Beim Thema Hund fallen einander Rechte (Fredrik Jan Hofmann) und Linke (Julia Gräfner) sogar in die Arme.

Lex Karelly

Vernon Subutex. Dass mit einem Mann dieses Namens etwas schieflaufen würde, war klar. Immerhin ist Subutex die Bezeichnung einer Ersatzdroge für Heroin. Aber Vernon, der Endvierziger aus Paris und fauler Titelheld im Erfolgsroman von Virginie Despentes, hat weniger ein Drogenproblem als vielmehr eines mit dem normalbrutalen Fortgang der Welt. Die Digitalisierung fegte seinen Plattenladen weg, jetzt ist er arbeits- und wohnungslos. Anpassung war aber noch nie seins. So schaut er unbeteiligt dem Rückzug einer, seiner Welt zu, in der Rock und Punk noch als Versprechen von Freiheit und Revolution funktionierten. So war das mal, Oida!

Um den passiven Titelhelden tobt umso lauter ein ihm zugehöriges Milieu kaputter Film- und Musikmenschen. Dieses Panorama schillernder Gestalten weiß auch die rauschhafte, mit Unter- und Drehbühne, Projektionen und Livekameraeinsatz operierende Inszenierung von Alexander Eisenach am Schauspielhaus Graz zu nutzen.

Sie führt entlang von Livemusik und psychedelisch illustriert die markantesten Figuren zueinander: einen Drehbuchschreiber mit rechtsradikalem Wutausbruch, eine Pornodarstellerin mit zum Islam konvertierter Tochter, obdachlose Lottogewinner, zwielichtige Journalistinnen und Detektivinnen, einen machtgeilen Filmproduzenten und seinen zu den Gegnern überlaufenden Sohn. Mit dabei ist auch ein toter Musiker, genannt Alex Bleach, der Subutex ein Konvolut brisanter Tonbandaufnahmen hinterlässt, was die Handlung am Laufen hält.

Neue Hippie-Bewegung

Despentes erzählt hier von einer erodierenden Mittelstandsschicht der Kulturindustrie, die sich neu orientieren muss. Duale Geschlechterrollen genügen nicht mehr, Religionen werden wieder Thema, rechte Positionen finden Gehör. Dabei bleibt Subutex ein unbeschriebenes Blatt und dient rein als Projektionsfläche seiner "Gang", die ihn bald zum Idol stilisiert. Ein Penner als Prophet in unruhigen Zeiten? Das ist der Clou der Romantrilogie, die am Ende eine wackelige Hippie-Bewegung hervorbringt.

Regisseur Eisenach, im Aufschlüsseln großformatiger Romanadaptionen versiert (Frequenzen, 2016; Der Zauberberg, 2018), bleibt über vier Stunden lang fokussiert und setzt in seiner Bühnenfassung gezielt Wut frei. Das tut gut! Während Subutex, dargestellt von The-Base-Bandleader Norbert Wally, schläfrig an der Gitarre wehklagt, steigern sich die Menschen rundherum in panische Redeanfälle, die dem Publikum ungeschönt um die Ohren fliegen.

Und zwar in der für Despentes berüchtigten "strong language". Es wird auf "Kanaken", schwule "Bobo-Ärsche" und den Islam geschimpft, auf "fiese Fascho-Wichser" und fadisierte Jungmütter, auch das N-Wort fällt und wird kommentiert. Das Grazer Theaterpublikum ist aber durch nichts aus der Fassung zu bringen. Dennoch hat Intendantin Iris Laufenberg Mut bewiesen, diesen deftigen Vierstünder ins Repertoire zu nehmen.

Gemeinsamkeiten finden

Einer der stärksten Momente des Abends ist die Begegnung des Drehbuchschreibers Xavier (Fredrik Jan Hofmann) mit der Obdachlosen Olga (Julia Gräfner). Nachdem die beiden sich aufs Grässlichste beschimpft haben – er mit rechtsradikaler Schlagseite, sie eine entschiedene Menschenfreundin – fallen sie einander in die Arme, in der Trauer über ihre jeweils kürzlich verstorbenen Hunde. Gemeinsamkeiten lauern eben hinter noch so abschreckendsten Fassaden.

Vernon Subutex, sofort nach seinem Erscheinen 2017 (Deutsch) auch von den Theaterhäusern entdeckt, verpasst entlang eines B-Movie-Plots allen politischen Subjekten der Gegenwart eine Abreibung. Diese Energie weiß Eisenach für die Bühne zu retten, auch wenn man am Ende froh ist, die Schreihälse wieder los zu sein. Unbedingt bis zum fabelhaften Schlussbild bleiben! (Margarete Affenzeller, 2.10.2019)