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Schall, aber nun doch keinen Rauch bietet das neue ARD-Diskussionsformat "Hier spricht Berlin". Probleme mit Antiraucher-Initiativen waren programmiert.

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Manche Situationen schreien nach einem Tschick. Das wusste der Regisseur David Lynch. Als Lula in Lynchs Film Wild At Heart ihrem Freund Sailor gesteht, dass sie schwanger ist, nimmt der statt einer gleich zwei Zigaretten aus der Packung, zündet sie an und zieht daran wie Zwillinge an Mutters Busen. Auf der Leinwand sieht man in Großaufnahme nur die beiden Tschick. Wie das Feuer den Tabak in Glut versetzt, dazu das Knuspergeräusch als karzinogener Soundtrack. Das war 1990, und Rauchen verlor zusehends an gesellschaftlicher Akzeptanz. Für den Raucher Lynch Grund genug, provokant dagegenzuhalten, indem er das Ritual ebenso übertrieben in Szene setzte wie Sailors Gewaltausbrüche.

Ein paar Jahre zuvor wunderte sich niemand über rauchende Cowboys auf der Leinwand, über rauchende Politiker im Fernsehen, über pofelnde Moderatoren oder schmauchende Diskutanten. Sogar Hochprozentiges wurde, wenngleich verschämt, als Diskussionszusatzstoff gestattet. Die Mutter aller ORF-Diskussionsformate, der Club 2, war diesbezüglich legendär. Einmal war dort der 2009 verstorbene Bildhauer Alfred Hrdlicka zu Gast. Um seinen Wortmeldungen den notwendigen Grobschliff zu verpassen, nahm er dann und wann einen Schluck aus einem Glas von klarem Inhalt. Für Wasser war das Gebinde klein dimensioniert, für den hochprozentigen Inhalt, den Hrdlicka aus einer auf dem Boden nur halbherzig versteckten Flasche Schnaps besorgte, gerade recht.

RBB gab klein bei

Die Macher der ARD-Talksendung Hier spricht Berlin wollten diesem Diskussionsgeist wieder Dampf machen. Aus der Flasche wie aus dem vollen Aschenbecher. Hier spricht Berlin ist Teil der neuen Reihe Talk am Dienstag im ersten Deutschen und wird im Wechsel mit den etablierten Formaten wie der NDR Talk Show, dem Kölner Treff und 3 nach 9 am Dienstagabend ausgestrahlt, freitags im RBB Fernsehen wiederholt. Premierengäste sind Dienstagabend (ab 23 Uhr) der Moderator Günther Jauch, der Musiker Sido, die Schauspielerin Petra Schmidt-Schaller, der Opernsänger Thomas Quasthoff, Autorin Else Buschheuer. Doch rauchen durften sie letztlich doch nicht: Ein Nichtraucherschutzverein drohte mit Klagen. Und der RBB gab klein bei.

Öffentlich-rechtlich zu rauchen ist so geächtet wie sich in einer Schulklasse eine anzuzünden, da fällt den Pädagogen glatt das Bier aus der Hand. Das prosperierende Serienfernsehen hingegen hat sich weitgehend dem Abbild der Wirklichkeit verschrieben. In einer kreuzbiederen Serie wie This Is Us ist die Welt klar in Gut und Böse eingeteilt. Gute Dinge passieren nüchtern und bei Sinnen, das Schlechte, wenn die Moral vom Schnaps erodiert wird.

Klo mit Brandmeldern

Die HBO-Erfolgsserie Mad Men sorgte ab 2007 für Gesprächsstoff, weil ihr Setting die Gesellschaft der frühen 1960er-Jahre in New York möglichst originalgetreu abbildete. Neben archaisch anmutenden Geschlechterrollen wurde in der Serie mit derselben Selbstverständlichkeit geraucht und gesoffen, mit der Bürohengste heute aufs Klo mit Brandmeldern gehen.

Die Protagonisten von Mad Men rauchten vor ihren Kindern am Frühstückstisch, beim Kochen, im Büro, vor dem Sex, danach und möglicherweise sogar währenddessen – wobei HBO diese Information dann doch schuldig blieb.

Antiraucher-Gruppierungen laufen gegen derlei Darstellungen Sturm. Sie seien eine neue, verdeckte Art der Raucherwerbung, wird argumentiert. Die die Wahrheit bereits über ihren Namen gepachtet habende Antiraucher-Bewegung Truth Initiative rechnete heuer vor, dass sich die Glimmstängeldichte bei Netflix vervierfacht haben soll. Netflix reagierte darauf mit der Ankündigung, auf Raucherdarstellung in Produktionen zu verzichten, die für unter 14-Jährige freigegeben sind. Lediglich aus Gründen der historischen Wahrhaftigkeit würde man Ausnahmen machen. Apropos.

Wickel programmiert

Mit der Wahrhaftigkeit argumentierte die ARD bei diesem Thema schon einmal. Im Jahr 2011 saß der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt bei Günther Jauch auf Plausch und Schmauch. Die Initiative Forum Rauchfrei protestierte. Die ARD argumentierte, dass Schmidt eine herausragende Persönlichkeit sei, die "im Programm nicht fehlen kann und sollte – so, wie er ist".

Wickel waren für Hier spricht Berlin also programmiert, denn die Diskussion ums Rauchen besitzt konfessionellen Charakter. Das thematisiert der deutsche Anwalt und Autor Ferdinand von Schirach in seinem heuer erschienenen Erzählband Kaffee und Zigaretten. Er erinnert an Mark Twain, der gesagt haben soll, dass er auf den Himmel verzichte, wenn er dort nicht rauchen dürfe, und gibt ihm recht. "Die Sache", schreibt Schirach, "wurde doch erst interessant, als Adam und Eva die Frucht von dem Baum der Erkenntnis aßen und aus dem Paradies vertrieben wurden. Endlich hörte diese unendliche Langeweile auf, diese Leere im Kopf und dieses andauernde Frohlocken."

Der Mensch geht demnach lieber im Verderben als in der Langeweile auf. Für die Quote ist das Verderben sicher einträglicher als die Langeweile – selbst wenn am Ende vieler TV-Diskussionen die Erkenntnis bleibt, dass wieder einmal alles nur Schall war. Mit und ohne Rauch. (Karl Fluch, 1.10.2019)