Im Gastkommentar gibt sich FPÖ-Historiker Lothar Höbelt überzeugt, dass die FPÖ alle Chancen hat, verlorenes Terrain wettzumachen.

Vor ein paar Jahren hat ein kluger Insider einmal behauptet: Es geht heutzutage gar nicht mehr darum, den Mitbewerber vulgo Gegner zu schlagen, sondern bloß noch die Umfragen. Das ist den Freiheitlichen am Sonntag absolut misslungen. Daher auch der seltsame Kontrast: Bei der EU-Wahl gab's bei 17 Prozent noch unbändigen Jubel, diesmal bei 16 Prozent Katerstimmung. Zugegeben, ich hätte auch mit mehr gerechnet – aber mir sind die Spesenkonten von H.-C. Strache auch ziemlich gleichgültig. Da ging's bei Chirac, Kohl und Andreotti wahrlich um größere Summen.

Man könnte natürlich auch fragen, welcher vertrackte Zufall dabei Regie geführt hat, dass diese Rechnungen ausgerechnet drei Tage vor der Nationalratswahl per Extrapostille ins Haus geliefert wurden. Wie heißt es beim Hosenbandorden: Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Das mag nun alles nicht besonders fair gewesen sein, aber Hand aufs Herz – wer hat sich denn in dem Metier auch schon besonders viel Fairness erwartet? Man darf dem Gegner eben auch nicht so leichtfertig eine offene Flanke bieten.

Freiheitliche Tragödie

Das Resultat ist bitter für diejenigen, für die sich jetzt kein Mandat mehr ausgegangen ist. Strategisch freilich ist der Effekt für die FPÖ gleich null. Ob sie jetzt 16 oder 20 Prozent hat, sie könnte mit der ÖVP jederzeit mühelos eine Regierung bilden, sofern die ÖVP das anstrebt. Die Einzigen, denen die überraschenden Veränderungen in letzter Minute wirklich auf den Kopf fallen, sind kurioserweise die Neos, die trotz Zugewinnen über Nacht von "Macht sonst keiner" zu "Braucht jetzt keiner" verdammt wurden. Denn ganz gleich, ob Sebastian Kurz jetzt Grün, Blau oder Rot schöne Augen macht, als Mehrheitsbeschaffer sind die Neos jetzt nicht mehr vonnöten. Ein flotter Dreier hat da keine Existenzberechtigung.

Die Wähler aber, die sich von den Enthüllungsstorys über Strache in letzter Minute verunsichern ließen, werden über kurz oder lang zur FPÖ zurückfinden. Straches persönliches Schicksal ist zweifellos tragisch (was ja, wie im klassischen Drama, eigenes Verschulden keineswegs ausschließt!), aber ebenso klar ist, dass er für seine Partei inzwischen zu einer unerträglichen Belastung geworden ist. Da ist es nur noch die Frage, in welchen Formen sich der letzte Akt dieser Tragödie vollzieht. Dann werden über all den Sensatiönchen der letzten Zeit auch wieder die eigentlich politischen Fragen zur Geltung kommen.

Schwarz-blaue "Randschichten"

Die Tante Jolesch hat schon recht: Gott soll abhüten alles, was noch a Glück ist. Aber in genau dieser Lage befindet sich die FPÖ heute: Es haben die FPÖ zwar diesmal nur 16 Prozent gewählt, aber 30 Prozent hätten sie gern in der Regierung. Kann sein, Kurz erfüllt ihnen diesen Wunsch doch noch: Dann werden sie vielleicht bei ihm bleiben. Geht er hingegen eine neue Lebensabschnittspartnerschaft mit den Grünen ein, wie es schon seit längerem als wahrscheinlich gilt, dann ist auch die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er die inzwischen ziemlich breiten schwarz-blauen "Randschichten" nachhaltig vergrault.

Kurz hat mit Themen gepunktet, die mit den Grünen schwerlich durchzuziehen sind. Da haben die Blauen dann alle Chancen, verlorenes Terrain wettzumachen – freilich nur dann, wenn sie ihren bisherigen Kurs beibehalten und sich gerade nicht krampfhaft "neu aufstellen". Unklug wäre es auch, Kurz mit allerlei vorlaut-depressiven Meldungen die Ausrede zu liefern, die Blauen wollten ja ohnedies nicht mehr regieren. Wer regiert, kann nun ganz einfach viel mehr durchsetzen – oder gegebenenfalls verhindern – als noch so engagierte Oppositionelle.

Keine Hexenjagden

Zwei Fixstarter im blauen Gruppenbild: Norbert Hofer und Herbert Kickl.
Foto: STANDARD/Christian Fischer

Meine Familie lebt in Pardubitz, man verzeihe mir deshalb einen der neuerdings oft so verpönten Vergleiche aus dem Tierreich: Hofer ist nach wie vor das beste Pferd im blauen Rennstall. Er hat schon einmal fast 50 Prozent der Österreicher hinter sich versammelt und lag in der Kanzlerfrage durchgehend vor Pamela Rendi-Wagner. Den Durchhänger der letzten Tage kann man ihm schwerlich zum Vorwurf machen, genauso wenig wie Herbert Kickl. Daneben wäre es vielleicht nicht schlecht, das Gruppenbild durch die eine oder andere Dame zu ergänzen und Ausschau zu halten nach präsentablen Vertretern der jungen Generation, die demnächst einmal für Spitzenpositionen infrage kommen.

Darüber hinaus gilt für alle Parteien: Bei allem Respekt vor dem oft unbedankten Engagement der tatsächlich unbezahlten mittleren und kleinen Funktionäre, die Befindlichkeiten des Apparats sind dem Wähler nun wirklich kein Anliegen. Was man nach Unglücksfällen am meisten benötigt, sind entgegen einem verbreiteten Vorurteil weder weinerliche "Trauerarbeit" noch masochistische "Vergangenheitsbewältigung", sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme und vor allem Gelassenheit. Der Ball liegt momentan nicht bei der FPÖ. Sie braucht daher auch keine hektische Betriebsamkeit zu zeigen und keine Hexenjagden zu veranstalten, bloß einen leider notwendig gewordenen personellen Schlussstrich zu ziehen. Einem guten Drittel der Wähler sind die Themen der FPÖ ein Anliegen. Da braucht sie bloß Kurs zu halten – mit oder ohne Kurz. (Lothar Höbelt, 1.10.2019)