Im Gastkommentar widmet sich Jetzt-Parlamentarier und Anwalt Alfred J. Noll den Irrtümern von Jetzt – Liste Pilz.

Jetzt war eine Kopfgeburt. Die Beteiligten einte das Credo: niemals wieder eine politische Partei. Nur der Form halber wurde eine Partei gegründet. "Bis auf ewige Zeiten wird diese Partei kein fünftes Mitglied haben", posaunte Peter Pilz im August 2017. Die gesamte Kontrolle von Finanzen, Personal und Wahllisten sollte ausschließlich den gewählten Abgeordneten zukommen. Was wir heute sehen, botmäßige Mandatare als Marionetten, die an den von den jeweiligen Parteispitzen gezogenen Fäden hängen, wollten wir umkehren: Sämtliche Parteiressourcen sollten allein den freien Abgeordneten für ihre Arbeit zur Verfügung stehen.

Tatsache ist nun, dass dies nicht realisiert wurde. Was den Beteiligten Gewissheit war, dass es völlig abwegig sei, eine derartige Partei überhaupt zum Leben zu erwecken, wurde in weiterer Folge undiskutiert über Bord geworfen. Dies rief ein Schisma zwischen Partei und Klub hervor, das sich nicht mehr kitten ließ. Der Nationalratsklub hing damit in der Luft: Es musste für alle so aussehen, als ob die nur zufällig in den hinteren Reihen des Parlaments zusammengedrängten Abgeordneten weder einen Plan noch gar ein stringentes Programm hätten – und da sich die Aufmerksamkeit der Medien auch nicht auf die konkrete Arbeit im Nationalrat richtete, war die tatsächliche Konsistenz der dort realisierten Zusammenarbeit für die Öffentlichkeit auch nicht sichtbar.

Die "politische Marke" Peter Pilz

2017 trat Jetzt als Liste Pilz an. Peter Pilz selbst wollte das nicht. Er wusste um die Vorbehalte gegen Namenslisten und dass ihm das Odium des Egomanen ohnedies schon nachhing. Dennoch einigten wir uns auf "Liste Pilz", weil wir in der von ihm verkörperten "politischen Marke" Unverwechselbarkeit kommunizieren konnten. Gleichzeitig beschlossen wir, dass dieser Name beim Einzug ins Parlament geändert würde. Daraus wurde nichts: In dem Moment, in dem Pilz erklärte, sein Mandant wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe vorläufig nicht anzunehmen, sahen sich alle Beteiligten außerstande, seinen Namen zu löschen. In dem Maße, in dem die öffentlich betriebene Herabwürdigung seiner Person und das Ausmaß der Vorverurteilung zunahmen, wurde seine Bedeutsamkeit für die junge politische Pflanze nochmals erhöht. Buchstäblich alle öffentlichen Befassungen in Hinsicht auf die politische Arbeit von Jetzt standen unter der Rubrik: Wann kommt Pilz zurück?

Die grob mittelwertige Performance unserer Gruppe in dieser Zeit war zwar nicht durch die Medien verschuldet, wurde von diesen aber einer weder persönlich noch programmatisch gefestigten Truppe zugemutet, die damit überfordert war.

Mediale Aufmerksamkeit

Gegenwärtige Politik ist gekennzeichnet von dem Übelstand, dass medialer Aufmerksamkeit per se der Charakter politischer Bedeutsamkeit zugesprochen wird. Darüber lässt sich viel wehklagen, aber das ändert nichts. In dem Ausmaß, in dem die multimedial vermittelte öffentliche Präsenz einer Person als ein Signum des politischen Erfolgs dieser Person Anerkennung findet, fördert dies interne Status-Disproportionen: Wer nicht im Scheinwerferlicht steht, traut sich intern immer weniger zu, hat immer weniger zu sagen; der Beschienene vermeint, ihm allein käme Gewichtigkeit zu.

Das führt in größeren politischen Parteien nicht unbedingt zum gruppendynamischen Kollaps, bei kleinen Gebilden wie Jetzt geriet es jedoch zum Totalschaden: Dass von acht Abgeordneten schlussendlich nur noch zwei für Jetzt antreten wollten, hat in diesem Sachverhalt seine Ursache. Dies nicht frühzeitig erkannt zu haben war ein Irrtum aller Beteiligten: Wo es ein verbindliches weltanschauliches Korsett um die Protagonisten und eine "soziale Basis" nicht gibt, da verkommen notwendige Ermahnungen letztlich zu bloßen Tugendgeboten und bleiben gegenüber "medialen Notwendigkeiten" wirkungslos. Folglich wurde auch das Innenleben von Jetzt fast gänzlich von der medialen Außenbewertung dominiert. Eine Bewegung zu organisieren, die auf erreichbaren, aber dennoch radikalen Forderungen basiert, konnte nicht einmal in Angriff genommen werden.

Luft nach oben

"Ich wechsle jetzt mal kurz die Seiten und werde ein Kollege von ihnen, ob Ihnen das passt oder nicht." Peter Pilz am Wahlabend vor Journalisten.
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Vor diesem Hintergrund stellt sich ein anderer Irrtum als bloße Marginalie dar: Dass wir an Peter Pilz dessen charakterliche Qualitäten überschätzten, ihm diskursive Bereitschaft unterstellten oder ihm Aufgaben überließen, die zumindest ein Mindestmaß an organisatorisch-kommunikativen Fähigkeiten erfordert hätten, spielt in Summe keine Rolle – und wer von uns könnte schon sagen, dass er in Hinsicht auf diese Unerlässlichkeiten erfolgreicher Zusammenarbeit nicht noch Luft nach oben hätte. Selbst wenn man diese Desiderata als erheblich werten wollte, so müsste man sie doch abwägen mit den Meriten, die Pilz unzweifelhaft zukamen: Er war auf dem politischen Feld jene notwendig singulär bleibende Figur links der Mitte, der es in stets verständlichen Worten und mit feinem Sensorium und medienaffinem Gespür gelang, sich für mehr Transparenz, für mehr soziale Gerechtigkeit und für mehr parlamentarische Courage vernehmlich zu machen. Man wird lange warten müssen, bis sich die durch ihn eröffneten und gleichzeitig von uns gemeinsam vertanen Chancen in diesem Land wieder ergeben. (Alfred J. Noll, 2.10.2019)