Radikal und international gefragt: die Choreografin Florentina Holzinger.

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Was Florentina Holzinger tanzen lässt, ist nur selten jugendfrei. Das war es schon nicht, als sie 2011 – damals zusammen mit Vincent Riebeek – einen künstlerischen Raketenstart mit Kein Applaus für Scheiße hinlegte. Und jetzt, in der Ankündigung der Uraufführung ihres jüngsten Stücks mit dem lapidaren Titel Tanz, schreibt Veranstalter Tanzquartier Wien auf seiner Website: "Ab 18 Jahren."

Nach Arbeiten wie Agon und Apollon, in denen Holzinger die Ballett-Ikone Balanchine symbolisch um, sagen wir, einen George kürzer machte, wird sie mit Tanz weiter durch die Herrlichkeit der Tanzgeschichte pflügen. In Filippo Taglionis romantischem Ballett La Sylphide von 1832 hat Holzinger etwas gefunden, das sie begeistert: Menschen, die an Seilen hängen.

STANDARD: In Tanz arbeiten Sie wieder ausschließlich mit Frauen. Wollen Sie dieses Prinzip durchziehen?

Holzinger: Das wäre urarg! Es ist keine Regel. Aber ich habe festgestellt, dass ich gewisse Themen, die mir wichtig sind, so direkt ansprechen kann. Meine nächste Show nach Tanz wird endlich eine richtige Stunt-Show sein – und natürlich finde ich's viel interessanter, das mit Frauen zu machen als mit Männern.

STANDARD: Warum sind jetzt Sylphiden, also Luftgeister, Ihr Thema?

Holzinger: Wenn ich mir Stunting vorstelle, denke ich sofort an die Sylphiden! Dieser Gegensatz zwischen ihren schwerelosen Körpern und dem Prinzip "Everything that goes up must come down". In dem romantischen Ballett La Sylphide waren die Theatermechanismen wichtig. Sogar in Aufführungen von heute machen an Seile gehängte Ballerinen noch megacheesy Stunt-Acts.

STANDARD: Bei Apollon gab es eine Rodeomaschine auf der Bühne, jetzt schweben da Motorräder. Wird dabei das Männersymbol Maschine umgedreht?

Holzinger: So denke ich nicht. Im Privatleben fahre ich gerne Motocross. Das wird dann, so wie es bei Apollon auch mit dem Gewichtheben war, mit dem Maskulinen assoziiert. Dabei gibt es heute viele Frauen, die Gewichte heben – und ich mache das ebenfalls.

STANDARD: Sie hatten 2013 einen schweren Unfall auf der Bühne, sind kopfüber auf den Boden gestürzt. Hat Ihr heutiges Interesse für das Stunting damit zu tun?

Holzinger: Nach meinem Unfall hatte ich die Fantasie, das zu reenacten. Es muss eine so dumme Performance für die Zuschauer gewesen sein! Weil ich mich überhaupt nicht erinnere, wie es passiert ist, habe ich das Gefühl, ich will das nachvollziehen.

STANDARD: Um dieses Ereignis psychisch zu verarbeiten?

Holzinger: Irgendwie schon, denn da ist ein Loch in meinem Bewusstsein. Trotzdem habe ich nicht megalang daran herumlaboriert. Aber dieses Bedürfnis war nicht das einzige Motiv für Stunting. Ich bin mit Tarantino-Filmen und Ähnlichem aufgewachsen. Mich interessiert deren Darstellung von Gewalt als Fake-Variante, weil sie eine so distanzierte Art ist, auf Gewalt zu schauen. Beim Stunting geht es um die Illusion des Körpers im Flug oder den Körper, der Übernatürliches vollbringt.

STANDARD: Was hat es mit dem Plakatmotiv für Tanz auf sich – eine Frau mit aufgerissenem Rücken, aus dem das Rückgrat herausschaut?

Holzinger: Im Ballett muss die perfekte Form erfüllt werden, damit es Ballett ist – da öffnet die Ballerina ihren Körper und zeigt, was sie drinnen hat. Dann macht sie ihn wieder zu und ... Na ja, wir haben uns viele Horrorfilme aus den 1970ern reingezogen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Holzinger: In Wirklichkeit ist das Plakat einem Poster für Luca Guadagninos Suspiria-Film vom Vorjahr erschreckend ähnlich. Da sieht man, wie sich die Hauptfigur die Brust aufmacht. Schon der originale Suspiria-Film von Dario Argento 1977 war mir wichtig, weil ich's immer logisch fand, dass sich eine Hexengruppe in einer Tanzkompanie versteckt. Als Tänzer in der Ausbildung ist man oft mit sehr eigenartigen Praktiken konfrontiert und hat das Gefühl, man übt etwas, das sich anderen Leuten nicht erschließt.

STANDARD: Ist der Tanz eine Hexerei?

Holzinger: Beim Tanz kann die Bewegung funktional sein, aber da ist immer auch mehr. Was nimmt ein bewusster Körper wahr, und wie kann die Wahrnehmung geschult werden? Im Idealfall ist es dann so, dass ich in den Kopf von jemandem reinschauen oder sogar durch eine Wand sehen kann (lacht) – wenn ich sehr trainiert bin.

STANDARD: Sie führen die Dinge auf der Bühne gerne ad absurdum, oder?

Holzinger: Ja, auf jeden Fall! Es ist ja Theater! Es hat für mich schon etwas Humorvolles, dass sich Leute vor andere hinstellen, ihnen etwas vorführen und so tun, als wären sie irgendetwas, das die Leute im Publikum nicht sind. (Helmut Ploebst, 3.10.2019)