen fehlen; das Defizit wird deshalb im kommenden Jahr mit 2,2 Prozent höher ausfallen als geplant.

Normalerweise würden die Haushaltsexperten in Brüssel bei einem derartigen Fehlbetrag wohl die Augenbrauen hochziehen: Italien missachtet seit Jahren sämtliche Vorgaben der EU-Kommission zum schrittweisen Abbau der horrenden Staatsverschuldung (insgesamt rund 2,4 Billionen Euro) und wird es auch im kommenden Jahr wieder tun. Doch diesmal dürfte das erneute Verfehlen der Ziele in Brüssel statt zur Drohung mit einem Defizitverfahren zu einem allgemeinen Aufatmen führen: Noch vor wenigen Wochen hatte der damals starke Mann in Rom, Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini, eine Steuersenkung auf einen Einheitssatz von 15 Prozent angekündigt. Dies hätte das Defizit und die Staatsverschuldung explodieren lassen – und möglicherweise eine neue Schuldenkrise oder sogar einen Italexit, also einen Austritt Italiens aus dem Euro, zur Folge haben können.

Zugedrücktes Auge

Nach dem selbstverschuldeten Sturz Salvinis und der Vereidigung der neuen Regierung aus Sozialdemokraten und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung ist diese Szenario nun vom Tisch. Der neue Wirtschafts- und Finanzminister Roberto Gualtieri zeigte sich deshalb zuversichtlich, dass die Brüsseler Haushaltshüter ein Auge zudrücken und dem neuen Haushaltsentwurf nach einem "konstruktiven Dialog" zustimmen werden. Tatsächlich dürfte die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen wenig Interesse daran haben, die Regierung in Rom zu einer Steuererhöhung oder schmerzhaften Kürzungen zu zwingen: Das wäre bloß willkommene Wahlkampfmunition für Salvini, der seit seinem Sturz an seinem Comeback arbeitet und nur darauf wartet, dass die neue Regierung stolpert.

Zur Ankurbelung der stagnierenden Wirtschaft plant die Regierung im neuen Haushaltsgesetz eine geringfügige Senkung der Lohnnebenkosten. Auch die Einführung eines staatlichen Mindestlohns wird ins Auge gefasst. Die dadurch verursachten Mehrkosten sollen durch eine verstärkte Bekämpfung der Steuerhinterziehung finanziert werden. Konkret soll im Rahmen eines "Pakts mit den Ehrlichen" das Bezahlen durch Bank- oder Kreditkarte anstelle der Barbezahlung der Schattenwirtschaft ein Riegel vorgeschoben werden. Weitere Einsparungen von rund sechs Milliarden erhoffen sich Conte und Gualtieri bei den Zinsen: In Rom rechnet man damit, dass die neuerdings wieder berechenbare Finanzpolitik zu einer weiteren Senkung der Risikoaufschläge auf den Staatsschulden führen wird.

Kein Schuldenabbau

Gualtieri räumte ein, dass der geforderte Schuldenabbau im kommenden Jahr "auf jeden Fall" ausbleiben werde. Mehr noch: Wegen der noch von der vorherigen Regierung eingeführten Frühpensionierung und des Grundeinkommens sowie einer neuen Berechnungsmethode seitens der europäischen Statistikbehörde Eurostat wird der Schuldenstand im nächsten Jahr von 133 auf über 135 Prozent des BIP klettern. Gemäß dem Maastricht-Vertrag dürfte die Staatsverschuldung eigentlich nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen. Italien ist nicht der einzige Sünder: In der Eurozone beträgt die durchschnittliche Verschuldung 86 Prozent des BIP. (Dominik Straub aus Rom, 1.10.2019)