An der Uni Wien untersucht man die reproduktiven Taktiken von Milben – die an Pflanzensäften saugen und acht Beine haben.
Foto: Peter Schausberger

Während Säugetiere immer einen Vater haben, können viele Angehörige anderer Tiergruppen auch ohne männliches Zutun Nachwuchs hervorbringen. Einen Spezialfall stellen dabei manche Insekten und Spinnentiere dar, bei denen aus befruchteten Eiern Weibchen entstehen, aus unbefruchteten aber Männchen.

Obwohl der Paarungspartner der Mutter bei diesen Arten mit ihren Söhnen keinerlei Erbgut gemeinsam hat, kann er das Verhalten des männlichen Nachwuchses beeinflussen – unter anderem auch bei dessen Paarungsstrategie. Wie das genau funktioniert, erforschen Verhaltensbiologen der Universität Wien derzeit an Milben.

Evolutiv gesehen besteht der "Sinn des Lebens" für alle Organismen in Fortpflanzung: Biologische Fitness bedeutet, so viele der eigenen Gene wie möglich in die nächste Generation zu bringen. Männchen haben dabei ein Problem: Ihr Fortpflanzungserfolg hängt davon ab, ob bzw. wie viele paarungswillige Weibchen sie erreichen, und dazu müssen sie sich gewöhnlich gegen andere Männchen mit demselben Ziel durchsetzen.

Das Einfachste ist, größer, stärker oder aggressiver zu sein als die Konkurrenz, aber dieser Weg steht natürlich nicht allen Individuen offen. Stattdessen setzen schwächere Männchen oft auf Tarnung: So können sie sich vor stärkeren Geschlechtsgenossen verstecken, bis sich die Gelegenheit zu einer heimlichen Paarung ergibt, oder sich an ein Weibchen heranmachen, um das zwei andere Männchen gerade kämpfen.

Keinerlei Brutpflege

Man spricht in diesen Fällen von "Alternativen reproduktiven Taktiken", kurz ARTs, und sie können sowohl genetisch bestimmt sein als auch in Reaktion auf Umweltbedingungen auftreten.

Interessanterweise können sie selbst dann die nächste Generation beeinflussen, wenn sie nicht genetisch verankert sind – noch dazu bei Tieren, die keinerlei Brutpflege betreiben: Peter Schausberger vom Department für Verhaltensbiologie der Uni Wien untersucht nach einer von der Japan Society for the Promotion of Science finanzierten Gastprofessur in Japan gemeinsam mit japanischen Kollegen die entsprechenden Mechanismen an der Gemeinen Spinnmilbe.

Die Gemeine Spinn- oder Bohnenspinnmilbe (Tetranychus urticae) ist rund einen halben Millimeter groß, saugt Pflanzensäfte und gehört zu den Spinnentieren, hat also acht Beine. Die Paarung läuft für die Weibchen ohne Wahlmöglichkeit ab, denn die Vorbereitungen dazu beginnen, während sie sich noch in der Ruhephase vor ihrer endgültigen Verwandlung in erwachsene Tiere befinden.

Wenn ein Männchen eine solche zukünftige Partnerin findet, setzt es sich auf oder neben sie und bewacht sie bis zu ihrer Verwandlung. Direkt danach kommt es zur Paarung. Diese kann zwar mit mehreren Männchen erfolgen, gewöhnlich hat aber nur der erste Partner Chancen, dass sein Sperma zum Zug kommt.

Bewachen und verteidigen

Nun gibt es bei den Männchen zwei verschiedene Typen, nämlich Kämpfer und Heimlichtuer (im Englischen als "Sneakers" bezeichnet). Kämpfer bewachen die unreifen Weibchen nicht nur, sie verteidigen diese auch gegen die Annäherungen anderer Männchen. Heimlichtuer hingegen tun nichts dergleichen: Nicht nur fordern sie niemanden heraus, sie werden auch selbst nicht herausgefordert.

Das müssen sie auch nicht, denn die Weibchen, die sie bewachen, werden von anderen Männchen gar nicht beansprucht. "Die Männchen finden die Weibchen in erster Linie durch deren Geruch. Möglicherweise decken die Sneakers sich und die Weibchen mit einer Art Duftdeckmantel zu", mutmaßt Schausberger.

Bei großem Männchenüberschuss treiben sich neben dem eigentlichen Bewacher oft mehrere Männchen herum, die direkt nach ihm noch mit dem Weibchen kopulieren. "Wenn das sehr rasch erfolgt, haben sie Chancen, dass ein Teil des Nachwuchses von ihnen ist", wie Schausberger erklärt.

In jedem Fall können die Männchen ihre Gene nur über ihre Töchter weitergeben, denn Söhne entstehen nur aus unbefruchteten Eiern. Dennoch üben sie Einfluss auf deren Leben aus: In jedem Gelege gibt es sowohl Kämpfer als auch Heimlichtuer, doch wie Schausberger und seine japanischen Mitarbeiter zeigen konnten, sind die Söhne von Weibchen, die sich mit einem Kämpfer gepaart haben, eifrigere Bewacher.

Kämpfer-Söhne von mit Kämpfern verpaarten Weibchen beginnen auch früher mit dem Bewachen ihrer Partnerinnen und sind aggressiv dabei.

Vorbereitung auf Konkurrenz

Paart sich die Mutter hingegen mit einem Sneaker oder bleibt unverpaart, sind ihre Söhne weniger eifrige Bewacher. Die Paarung mit einem Kämpfer dürfte für die Mutter ein Zeichen dafür sein, dass auf ihren männlichen Nachwuchs Konkurrenz wartet, und darauf bereitet sie sie auf diese Weise vor.

Auch das Geschlechterverhältnis des Nachwuchses zeigt Unterschiede: Mit Kämpfern verpaarte Weibchen erzeugen mehr Töchter als unverpaarte oder Sneaker-Partnerinnen. Während Weibchen und Männchen bei der Fortpflanzung unterschiedliche Ziele verfolgen können, dürfte es sich hierbei um eine Win-win-Situation für beide handeln: Die Weibchen profitieren von mehr Töchtern, weil diese mehr Nachkommen erzeugen als Söhne, und die Männchen, weil nur die Töchter ihre Gene tragen.

Bleibt nur die Frage, wie die winzigen Tierchen die Weitergabe der Faktoren bewerkstelligen. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Samenflüssigkeit der Kämpfer und Sneaker unterschiedliche Stoffe beinhaltet, die das Verhalten kodieren.

Das scheint jedoch nicht der einzige Faktor zu sein, der über die Entstehung von Kämpfern und Heimlichtuern entscheidet: Bei Versuchen, bei denen die Männchen untereinander verwandt waren, kam auf drei Kämpfer ein Sneaker – während der Nachwuchs bei nicht verwandten Männchen ausschließlich aus Kämpfern bestand. (Susanne Strnadl, 5.10.2019)