"Get Brexit done!", verkünden Spruchbänder vor dem Kongresszentrum in Manchester. Hier schwören Premier Boris Johnson und seine Minister seit Sonntag das eigene Fußvolk und die Nation auf das Ende der britischen Ungewissheit über den geplanten EU-Austritt ein.

Boris Johnson: Zollkontrollen an irischer Grenze nötig.
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Wann immer die Redner Gewissheit predigen, ist ihnen die Begeisterung der Delegierten gewiss. Austritt Ende Oktober "mit oder ohne Deal", ruft Brexit-Minister Stephen Barclay; Austritt "ohne Wenn und Aber", schwört Finanzminister Sajid Javid; Austritt für die "Befreiung des Landes", kräht Außenminister Dominic Raab.

Ganz abgesehen von der Tatsache, dass selbst ein zum Monatsende tatsächlich vollzogener Austritt jahrelange Debatten über die Zukunft des Landes nach sich ziehen wird, bleiben unbequeme Fakten unerwähnt. Dazu zählt, dass der Premier Ende Juli die Führung einer Minderheitsregierung geerbt und wenig später mutwillig weitere 22 Fraktionsmitglieder eingebüßt hat. Wenn er tatsächlich, wie stets behauptet, eine Einigung über einen neuen Vertrag mit der EU herbeiführen will, würde Johnson besser den Dialog mit der Opposition suchen und mit Brüssel verhandeln als dem Jubelfest in der nordenglischen Metropole vorzusitzen.

Zehn bis 15 Kilometer breiter Korridor

Nach Johnsons Abschlussrede in Manchester wollen die Briten endlich einen neuen Vorschlag machen, wie sie sich das zukünftige Verhältnis vorstellen. Dass dazu neue Zollkontrollstellen in einem zehn bis 15 Kilometer breiten Korridor entlang der inneririschen Grenze zählen, hat Johnson am Dienstag zwar dementiert; ganz falsch sind aber die Leaks aus Brüssel nicht. Jedenfalls bestätigte Johnson der BBC: "Zukünftig muss es Zollkontrollen geben." Schließlich müsse ein souveränes und geeintes Land aus einem geschlossenen Zollterritorium bestehen.

Damit werde die bisher offene Grenze und damit der Frieden in der einstigen Bürgerkriegsprovinz gefährdet, hieß es in Dublin und Belfast. Von einem "Rohrkrepierer" sprach Irlands Vizepremier Simon Coveney. "Völlig inakzeptabel", sagte die Leiterin der größten Nationalistenpartei Sinn Féin, Mary Lou McDonald.

Ist auf die einst als zuverlässig geltenden Briten kein Verlass mehr? Der Verdacht geht um, Johnson suche nach Sündenböcken, denen er den insgeheim angestrebten Chaos-Brexit aufbürden kann. Die Opposition im Unterhaus dürfte auf jeden Fall dazugehören; jedenfalls verteidigt der Premier seine aggressive Wortwahl gegen deren "Kollaboration" mit der EU und "Kapitulation" vor Brüssel.

Die Verwandlung

Natürlich wird Johnson am Mittwoch auch nicht in London die Fragen der Opposition beantworten, wie es der parlamentarische Zeitplan vorsieht. Stattdessen vollendet er mit seiner Abschlussrede auf dem Parteitag die Verwandlung der Konservativen – zuverlässig, patriotisch, an Recht und Gesetz orientiert – in die Brexit-Partei: unberechenbar, nationalistisch, für den EU-Austritt den Rechtsbruch in Kauf nehmend und den Frieden in Nordirland aufs Spiel setzend.

Der Onlineplattform Britain Elects zufolge liegen die Tories im Durchschnitt der jüngsten Umfragen bei 33 Prozent und damit neun Punkte vor Labour (24). Auf den Plätzen folgen die Liberaldemokraten (20) sowie die echte Brexit-Party (12), das neue Vehikel des früheren Ukip-Chefs Nigel Farage.

Die Gefahr von ganz rechts dürfte einer der Hauptgründe für Johnsons kompromisslosen Kurs sein. "Get Brexit done" – alles andere ist egal. (Sebstian Borger, 1.10.2019)