Noch bevor Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping als Oberkommandant die gigantische Militärparade abnahm, erwies er drei Fahnen seine Referenz: Er salutierte in einer offenen Limousine im Vorbeifahren zuerst der Parteifahne, dann der Staats- und schließlich der Armeeflagge. Die Partei, deren politische Macht laut Staatsgründer Mao aus den Gewehrläufen kam, kommandiert auch die Gewehre.
Der alte Slogan gilt weiter in der neuen Ära unter Xi, der Chinas Zwei-Millionen-Mann-Armee auf Weltklasseniveau trimmen lässt, um sein Land zur globalen Supermacht zu entwickeln. Auch in der Luft zog eine Hubschrauberstaffel die drei Fahnen hinter sich her.
Das runde Jubiläum für die am 1. Oktober 1949 gegründete Volksrepublik gab den Anlass für das militärische Spektakel. Vom Tiananmen-Tor aus inspizierte Xi die 80-minütige Armeeparade. Als Zeichen für innerparteiliche Geschlossenheit lud Xi mehr als ein Dutzend pensionierter KP-Führer zur Feier ein, darunter seine beiden Vorgänger, die Ex-Parteichefs Jiang Zemin (93) und Hu Jintao (77).
Beim einstündigen Volksaufmarsch, der auf die Armeeparade folgte, trugen die organisierten Massen gigantische Porträts von Jiang und Hu mit sich, so wie auch von Staatsgründer Mao Tsetung und Reformpolitiker Deng Xiaoping.
Als Vertreter der neuen Ära Chinas wurde auch Xi mit einem riesigen Porträt gehuldigt. Unter den Ehrengästen auf der Tribüne saß Hongkongs Verwaltungschefin Carrie Lam, die ungeachtet der Unruhen in ihrer Stadt zu den Feiern nach Peking gekommen war.
Handelskrieg und Boykotte
Die Parade begann mit einer Rede Xis: "In den vergangenen 70 Jahren hat das sozialistische China große Errungenschaften erzielt, über die alle Welt staunt. Es gibt keine Macht, die unsere Stellung erschüttern, keine Macht, die den Fortschritt des chinesischen Volkes und der Nation aufhalten könnte." Er spielte damit auf die USA an, die nach Lesart Pekings mit Handelskrieg und Boykotten Chinas Entwicklung verlangsamen wollten.
Die in mehr als 50 Formationen marschierenden Streitkräfte demonstrierten mit teils noch nie gezeigten Waffensystemen die Schlagkraft der Armee. Sie zeigten damit auch, wofür China seinen heute nach den USA zweithöchsten Wehretat der Welt nutzt.
Peking stellte erstmals neue ICBM-Raketen vom Typ Dongfeng DF-41 vor, das Herzstück seiner nuklearen Abschreckung. Laut Nachrichtenagentur Xinhua sind sie Chinas fortschrittlichste Interkontinentalrakete. Experten glauben, dass die DF-41 mit bis zu 25-facher Schallgeschwindigkeit und Nuklearsprengköpfen, die bis zu zehn separate Ziele attackieren können, alle Gebiete in den USA in kürzester Zeit erreichen würden.
China enthüllte weitere neue Raketen, darunter die DF-17. Laut Xinhua sei sie eine "konventionell bestückte, allwettertaugliche Mittel- und Kurzstreckenrakete für Präzisionsschläge." Experten nennen sie gefährlich, weil sie einen Hyperschallgleiter transportieren und US-Raketenabwehrschilder überwinden könnte.
Zu den Überraschungen gehört auch der "hyperschallschnelle Marschflugkörper" vom Typ CJ-100. Der frühere US-Admiral James Stavridis nannte sie eine der wichtigsten Neuheiten, die einen Rüstungswettlauf mit den technisch nachhinkenden USA und Russland auslösen könnten.
Anrainerstaaten im hochumstrittenen Südchinesischen Meer seien besonders besorgt. China beansprucht das gesamte Meer und ließ dort bereits sieben Inseln aufschütten und bewaffnen.
Nukleare Modernisierung
Drohnen und unbemannte Unterwasser-Waffen, die auf der Parade gezeigt wurden, seien, so sagt Peking, selbstentwickelt und auf Weltstandard. China, das den defensiven Zweck seiner Waffenmodernisierung betont, bereitet sich dennoch aktiv auf Zukunftskriege mit Hightechanwendungen und künstlicher Intelligenz vor.
Chinas nukleare Modernisierung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die USA den INF-Vertrag mit Russland gekündigt haben – auch unter dem Hinweis, dass die Atommacht China nie Teil des Paktes war. Das Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt Chinas Nuklearwaffenbestand auf 280 Atombomben, während USA und Russland jeweils über Arsenale mit weit über 6000 Sprengköpfe verfügen. (Johnny Erling aus Peking, 1.10.2019)