Graue Dächer aus Zink, so weit das Auge reicht. Darüber ein mausgrauer Himmel. Ein etwas nüchternes Bild, das den Zuschauern der Chanel-Show am Dienstagmorgen geboten wurde. Doch die Dächer von Paris sollten nun einmal das Setting für die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2020 sein, und an den meisten Tagen im Jahr sieht der Himmel über ihnen tatsächlich genau so aus.

Dennoch fehlte der Show diesmal das gewohnt Spektakuläre – abgesehen vielleicht vom ungeplanten Auftritt der Youtuberin Marie Benoliel, die sich am Ende einfach auf den Laufsteg schmuggelte. Es kam weder Rauch aus den kleinen Schornsteinen, noch saßen Tauben auf den Dächern. Eine vergleichsweise schlichte Inszenierung, wenn man da etwa an den Karibikstrand denkt, bei dem echte Wellen ans Ufer schwappten. Es war, als wollte sich Chanel nach dem Tod von Karl Lagerfeld am 19. Februar besinnen und sich auf seine Ursprünge berufen.

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Marie Benoliel schmuggelte sich am Ende der Chanel-Show auf den Laufsteg.
Foto: Reuters/Fuentes

Die liegen ohne Zweifel in Paris. Über die Dächer spazierte somit eine klassische Pariserin, wie sie im Buche steht: Sie trägt kleine Hüte, maritime Streifen und knöchelfreie Bundfaltenhosen. Es war die erste Prêt-à-Porter-Kollektion aus der Feder von Lagerfelds Nachfolgerin Virginie Viard. Sie verjüngte den Chanel-Look, indem sie die typischen Tweedkostüme in knappe Kombishorts verwandelte und insgesamt auf kurze Rocklängen setzte.

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Chanel ist bekannt für aufwendige Setdesigns. Diesmal war die Kulisse für die Modeschau in Paris vergleichsweise schlicht: Die Models liefen über eine Dachlandschaft.
Foto: reuters/fuentes

Es waren hübsche, tragbare Looks. Doch man kam nicht umhin zu denken, dass dies eine Art Übergangsphase ist. Dass Virginie Viard den Laden am Laufen hält, bevor irgendein Stardesigner, jemand wie Phoebe Philo zum Beispiel, die Marke in ein neues Zeitalter führt.

Auch rund sieben Monate nach seinem Tod hört die Modewelt nicht auf, Karl Lagerfeld zu gedenken. Neben der Fotoausstellung Lagerfeld. The Chanel Shows von Simon Procter gab es eine erneute Ehrenveranstaltung. "A Tribute To Karl Lagerfeld: The White Shirt Project" ist eine Sammlung sieben weißer Hemden, designt von Persönlichkeiten wie Carine Roitfeld, Diane Kruger oder Takashi Murakami. Das weiße Hemd steht sinnbildlich für den unverkennbaren Stil von Lagerfeld. Der Erlös geht an Sauver la Vie, ein medizinisches Forschungsprogramm, das von ihm unterstützt wurde.

Seventies-Flair und Nachhaltigkeit

Aber auch ohne Karl dreht sich das Modekarussell weiter. Dank Hedi Slimane und Anthony Vaccarello erleben zum Beispiel die 70er-Jahre gerade ihr großes Revival. Slimane, Kreativdirektor von Céline, zeigte am Invalidendom einen bourgeoisen Look aus Schluppenblusen, Hippie-Westen, ausgestellten Hosen und femininen Faltenröcken. Schon in der letzten Saison hatte er mit diesem erwachsenen Look für Begeisterung gesorgt und viele Kritiker zum Schweigen gebracht, die ihm vorwarfen, ewig dasselbe Teenager-Rockstar-Design zu machen.

Céline zeigte von den 70er-Jahren inspirierte Stücke
Foto: apa/afp/samson

Auch die Kollektion von Vaccarello für Saint Laurent war von den Vibes der 70ies geprägt. Bei seiner Open-Air-Show am Trocadero ließ er die Models in goldschimmernden Hippie-Kleidern und kniehohen Stiefeln über den Catwalk laufen. Sie trugen im Nacken gebundene Kopftücher, die an den Stil von Yves Saint Laurents Muse Loulou de la Falaise erinnerten. Die beiden Ex-Topmodels Stella Tennant und Naomi Campbell in glänzenden Smokings bewiesen am Ende, dass Saint Laurent auch Mode für gestandene Frauen macht.

Die spektakuläre Lightshow und die riesige Bühne, die jedes Mal extra auf den Place de Varsovie gebaut wird, warfen allerdings Fragen auf. Immerhin hatte das Luxusunternehmen Kering, zu dem Saint Laurent gehört, am Tag zuvor verkündet, sich zur vollständigen Klimaneutralität zu verpflichten. Es möchte seine Treibhausgasemissionen sogar rückwirkend ab 2018 kompensieren. Wie aufwendige Shows wie die von Saint Laurent wettgemacht werden sollen, ist nicht ganz klar. Die Marke gab jedoch bekannt, dass für die Lightshow Biotreibstoff und erneuerbare Energien verwendet wurden. Immerhin ein Anfang.

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Naomi Campbell glänzte am Laufsteg in einem Saint-Laurent-Anzug.
Foto: Reuters/Fuentes

Die Pariser Schauen zeigten aber deutlich: Im Zeichen des Klimawandels ist Umweltbewusstsein auch für Luxuslabels zum wichtigen Verkaufsargument geworden. Maria Grazia Chiuri machte somit den Erhalt biologischer Vielfalt zum zentralen Thema der Dior-Show. Als Laufsteg diente ein Wald aus dutzenden von Bäumen, kreiert vom Pariser Umwelt- und Designkollektiv Coloco. Unter dem Motto #PlantingForTheFuture sollen die Bäume später zur Begrünung genutzt werden. Für die Kollektion hatte Chiuri passend dazu eine Gärtnerin im Kopf. Sie trägt kleine Strohhüte, Kleider aus Bastfransen und kurze Kombishorts mit klobigen Stiefeln, Espadrilles oder flachen Sandalen.

Für die Dior-Kollektion hatte man eine Gärtnerin im Kopf.
Foto: apa/afp/archambault

Die Französin Marine Serre geht das Thema Klimawandel noch radikaler an. Sie fragt sich, wie sich Menschen wohl anziehen werden, die in Bunkern die Klimakatastrophe überlebt haben. Serres Vision nach tragen sie Mundschutz und verwerten wieder, was sie finden können. Gehäkelte Tischdecken, Bettwäsche und Vorhänge verwandelt sie in Kleider und Tops. Ihre Welt ist außerdem so heiß geworden, dass sie Anzüge aus Handtuchstoffen tragen. Ein düsteres, aber leider gar nicht so unwahrscheinliches postapokalyptisches Szenario.

Marine Serre setzte auf postapokalyptische Ästhetik.
Foto: apa/afp/samson

Auch viele andere Labels zeigten mehr oder weniger umweltbewusste Kollektionen. Courrèges verwendet seit einem Jahr für seine Mode kein Plastik mehr und überraschte mit neuen, nachhaltigen Materialien aus Algen oder Fischhaut, die coolen Denim-Looks von Givenchy waren aus upgecycelten Stoffen geschneidert, und Stella McCartney zeigte ihre bislang umweltfreundlichste, zu über 75 Prozent nachhaltig produzierte Kollektion.

Den krönenden Abschluss machte die Show von Louis Vuitton am Dienstagabend, bei der Kreativdirektor Nicolas Ghesquière die Ära der Belle Époque wieder aufleben ließ. Kleider mit psychedelischen Mustern hatten lange Puffärmel und große Orchideen-Broschen an den Claudine-Krägen.

Bei Louis Vuitton gab es satte Farben und bunte Muster.
Foto: apa/afp/samson

Die riesige Bühne im Cour Carré du Louvre war komplett aus nachhaltigem Sperrholz gebaut.

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Die Bühne der Louis-Vuitton-Show.
Foto: Reuters/Fuentes

Natürlich darf man sich fragen, warum für eine fünfzehnminütige Show extra ein ganzes Gebäude gebaut werden muss, dennoch ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Bleibt zu hoffen, dass die Mode in Zukunft noch härtere Maßnahmen ergreift, um unseren Planeten vor noch mehr Verschmutzung zu bewahren. (Estelle Marandon, 2.10.2019)