Neu will die Volkspartei sein, neu könnte auch die Koalition werden: Ein Comeback von Türkis-Blau ist derzeit die unwahrscheinlichste Variante.

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Die Einladung war listigerweise unkonkret formuliert: Ein Statement nach einer Sitzung des Bundesparteivorstands, so etwas wie der Chefetage der ÖVP, war für den frühen Dienstagnachmittag angekündigt. Die meisten Journalisten gingen davon aus, dass der Parteichef selbst vor die Medien treten würde, dementsprechend viele sind gekommen. Schließlich lechzt die Öffentlichkeit nach Informationen, mit wem Wahlsieger Sebastian Kurz künftig zu regieren gedenke.

Vor die Kameras tritt aber nicht Kurz, sondern Karl Nehammer. Der Generalsekretär weist sicherheitshalber – wurde das denn schon gesagt? – darauf hin, dass am Wahlsonntag jene "vom Volk abgestraft" worden seien, die den Kanzler zuvor im Nationalrat kaltblütig abgewählt hatten. Außerdem habe er noch "spannende" Zahlen und Fakten parat, versucht Nehammer die Erwartungen zu schüren, als stünde die Nation unmittelbar vor der ersten Hochrechnung an einem Wahlsonntag. Auf dem Bildschirm an seiner Seite schießen die Balken des endgültigen Wahlergebnisses empor, auch eine Karte mit den Bezirksergebnissen ist zu sehen. Außer den notorisch andersfärbigen Bezirken Wiens und den oberösterreichischen Ballungsräumen Linz, Wels und Steyr ist das ganze Land türkis.

Start frühestens nächste Woche

Für die künftige Regierung wird das trotz der zelebrierten Erfolge nicht gelten. Kurz braucht einen Koalitionspartner, zur Wahl stehen SPÖ, FPÖ, Grüne und als eine Art Beiwagerl vielleicht auch die Neos. "Wir schließen niemanden aus", sagt Nehammer, "wir laden alle zu Gesprächen ein."

Geschehen soll Letzteres, nachdem sich Sebastian Kurz den Auftrag zur Regierungsbildung abgeholt hat. Der Chef der stimmenstärksten Partei hat am Mittwochvormittag zwar bereits einen ersten Termin bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen, das Signal zum Start wird das Staatsoberhaupt allerdings frühestens am Montag geben. Nach erteiltem Auftrag will sich die ÖVP zuallererst an die nächststärkste Partei wenden, das ist die SPÖ.

Echte Verhandlungen werden das nicht sein, sondern erst einmal nur "Sondierungsgespräche", um herauszufinden, mit wem ein Pakt am wahrscheinlichsten ist. Ob die Annahme der Grünen da realistisch ist, wonach die Regierungsbeteiligung sogar bis Ostern im kommenden Jahr dauern könnte? Es sei wichtig, dass man sich Zeit nehme, sagt Nehammer: Spekulationen über die Länge der Verhandlungen seien schlicht unnötig.

Eine Präferenz lässt sich Nehammer auch bei der Koalitionsfrage nicht entlocken. Im Parteivorstand sei offen über alle Varianten gesprochen worden, das Nein aus der FPÖ zu einer Regierung beeindruckt die Türkisen vorerst offenbar nicht. Auch die ehemalige Koalitionspartei werde zu Sondierungsgesprächen eingeladen, sagt der Generalsekretär, der den am Dienstag von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache angekündigten "völligen Rückzug aus der Politik" sinngemäß mit "Kein Kommentar" kommentiert: "Das ist Sache der FPÖ, wir nehmen das zur Kenntnis."

Eine Frage der Stabilität

Vorliebe lassen auch die Landeshauptleute nicht erkennen, die beim Parteivorstand dabei sind. Ein gewisser Vorschuss für die türkis-grüne Variante darf aber angenommen werden, nicht nur deshalb, weil dieser Koalition das Image des Neuen und Unverbrauchten anhaften würde. Während die Grünen einen Wahlsieg auskosten können, sind SPÖ und FPÖ mit Aufräumarbeiten unbestimmter Dauer beschäftigt. Ob diese beiden Parteien eine langfristige Stabilität bieten können, scheint aus heutiger Sicht fraglich. Da wie dort drohen innerparteiliche Scharmützel.

Ein ÖVP-Politiker gießt auf roter Seite da etwas Öl ins Feuer. Oberösterreichs Parteigeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer geht nicht davon aus, "dass in einer Woche Pamela Rendi-Wagner noch SPÖ-Bundesparteichefin ist". Das sage ihm sein "Bauchgefühl", nachdem ihr "engster Vertrauter Thomas Drozda" so schnell nach der Wahlschlappe "weg war". In Bezug auf mögliche Regierungskoalitionen meinte er, dass es natürlich einen "Unterschied macht, ob man mit Rendi-Wagner oder Hans Peter Doskozil redet". Präferenz solle aber auch diese Aussage keine sein.

Eine andere Rolle, jene der Mahnerin, übernimmt Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Sie halte es für bedenklich, wenn man von Vertretern einzelner Parteien schon wenige Stunden nach den Wahlen höre, dass sie keine "Regierungsverantwortung" übernehmen wollten – noch bevor es überhaupt Gespräche gegeben habe.

Nehammer ergänzt noch, dass man sich im Vorstand gegenseitig für den Einsatz im Wahlkampf gedankt habe. Ob es weitere Fragen gebe? Reaktion einer Journalistin: "Nein, wenn es keine Antworten gibt." (Gerald John, 2.10.2019)