"Street Lights" reagiert auf Umarmungen: Gedacht ist die Installation für nachts, tagsüber hapert es ein wenig mit der Technik. Umarmungen sind trotzdem schön.

Foto: eSeL

Das "Department für öffentliche Erscheinungen" hat mit Anrainern aus gesprochen : "Was haben die anderen, was ich nicht habe?" und "Was ich habe, was die anderen nicht haben?" lauteten die zwei großen Fragen.

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Kärntner Straße, Mariahilfer Straße – und Favoritenstraße. Die gehört ab nun in jede Aufzählung bedeutender Wiener Shoppingmeilen. Denn Alicia Framis lockt hier zur Konsumation von Umarmungen. Fünf frisierte Laternen hat sie dafür an den Straßenrand gestellt, die mit Kameras erkennen, wenn sich auf der Fläche darunter Menschen umarmen. Ist das der Fall, ändern sie ihr Licht. Die Künstlerin will Gefühlen wieder mehr Platz im öffentlichen Raum geben! Gefühle bringen schließlich die Leut’ zusammen. Die Favoritener schauen tatsächlich nach, was da los ist.

Sie haben noch mehr zu schauen. Denn Street Lights ist nur eines von sechs Projekten, mit denen Kunst im öffentlichen Raum (KÖR) nun ein Jahr lang Wiens Arbeiter- und Zuwandererbezirk zwischen Sonnwendplatz und Viktor-Adler-Markt neu erfahrbar machen will.

Persönliches Soll und Haben

Auf dem Colmbusplatz stehen dazu drei große Stahlrahmen mit wehenden Tüchern. Die Künstlergruppe Department für öffentliche Erscheinungen hat mit Anrainern aus dem "alten Favoriten" und dem "neuen" Sonnwendviertel um den Hauptbahnhof gesprochen und sich dabei zwei Fragen beantworten lassen: "Was haben die anderen, was ich nicht habe?" und "Was ich habe, was die anderen nicht haben?". Die doppelte Reflexionsaufgabe bringt allerlei Soll und Haben ans Licht. Manche hätten gerne Macht oder Geld, um die Welt zu verändern, für andere ist der richtige Reisepass genauso Anlass zum Glück wie Bildung.

Favoriten stehe für vieles, nur nicht unbedingt für Kunst, räumte Bezirksvorsteher Marcus Franz bei der Eröffnung ein. Das Projekt sei eine Chance, anders nach außen zu wirken. "Es wird Leute geben, die sagen, ,was is des für a Schas‘. Aber sie reden darüber."

Favoritener Lieblingsplatzerln

Über ihr Favoriten reden Favoritener im ersten Stock des Einkaufscenters Columbus Center. Die Rolltreppe hoch und rechts zeigt Britta Thie ein Jahr lang die Videoarbeit Favorites. Das ist doppeldeutig zu verstehen: Favoritener stellen ihre liebsten Platzerln im zehnten Bezirk vor und erzählen auch von sich: im Böhmischen Prater, im Eissalon Tichy, auf der Favoritenstraße – die hat etwa ein junger Mann aus Afghanistan in prima Deutsch liebgewonnen, weil dort immer was los ist.

Sozial haftet dem Bezirk ein schwieriger Ruf an, in den letzten Jahren hat sich dennoch viel getan. Was macht das mit den hier lebenden Menschen? Wie schafft man unter den Bedingungen Identität? Keines der Projekte ist verkopft, jedes erzählt Geschichten und bringt Menschen mindestens virtuell miteinander in Kontakt und Austausch: der öffentliche Raum ist ein Gemeinschaftsort. (Michael Wurmitzer, 1.10.2019)