Boris Johnson, ungewählter Premierminister von Großbritannien.

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Diese Woche, wohl am Mittwoch, wollen die Briten endlich den EU-Partnern einen konkreten Vorschlag dazu machen, wie ihr Austritt Ende des Monats bewerkstelligt werden soll. Das Timing ist verräterisch. Boris Johnson will die Parteikasse durch hunderttausende Pfund aufbessern, die ausländischen Diplomaten, Sponsoren und Ausstellern für die Teilnahme am konservativen Jubelfest in Manchester abverlangt werden. Man muss schon sehr von seiner eigenen Wichtigkeit überzeugt sein, wenn man die Klärung der umfassendsten Neuorientierung britischer Außen- und Innenpolitik wegen eines Parteitags auf die lange Bank schiebt.

Die Verzögerung kommt dem Premierminister aber auch deshalb gelegen, weil er keine neuen Ideen hat zur Lösung seines selbstverschuldeten Dilemmas. Der von seiner Vorgängerin Theresa May verfolgte harte Brexit – das ganze Königreich tritt geschlossen aus Zollunion und Binnenmarkt aus – stieß auf das unüberwindliche Hindernis Nordirland.

Frieden steht auf dem Spiel

Dort garantiert das Karfreitagsabkommen, mit dem 30 Jahre Bürgerkrieg beendet wurden, eine offene Grenze zwischen der britischen Provinz und der Republik im Süden. Wer daran rüttelt, zerstört nicht nur die in 21 Jahren gewachsenen wirtschaftlichen und sozialen Bindungen – er setzt auch den Frieden zwischen irisch denkenden Nationalisten und an Großbritannien orientierten Unionisten aufs Spiel.

Das von May und Brüssel vereinbarte Austrittsabkommen sah deshalb eine Speziallösung für Nordirland vor, nämlich die Beibehaltung der gesamtirischen Zollunion sowie bevorzugten Zugang zum Binnenmarkt. Dieser weiche Brexit wäre nach wie vor ein guter Deal fürs Königreich. Die Opposition im Unterhaus sollte ihn so rasch wie möglich verabschieden und damit das verhindern, was Johnson anstrebt: das ökonomische und soziale Chaos ohne jede Vereinbarung, verharmlosend No Deal genannt.

Einheitliches Zollterritorium

Wenn die zu Wochenbeginn bekanntgewordenen Leaks stimmen, will das Vereinigte Königreich nämlich den international garantierten Friedensvertrag über Nordirland aufkündigen und in einem Korridor entlang der inneririschen Grenze die längst verschwundenen Zoll- und Passkontrollen wiedereinführen. Johnson hat dies dementiert; glauben sollte man dem notorischen Lügner kein Wort. Erstens macht er sich noch immer von der Zustimmung der nordirischen Unionistenpartei DUP abhängig, die 1998 als einzige gegen das Karfreitagsabkommen stimmte und 2016 als einzige größere Partei Nordirlands den Brexit befürwortete. In beiden Fällen handelte sie gegen die Interessen der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit in Nordirland.

Zweitens nennt der "Britain Trump", wie ihn sein Freund Donald in Washington zärtlich nennt, als sein Verhandlungsziel eine "souveräne Nation mit einheitlichem Zollterritorium". Die Logik daraus kann nur heißen: eine harte Grenze zur Republik Irland und damit der No Deal. Für die reine Brexit-Lehre nimmt der Populist in der Downing Street Unruhen, womöglich sogar das Wiederaufflammen des Bürgerkriegs in Nordirland in Kauf. Sollten demnächst in englischen Städten wieder Bomben irisch-katholischer Terroristen hochgehen, wissen die Briten: Johnson trifft eine Mitschuld. (Sebastian Borger, 1.10.2019)