Sebastian Kurz hat nun die Qual der Wahl: Mit wem will wer? Wen oder was schließt er aus?

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Die Wahlen sind geschlagen, die Koalitionsgespräche zwischen den Parteien gehen demnächst los. Die Türkisen haben zwar mehrere Optionen offen, mit den möglichen Koalitionspartnern könnte es in einigen Bereichen jedoch nur schwer zu Übereinstimmungen kommen. DER STANDARD hat sich die Positionen der Parteien in den Bereichen Steuern, Klima, Migration und Pensionen angeschaut und mit jenen heimischer und internationaler Experten verglichen.

1. Steuern senken wollen alle – ÖVP und FPÖ taten sich am leichtesten

Bei Ökonomen herrscht Einigkeit darüber, was sich im Steuersystem ändern muss. Die Belastung des Faktors Arbeit muss sinken, sagen Währungsfonds, Industriestaatenorganisation OECD und Wifo in Österreich unisono. Gibt ein Arbeitgeber 100 Euro für einen seiner Angestellten aus, nimmt der Dienstnehmer im Schnitt 52,6 Euro mit nach Haus. Die Differenz ist nur in wenigen Industrieländern so groß. Während Arbeit entlastet gehört, sollten im Gegenzug Vermögen- und Erbschaften sowie Emissionen höher besteuert werden.

Türkis-Rot: Keine Chance auf Annäherung gibt es bei Vermögens- und Erbschaftssteuern, die von der SPÖ gefordert werden. Beides ist für die Volkspartei ein rotes Tuch. Allerdings ist das kein schwerwiegendes Hindernis. Die SPÖ hatte sich in der großen Koalition bereits damit abgefunden, dass sie mit dieser Forderung abblitzt. Ansonsten gibt es Gemeinsamkeiten. Arbeitnehmer entlasten wollen ÖVP wie SPÖ, beide Parteien ticken hier recht ähnlich. Eine Senkung der Tarife in den Steuerstufen wäre wohl schnell ausverhandelt. Auch bei Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge waren beide Seiten zuletzt weitgehend einig. Wenn Arbeitnehmer was bekommen, wird es auch für Unternehmen was geben müssen: Das wird auch der SPÖ vermittelbar sein.

Türkis-Grün: Als Knackpunkt gilt die Frage, ob sich Grüne und Türkise auf eine höhere Besteuerung von Emissionen einigen könnten. Die Grünen plädieren für eine CO2-Steuer, die ÖVP ist dagegen. Im Wahlprogramm der Ökopartei wurden keine Zahlen dazu genannt, wie hoch die Abgabe sein soll. Das ließe Koalitionsverhandlern Spielraum: Wenn die ÖVP akzeptiert, dass Emissionen teurer werden, könnten die Grünen akzeptieren, dass die Teuerung moderat ist. Doch es gibt mehr Schwierigkeiten. Die Grünen wollen klimaschädliche Steuervorteile streichen, etwa das Dieselprivileg. Die Mineralölsteuer für Diesel ist niedriger als für Benzin. Ob die ÖVP mitzieht? Die Ökopartei will Flugtickets verteuern – unter ÖVP-Ägide wurde die Flugticketabgabe halbiert.

Türkis-Blau: Die Erfahrung der vergangenen zwei Jahre lehrt, dass sich Türkis und Blau beim Thema Steuern leichtgetan haben, weil beide Parteien darin übereinstimmen, dass der Staat weniger besteuern soll. Die geplanten Steuersenkungen waren schon ausverhandelt, dann kam erst Ibiza. Auch darüber, dass es keine neuen Abgaben geben soll, war man sich einig. Eine Ausnahme ließ man zu: die Onlinewerbeabgabe, die vor allem Google und Facebook treffen sollte. Allerdings haben die Altkoalitionäre davon profitiert, dass 2016 bis 2018 die Konjunktur stark angezogen hat. Die Steuereinnahmen haben zugelegt, ÖVP und FPÖ hatten also auch Spielräume, um zu entlasten, was Kompromisse massiv erleichterte.

2. Die ÖVP setzt auf Härte bei Migranten und will ausländische Arbeitnehmer anlocken – mit wem klappt das?

Obwohl Österreich ein Magnet für ausländische Arbeitskräfte war, gibt es weiter Bedarf. Aktuell gibt es 45 bundesweite Mangelberufe, das heißt, dass Unternehmen offene Stellen schwer besetzen können. Vor allem technische Berufe sind gefragt. Ein altes Streitthema ist die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte, die unter anderem qualifizierten Arbeitnehmern aus Drittstaaten den Zuzug ermöglicht. Die Hürden wurden zwar zuletzt gesenkt, gelten aber weiter als hoch. Bedarf gibt es auch bei Integration. Im internationalen Vergleich tut sich Österreich laut OECD schwer, junge Zuwanderer zu integrieren.

Türkis-Rot: In einigen Migrationsfragen haben SPÖ und ÖVP problemlos zueinandergefunden, die jahrelangen Verschärfungen beim Zugang zur Staatsbürgerschaft haben beide Seiten mitgetragen. Unterschiedlich positionieren sich beide Parteien bei der Zuwanderung von Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Ländern. Angetrieben von der Gewerkschaft steht hier vor allem die SPÖ auf der Bremse. "Die Regierung holt 150.000 Zuwanderer ins Land", warnte die SPÖ im Jänner 2018, als sich ÖVP und FPÖ auf Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte einigten. Das Zuwanderungsrecht werden Türkis und Rot nur schwer reformieren können.

Türkis-Grün: Die Grünen fordern ein Bleiberecht für Asylwerber-Lehrlinge. Die ÖVP hat abgeblockt und sogar den Zugang zur Lehre für Asylwerber gesperrt. Vor der Wahl der Schwenk: Auch die Volkspartei will nun, dass die Asylwerber ihre Ausbildung fertigmachen dürfen. Hier könnte die ÖVP den Grünen einen Triumph gönnen. Ansonsten wird es schwer. Grün könnte sich auf die Formel "Integration vor Neuzuzug" einlassen. Dafür müsste die ÖVP bereit sein, in Integration zu investieren. Türkis-Blau hat Familien, die nicht gut Deutsch sprechen, die Mindestsicherung gekürzt- ob die ÖVP das zurücknehmen würde, ist fraglich.

Türkis-Blau: Bei Migration haben Türkis wie Blau auf Härte gesetzt und damit viele Gemeinsamkeiten gefunden. So haben beide Parteien symbolträchtig die Ausgaben für Deutschkurse beim Arbeitsmarktservice AMS stark runtergekürzt. Doch hinter den Kulissen gab es auch Differenzen. Die freiheitliche Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hatte etwa laut darüber nachgedacht, Asylberechtigte zu Arbeiten in land- und forstwirtschaftlichen Bereichen zu verpflichten. In der ÖVP war das Entsetzen über den Vorschlag groß. Ein liberales Zuwanderungsrecht für Qualifizierte ist mit der FPÖ ebenfalls nicht zu haben.

Für Kurz gibt es mehrere Koalitionsoptionen.
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3. Pensionsreform steht bei keiner der Allianzen auf der Tagesordnung

Wenn es um die Pensionen geht, klaffen nationale und internationale Wahrnehmung auseinander. Während Institutionen wie EU-Kommission, OECD, IWF, aber auch zahlreiche österreichische Einrichtungen auf die steigenden Kosten durch die Alterung hinweisen, reagiert die Politik nicht oder kaum. Auch die erst bis 2033 vorgesehene Angleichung des gesetzlichen Frauenpensionsalters an das der Männer wurde in den letzten Jahren nicht angefasst, obwohl dadurch das Einkommen der Frauen im Ruhestand gemindert wird.

Türkis-Rot: Allzu lange ist es nicht her, dass ÖVP und SPÖ regierten. Aus den Jahren bis zur Wahl 2017 weiß man, dass vor allem die damaligen Schwarzen auf Anpassungen im Pensionssystem drängten, während die Roten mauerten. Das gilt insbesondere für die Anpassung des gesetzlichen Pensionsalters an die steigende Lebenserwartung – einfacher ausgedrückt: Wenn die Menschen älter werden, können sie auch länger arbeiten. Die alte ÖVP forcierte eine solche automatische Anpassung, die neue ÖVP hat sich davon verabschiedet. Als Trennlinie könnte sich das von den Türkisen forcierte Pensionssplitting herausstellen, bei dem die Beiträge von Lebenspartnern verpflichtend zusammengerechnet und dann halbiert werden. Die SPÖ ist gegen das Modell.

Türkis-Grün: Bei den Pensionen gibt es zwischen ÖVP und Grünen Trennlinien und Schnittmengen. So zählt das Pensionssplitting auch zu den Forderungen des potenziellen Juniorpartners in der Regierung. Weniger Harmonie gibt es hingegen bei einem anderen Vorschlag der Grünen: Denn das "zentrale Element" in ihrem Modell ist die Einführung einer steuerfinanzierten Grundpension in Höhe von 900 Euro ab einem Alter von 65 Jahren. Jene Ansprüche, die über Beitragsleistungen erworben wurden, sollen den genannten Betrag auffetten. Damit soll die Altersarmut drastisch reduziert werden. Die ÖVP hat heuer zwar eine Mindestpension von 1.200 Euro mitbeschlossen, allerdings wird diese erst nach 40 Versicherungsjahren fällig.

Türkis-Blau: Die Wiederaufnahme von Türkis-Blau würde wohl eine Fortsetzung der bisherigen Politik bringen: kleine Schritte zur Anpassung des tatsächlichen Pensionsalters an das gesetzliche, späterer Zugang zur Altersteilzeit und kräftige Anhebungen kleinerer Pensionen. Zur türkisen Forderung nach einem Pensionssplitting hat sich die FPÖ nie eindeutig geäußert. Bei der ÖVP ist auch nicht immer ganz klar, was sie will. Kürzlich stimmte sie u. a. mit der FPÖ dafür, dass man künftig nach 45 Jahren Arbeit abschlagsfrei in Frühpension gehen kann. Danach distanzierte sich die Volkspartei davon. Man habe nur zugestimmt, weil die Passage im gleichen Antrag wie die Extraanpassung der Pensionen gewesen sei.

4. Beim Klima wird es mit den Grünen schwierig

Beim Thema Klimaschutz ist in Österreich zuletzt viel zu wenig weitergegangen, da sind sich Experten einig. Die Republik liegt im EU-Vergleich bei der Emissionsreduktion im letzten Drittel. Der von Türkis-Blau vorgelegte Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans wurde von der EU-Kommission in weiten Teilen kritisiert. Die darin genannten Maßnahmen würden nicht ausreichen, um die nationalen Klimaziele zu erreichen, sagte auch das Forschungsnetzwerk Climate Change Center Austria (CCCA). Nach den Angaben der Wissenschafter wären wesentlich tiefgreifendere Maßnahmen notwendig, um Österreich auf einen Zielpfad gemäß den Pariser Klimazielen zu bringen. Dazu gehören eine ökologische Steuerreform oder eine Verringerung der Höchstgeschwindigkeiten.

Türkis-Grün: Beim Thema Klimaschutz könnten die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen schwierig werden, haben Letztere die gesetzten Maßnahmen der Regierung Kurz stets als zahnlos kritisiert. Viel Gegenwind gab es seitens der Grünen beispielsweise für das von Türkis-Blau beschlossene Standortentwicklungsgesetz. Dieses "ist zurückzunehmen", wie es im grünen Wahlprogramm heißt. Für die Türkisen war nicht nur das Gesetz eine Herzensangelegenheit, sondern auch damit verbundene Großprojekte wie der Bau der dritten Piste am Flughafen Schwechat. Diese wollten die Grünen von jeher verhindern. Unterschiede gibt es zwischen den Parteien auch beim Thema Klimaneutralität: Während die ÖVP das Jahr 2045 anstrebt, wollen die Grünen bereits 2040 "Netto-Null" erreichen.

Türkis-Blau: Zwischen den ehemaligen Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ dürfte sich das Griss um das Thema Klimaschutz im Zaum halten – während der letzten Legislaturperiode herrschte weitgehend Einigkeit. Mit dem Parteiausstieg von Heinz-Christian Strache ist den Blauen nun jedenfalls einer der größten Skeptiker des menschgemachten Klimawandels abhandengekommen. Klimapolitisch würden die zwei Parteien den bisherigen Kurs wohl fortsetzen. Türkis und Blau sind sich etwa einig, dass die Einführung einer nationalen CO2-Steuer nicht sinnvoll wäre, durch die Mineralölsteuer gebe es bereits eine Klimaabgabe. FPÖ-Chef Norbert Hofer will Tempo 140 auf mehreren Autobahnstrecken ausweiten – seitens der ÖVP gab es trotz höherer Emissionswerte auch bei ersten Tests keine lauten Proteste.

Türkis-Rot: Einen großen Kampf dürften Umweltthemen bei Koalitionsgesprächen zwischen ÖVP und SPÖ wohl nicht entfachen. Die Roten haben sich in den vergangenen Jahren – und auch während des Wahlkampfs – kaum für das Thema erwärmen können. Beide Parteien lehnen mit Blick nach Brüssel eine CO2-Steuer auf nationaler Ebene ab. Das größte Klimavorhaben, das die SPÖ im Wahlkampf propagierte, war das Österreichticket für den öffentlichen Verkehr. Für die Volkspartei war das zwar bisher kein Thema, sie setzt vielmehr auf Wasserstoff, um nationale Klimavorgaben zu erreichen. Ein Streitpunkt könnte die Streichung klimaschädlicher Subventionen sein. Während sich die Roten für eine rasche Abschaffung der Mittel aussprach, hat die Regierung Kurz keine entsprechenden Maßnahmen gesetzt. (Nora Laufer, Andreas Schnauder, András Szigetvari, 2.10.2019)