Trotz eines Demonstrationsverbots am 70. Jahrestag der Volksrepublik China ist es am Dienstag in Hongkong erneut zu Zusammenstößen gekommen. Die Polizei setzte Tränengas und Pfefferspray ein, um Demonstranten auseinanderzutreiben. Dabei hat die Polizei erstmals auch scharfe Munition eingesetzt – und einen Mann angeschossen.
Die Polizei bestätigte, dass ein Beamter auf einen Demonstranten geschossen hat. Er habe in Notwehr gehandelt, hieß es. Laut "South China Morning Post" soll der Polizist mindestens fünf Pistolenschüsse abgefeuert und dem Mann in die Brust geschossen haben. Zuvor sollen zwei Warnschüsse abgegeben worden sein, nachdem Polizisten von einer Gruppe Demonstranten angegriffen worden waren. Eine Polizeiquelle bestätigte der BBC gegenüber den Bericht.
Der 18 Jahre alte Demonstrant ist in einem "stabilen Zustand". Das teilte die Krankenhaus-Behörde in Hongkong am Mittwoch auf Nachfrage mit. Wie die Hongkonger Zeitung "South China Morning Post" berichtete, wurde bei einer Operation ein Projektil aus seiner Brust entfernt.
15 Verletzte
Laut einer Mitteilung der Krankenhausverwaltung sind bisher 15 Menschen verletzt worden. Einer davon befinde sich in kritischem Zustand. Details nannte sie nicht. Die Polizei reagierte zunächst nicht auf die Bitte um eine Stellungnahme. Sie hat eingeräumt, bei früheren Zusammenstößen mit scharfer Munition in die Luft geschossen zu haben.
Anhänger der Demokratiebewegung waren zuvor in mehreren Stadtteilen auf die Straße gegangen. Laut Nachrichtenagenturen blockierten Aktivisten Straßen, warfen Pflastersteine, legten Feuer und warfen Brandsätze. Die Sicherheitskräfte erklärten, Protestierende hätten mit einer ätzenden Flüssigkeit mehrere Beamte und Reporter verletzt. Die Beamten setzen Tränengas, Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer ein. Bereitschaftspolizisten brachten sich an der Vertretung Pekings in Hongkong in Position.
Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen hatten in der Früh die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Staatsgründung begonnen. Abgeriegelt von der Öffentlichkeit, verfolgten geladene Gäste im Messezentrum in Hongkong eine Zeremonie, die in die geschlossenen Räume übertragen wurde. Eine Ehrengarde hisste die Nationalflagge an der goldenen Bauhinien-Statue, einem Wahrzeichen der früheren britischen Kronkolonie. Zwei Helikopter mit einer großen chinesischen und einer kleineren Hongkonger Fahne flogen über den Hafen entlang der Hongkonger Skyline.
"Nationaler Trauertag"
Währenddessen zogen Demonstranten durch die Stadt. "Freiheit für Hongkong" und "Hongkong, gib Gas" riefen die zumeist schwarz gekleideten Demonstranten am Dienstag. Viele versteckten ihre Gesichter auf dem Weg durch die Innenstadt hinter Masken. Auch die Hymne der Protestbewegung wurde bei dem zunächst friedlichen Marsch angestimmt. Immer mehr Menschen strömten nach, um sich anzuschließen.
Eine Gruppe Demonstranten skandierte: "Keine Nationalfeier, nur ein nationaler Trauertag." Zugleich forderten die Demonstranten die Freilassung von Aktivisten, die bei jüngsten Auseinandersetzungen mit der Polizei festgenommen worden waren. Laut Polizei wurden allein am Vorabend des kommunistischen Jahrestags fünf Menschen festgenommen, die unter anderem Brandsätze bei sich gehabt haben sollen.
Anhänger der Demokratiebewegung hatten angekündigt, den Jahrestag der Gründung der Volksrepublik nutzen zu wollen, um ihren Anliegen auf der Straße Nachdruck zu verleihen. Die Staatsmacht hatte einen Demonstrationszug am Feiertag verboten und sich zugleich mit einem beispiellosen Militäraufgebot gegen Proteste gerüstet.
In der chinesischen Hauptstadt Peking demonstrierte die regierende KP unterdessen Stärke: Soldaten marschierten im Stechschritt, und die Armee präsentierte Panzer und anderes Militärgerät, während der in einem schlichten schiefergrauen Mao-Anzug gekleidete Staats- und Parteichef Xi Jinping die Parade abnahm – an der Seite seiner beiden Vorgänger im höchsten Staatsamt, Hu Jintao und Jiang Zemin. (Reuters, dpa, APA, red, 1.10.2019)