Vögel lernen schon im Ei von ihren Elter das Zwitschern. Ohne diesen Zuspruch verkümmern die Gehirne der Küken.

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Wien/Grünau im Almtal – Dass der menschliche Embryo schon lange vor der Geburt durch akustische Reize an seiner Umwelt teilhat, ist bereits seit annähernd hundert Jahren bekannt. Mittlerweile weiß man, dass Babys sich an Musik erinnern können, die sie noch im Bauch ihrer Mutter gehört haben. Und auch der Spracherwerb dürfte auf pränatalem Lernen basieren.

Bei Singvögeln verhält es sich nicht anders: Sie bekommen schon im Ei von ihren Müttern Gesangsunterricht. Ohne diese akustische Stimulation verkümmern ihre Gehirne, sagte die Verhaltensforscherin Sonia Kleindorfer anlässlich des "Biologicums Almtal", das am Donnerstag startet. Ob ganz ruhige Kinderschlafzimmer optimal für die Entwicklung von Babys sind, sei daher überlegenswert, sagte sie.

Nur wenige nutzen ihre Stimmen

Es gibt auf der Welt nur sieben Tiergruppen, die Vokalisierung (stimmhafte Lautäußerungen) beherrschen, sagte Kleindorfer, die seit Kurzem die Konrad Lorenz Forschungsstelle der Universität Wien in Grünau im Almtal (OÖ) leitet: Drei Gruppen von Vögeln, deren Vertreter vor 60 Millionen Jahren die Ersten in der Evolution waren, die dies konnten, Wale, Fledermäuse, Elefanten und Menschen. Sie selbst untersucht das vokale Lernen und die Kommunikation bei Singvögeln und Graugänsen.

"Bei den Singvögeln beginnt der Unterricht schon pränatal", sagte sie. Die Weibchen singen ihren Eiern beim Brüten den "Bettelruf" vor, und die Jungen beherrschen diesen gleich nach dem Schlüpfen. "Auch bei Menschen hat man mit Ultraschallbeobachtungen gezeigt, dass die Embryos die Stimme der Mutter erkennen, aber nach der Geburt sprechen die Babys keinen einzigen Satz, während die Küken dies quasi sofort können", so Kleindorfer. Dies ist erlernt und nicht angeboren, denn wenn sie mit Kollegen die Gelege von zwei Vogelmüttern vertauschte, reproduzierten die Küken die Sprache der Ziehmutter, und nicht jene der leiblichen.

Verkümmerte Gehirne

Mit Magnetresonanz-Aufnahmen konnten die Forscher belegen, dass bei Eiern, die nicht genügend "pränatale akustische Signale", sprich genügend unterschiedliche Geräusche und Gesänge gehört haben, die Vogeljungen kleinere und asymetrischere Gehirne mit weniger Nervenzellen hatten, als ausreichend beschallte und besungene Embryos. "Wir können uns vorstellen, dass dies auch bei den Menschen der Fall ist", sagte Kleindorfer.

Man solle deshalb vermehrt das akustische Umfeld evolutions- und entwicklungsbiologisch untersuchen. "Auf jeden Fall sollten wir darüber nachdenken, ob ein besonders ruhiges Kinderschlafzimmer tatsächlich wünschenswert ist oder sogar viel mehr Schaden als Gutes anrichtet", meint sie. Die externe Stimulation über akustische Information forme nämlich das Gehirn – zumindest bei Singvögeln.

"Warum wir so sind, wie wir sind"

Sonia Kleindorfer untersucht an der Konrad Lorenz Forschungsstelle, wie Tierverhalten die Evolution bei Vögeln, aber auch bei Parasiten beeinflusst. Sie wurde in Pennsylvania (USA) geboren, studierte an der dortigen Hochschule und anschließend an der Universität Wien, führte Feldforschung in Australien sowie auf den Galapagos- und Fidschi-Inseln durch, und ist wissenschaftliche Direktorin des Flinders Research Centre for Climate Adaptation and Animal Behaviour (Australien). Seit 2018 leitet sie zudem das Konrad Lorenz Forschungszentrum der Uni Wien mit Sitz in Grünau im Almtal.

Dort findet vom 3. bis 6. Oktober das sechste "Biologicum" zum Thema "Warum wir so sind, wie wir sind", statt. Dabei werden Biologen, Lern- und Sprachwissenschafter, Archäogenetiker und Philosophen laut Veranstalter über "die Wechselwirkungen zwischen Genen und Umwelt" referieren und diskutieren sowie "das komplexe Sozialleben und die Intelligenz- und Kulturfähigkeit des Menschen als wichtige Evolutionsfaktoren" erörtern.

Sie werden demnach auch darüber sinnieren, ob die Menschen sich als Kulturwesen von der Natur entfernt haben oder immer noch "biologische Wesen mit artspezifischem Verhalten und evolutionär begründeten Bedürfnissen" sind. Neu im Programm ist ein "Junior Biologicum" für Oberstufenschüler, bei dem die Jugendlichen mit den Wissenschaftern in Kontakt treten können. (red, APA, 2.10.2019)