Man duzt sich und geht zusammen Abendessen. Höhepunkt am vergangenen Sonntag: gemeinsames Wahlschauen im Büro von Kanzlerin Brigitte Bierlein. Der ministerielle Teamgeist wird hochgehalten.

Am Dienstag stellte sich die Übergangsregierung dann beim Bundespräsidenten ein, um formell die eigene Entlassung zu beantragen. Das ist nichts Außergewöhnliches, das haben auch alle Regierungen davor so gehandhabt. Es blieb – wenig überraschend – bei einem Formalakt. Die Übergangsregierung wird zur Übergangsregierung (siehe unten).

Ich gelobe! Bundespräsident Alexander Van der Bellen gelobte die Regierung von Kanzlerin Brigitte Bierlein erneut an. Auch Umweltministerin Maria Patek, Wirtschaftsministerin Elisabeth Udolf-Strobl und Justizminister Clemens Jabloner (von rechts) machen weiter.
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Ging es im Juni noch darum, das durch das Ibiza-Video ins Schwanken geratene politische Österreich wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen, gilt es jetzt, die Zeit bis zur Konstituierung einer neuen Regierung zu überbrücken. Da wie dort lautet das Credo der neuen, alten Ministerriege: gut verwalten, nicht gestalten!

Keine Zeit zum Einarbeiten

Die Kanzlerin hatte dieses Leitmotiv beim ersten Ministerrat festgelegt: Das Selbstverständnis sei "das einer geschäftsführenden Bundesregierung, die im Sinne der Erwartungen der Bevölkerung die notwendigen Amtsgeschäfte weiterführt". Neue Gesetzesinitiativen wurden nur für Notsituationen in Aussicht gestellt. Es gab keine. Das Kabinett Bierlein verweist dennoch auf 186 Ministerratsbeschlüsse, mehr als 100 Verordnungen und sechs Begutachtungsverfahren für Gesetzesvorhaben. Betont wird, es habe dafür nicht wie üblich 100 Tage Einarbeitungszeit gegeben.

Die Neuen waren darum bemüht, möglichst schlank und sparsam zu regieren. Die von Türkis-Blau installierten, mit Weisungsrecht ausgestatteten Generalsekretäre? Wurden gleich zu Beginn ersatzlos gestrichen. Die Posten der Kabinettschefs? Haben fast überall Spitzenbeamte übernommen. Man war um Distanz zur Vorgängerregierung bemüht. Sogar der Regierungssprecher wurde ersetzt – Alexander Winterstein übernahm für Peter Launsky-Tieffenthal.

Erste Frau an der Regierungsspitze: Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gab als Leitsatz "verwalten", nicht "gestalten" aus.
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Die politischen Beschlüsse von ÖVP und FPÖ mussten trotzdem umgesetzt werden. Bildungsministerin Iris Rauskala etwa hatte auf ihrem Verordnungsstapel auch jene liegen, in der es um eine praktische Handlungsanleitung für ein türkis-blaues Prestigeprojekt ging: die Umsetzung des Kopftuchverbots. Also musste im Haus spezifiziert werden, was unter einer "vollständigen Verhüllung des Kopfes" zu verstehen ist. Die Beamtenschaft fand zu folgender Definition: Um keine vollständige Verhüllung handle es sich demnach, "wenn die Haare vom Ansatz weg deutlich zu erkennen und in der Länge von zumindest einer Handbreite zu sehen sind". Eigene Initiativen der Bildungsministerin gab es kaum. Mit einem Ausreißer: Über einen Erlass von Vorgänger Heinz Faßmann setzte sich Rauskala hinweg und erlaubte schulpflichtigen Umweltaktivisten die einmalige Teilnahme an den Klimastreiks.

Ist die Amtsführung der Regierung notwendige Selbstverortung oder zu strikte Zurückhaltung? Letzteres sieht der Politologe Peter Filzmaier. Ein gewisses Maß an Vorsicht sei notwendig, aber es hätte Anliegen gegeben, die man aktiv hätte angehen können. Filzmaier nennt als Beispiel die Parteienfinanzen: "Es ist die einzige Regierung, die wir je hatten und vielleicht haben werden, die nicht befangen ist." Entkoppelt von Parteiinteressen hätte dem Nationalrat ein Vorschlag übermittelt werden können. "Vielleicht wäre er dann abgelehnt worden", sagt Filzmaier. Aber selbst das wäre demokratiepolitisch spannend gewesen, denn: "Die Ablehnung hätten die Parteien dann auch begründen müssen." Ähnliches gilt wohl auch für ein ORF-Gesetz, das die Aufsichtsstruktur neu hätte regeln können. Das Kabinett Bierlein I wäre – anders als andere Regierungskonstellationen – nie in den Verdacht gekommen, auf Macht und Einfluss aus zu sein.

Nur still zuschauen ging nicht: Justizminister Clemens Jabloner kritisierte das türkis-blaue Gewaltschutzpaket.
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Gekommen ist nichts davon. Nur eine bedeutende Personalia wurde umgesetzt, weil unaufschiebbar. Es galt einen österreichischen Kandidaten für den Posten eines EU-Kommissars vorzuschlagen. Besser: eine Kandidatin. Bierlein, so heißt es, habe sich nämlich darum bemüht, eine Frau für das Amt zu finden. Was sie nicht gefunden hat, war eine Mehrheit dafür. Die gab es dann für den alten Kommissar Johannes Hahn.

Machen, dann reden

Auf der Habenseite sieht Politologe Filzmaier die Punkte Fach- und Verwaltungskompetenz. Das Bild, das die Regierungsmannschaft abgebe, werde nachwirken, ist er überzeugt – und zwar als positive Referenz im Vergleich zum negativen Image von Politikern, die einer Partei verpflichtet sind. "Mein Bestreben war: Zuerst machen und erst dann darüber reden", formuliert ein Mitglied des Expertenkabinetts das eigene Selbstverständnis.

Was sagen die Parteienvertreter zum Bierlein-Kabinett? "Es ist sich treu geblieben: Sie wollten verwalten und keine politischen Vorschläge machen", lautet der Befund von Nikolaus Scherak (Neos). Was viele Parteien genutzt haben: Die neue Auskunftsfreudigkeit der nicht politisch geführten Ressorts. Um die zu gewährleisten, griff manch ein Minister sogar selbst zum Redigierstift, "weil es wichtig ist, dass die Qualität stimmt". Oder wie es Sozialministerin Brigitte Zarfl ausdrückte: "Es wird beantwortet, wonach gefragt wird." So hat die Öffentlichkeit etwa nur durch eine Anfragebeantwortung erfahren, dass das von der einstigen ÖVP-Regierungsseite initiierte "Familienfest" am 1. Mai in Schönbrunn mehr gekostet hat als angegeben – rund 301.000 Euro nämlich.

Entgegen der "Bierlein"-Doktrin kündigte Innenminister Wolfgang Peschorn Reformen an.
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Im Gedächtnis werden auch jene Nationalratssitzungen bleiben, die von den Parteien im freien Spiel der Kräfte genutzt wurden. Mehrere Milliarden Euro sind so in den unterschiedlichsten Konstellationen verteilt worden. "Kasinoparlamentarismus" nennt das Werner Zögernitz vom Institut für Parlamentarismus. Die Übergangsregierung trifft hier keine Schuld. Die Aktivität der Nationalratsabgeordneten hätte überrascht, erzählt ein Regierungsmitglied. Man sei mit dem Vorhaben angetreten, einer neuen Regierung keine Schulden zu hinterlassen – und dann hätten die Parteien selbst dafür gesorgt.

Die Geschehnisse im Nationalrat offenbarten einen weiteren Nachteil. "Die Begutachtung von Vorhaben ist völlig weggefallen", sagt Zögernitz. Im stillen Kämmerlein seien Abänderungsanträge von den Parteien eingebracht worden. Transparenz? Nicht vorhanden. Was ebenso fehlt: die Expertise der Fachleute aus den Ministerien. "Sie kommen nicht zum Zug", sagt Zögernitz. "Es ist nur parteipolitisch und nicht staatspolitisch gedacht worden", kritisiert der Parlamentarismusexperte.

Zuletzt hat der Justizminister öffentlich darunter gelitten. Bei der Nationalratssitzung knapp vor der Wahl beklagte Clemens Jabloner angesichts des von ÖVP und FPÖ paktierten Gewaltschutzpakets einen "zivilisatorischen Rückschritt", dessen Inhalte "die gesamte Fachwelt" ablehne. Was hingegen unisono mit den Stimmen aller Parlamentsparteien durchging, ist die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft für die Nachfahren von NS-Opfern. Per Entschließungsantrag wurde Innenminister Wolfgang Peschorn zur gesetzlichen Umsetzung verpflichtet. De facto haben Politiker und Ministerialbeamte im Hintergrund seit längerem gemeinsam daran gearbeitet.

Musste umsetzen, was der Vorgänger festgelegt hat: Bildungsministerin Iris Rauskala.
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Einige der parteifreien Minister legen ihren Job als den eines Sanierers an. Verteidigungsminister Thomas Starlinger etwa hatte gleich zu Amtsantritt eine Soll-und-Haben-Rechnung für das Bundesheer vorgelegt – und vor einer drohenden Pleite gewarnt. Ein Auftritt, der im Kreis der Kollegenschaft durchaus für Diskussionen sorgte, wie zu hören ist. Die Konsequenz, die Starlinger als Akutmaßnahme ziehen wollte, ließen ihm die Parteien dann ohnehin nicht durchgehen. Also fand die Airpower in Zeltweg auch heuer wieder statt. Und auch die Sicherheitsschule in Wiener Neustadt durfte wie geplant eröffnen. Sehr zum Unmut des Ministers, ist zu hören.

Aufräumen als Pflicht

Im Juni, kurz bevor sich das Kabinett Bierlein zum ersten Mal in der Präsidentschaftskanzlei einfand, hatte Van der Bellen bei dessen Zusammensetzung noch ein kräftiges Wort mitgeredet. Das alleine reichte nicht immer. Insbesondere bei der Besetzung des Innenministeriums sollen die ersten "Bewerber" nicht auf parteienübergreifende Zustimmung gestoßen sein. Erst mit Wolfgang Peschorn fand man zu einem türkis-rot-blau-pinken Konsens. Und der war von immanenter Wichtigkeit: Einen neuerlichen Misstrauensantrag sollte es unter keinen Umständen geben.

Wie der Kollege aus dem Verteidigungsressort empfindet auch Innenminister Peschorn Aufräumen als seine Pflicht. Bei einem "ZiB 2"-Auftritt erklärte er ganz entgegen der "Bierlein-Methode" (laut Definition des Regierungssprechers: ruhig und unaufgeregt), die Neuordnung des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vorantreiben zu wollen. Es war eines der wenigen Interviews aus dem Kreis der Expertenminister. In den allermeisten Fällen überlässt man lieber Sprecher Winterstein das Wort – auch nach den wöchentlichen Ministerräten.

Umweltministerin Maria Patek (links) mit Jane Goodall und Alexander Van der Bellen: Sie muss bis Dezember den österreichischen Klimaplan nachbessern.
Foto: APA/Schlager

Dass ihnen jetzt mitunter Mutlosigkeit vorgeworfen wird, ärgert manchen Übergangsminister. Auch dass man ab Minute eins mit der Beifügung "Übergang" leben muss, gefällt nicht. Nicht nur, dass die Verfassung eine solche Zuschreibung gar nicht vorsieht. Immerhin stehen und standen während ihrer Regierungszeit auch eine Reihe wichtiger internationaler Termine an – etwa die Bestellung der neuen EU-Kommissionspräsidentin. Im Oktober stellt man sich auf die nächsten langen Nächte ein. Brexit lässt grüßen! Zuletzt besuchte Bierlein gemeinsam mit dem Bundespräsidenten die Uno-Generalversammlung in New York, diesmal ganz im Zeichen des Klimaschutzes. Ein Bereich, in dem Österreich allerdings noch säumig ist. Bis Dezember muss Umweltministerin Maria Patek der EU-Kommission einen überarbeiteten Klima- und Energieplan vorlegen. Revolutionäres ist nicht zu erwarten: Anders als zahlreiche Wissenschafter, denen konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der darin definierten Ziele fehlen, bewertete Patek bereits die Erstfassung als "positiv".

Wenn dann endlich die neue Regierung steht, sollen den Nachfolgern gut geführte Häuser samt To-do-Liste der anstehenden Aufgaben übergeben werden.Ob dann die goldene chinesische Katzenfigur in Bierleins Büro noch winkt? Die Batterie hält sechs Monate. (Peter Mayr, Karin Riss, 2.10.2019)