Heinz Trixner (rechts) und Borhan Hassan Zadeh in "Nobadi".

Foto: Thimfilm/Petro Domenigg

Man könnte von zwei gegenüberliegenden Polen sprechen: zwei Personen, die mit der Mitte der Gesellschaft im Grunde nichts mehr verbindet. Der Österreicher ist ein 93-jähriger Mann, ähnlich knorrig und unzugänglich wie die Baumwurzel in seinem Schrebergarten; der andere ein Flüchtling aus Afghanistan, der ohne Papiere und mit einer blutenden Wunde auf dem Fuß ins Land gekommen ist.

Zusammenprall zweier Welten

Ihre Begegnung bildet das innere Drama von Nobadi, der dritten Regiearbeit von Karl Markovics: Es geht darin um ein hintersinniges Spiel mit Vermutungen, wovon sich dann manche als falsch erweisen. Der Film will hinter offensichtlichen Kontrasten auch Verbindendes aufdecken. Und er überrascht mit einem unerwarteten Zug zum Drastischen.

Der soziale Abstand springt gleich zu Beginn ins Auge, als Heinrich (sehr intensiv: Heinz Trixner) auf das Drängen von Adib (Borhan Hassan Zadeh) eingeht und ihn für eine Gartenarbeit verpflichtet. Er soll eine alte Wurzel entfernen und ein Loch für den toten Hund freilegen. So niedrig wie der Respekt des Alten ist der Lohn für die Schwarzarbeit: drei Euro; vier, nach einer kleinen Rangelei.

Geteiltes Leid

Markovics betont die schematischen Gegensätze, wo er kann. Der Senior ist ein ungehobelter Choleriker, er weist seinen Arbeiter zurecht, er brüllt, fast treibt er es zu weit. Manchmal scheint er auch in einen Leerlauf zu geraten und erstarrt zur Säule. Adip dagegen erweist sich als sanftmütiger Mensch mit überraschend guten Deutschkenntnissen. Er adressiert Heinrich mit einem devoten "Herr", beim Mittagessen bittet er höflich um eine Gabel.

Bei Tisch findet sich zwischen allen Differenzen allerdings auch eine wichtige Übereinstimmung. Der Fremde erzählt Heinrich von seiner Zeit in einem afghanischen Auffanglager. Dieser muss daraufhin das Bild seines Gegenübers erweitern – nicht zuletzt, da Heinrich, wie er sagt, selbst Lager- Erfahrungen hat. Nobadi ist aus vielen solcher kleinen Verschiebungen zusammengesetzt, die das Verständnis von Identität lenken – und das gilt nicht nur für den Blick der Figuren, sondern auch für den des Zuschauers.

Schon in seinen früheren Filmen hatte Markovics trotz des dominanten Realismus auch einen Hang zur Allegorie. Wenn man den Aufriss der Schrebergartensiedlung auf der Schmelz sieht, die verhüttelte Aufreihung und Eisenschilder, kommt man nicht umhin, auch in diesem Ort eine lagerähnliche Ordnung zu erkennen. Und es scheint dann fast so, als besäße der eine eigene Zwangsläufigkeit.

Eskalation zwischen Adib und Heinrich.
Foto: Thimfilm/Petro Domenigg

Unerwartete Eskalation

Er habe eigentlich zwei unabhängig voneinander entworfene Geschichten zusammengeführt, sagte Markovics in Interviews über Nobadi; das kann man dem Film, in seiner mit Odyssee-Anspielungen durchsetzten Konstruiertheit, durchaus ansehen: Er betont seine Nahtstellen lieber, anstatt sie zu verbergen.

Das zeigt sich auch darin, dass es ihm um keine dieser versöhnlichen Erzählungen geht, sondern um eine unerwartete Eskalation. Die Figuren werden in eine Art Schattenspiel getrieben, in dem die Vergangenheit immer noch die Rollen in der Gegenwart mitbestimmt – mit unangenehmem Ausgang. "Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert", lautet ein berühmter Satz von G. B. Shaw. Ist Nobadi ein Film über fehlgeleitete Moral? Vielleicht wollte Markovics die Dinge nur mal richtig zuspitzen. Darin ist er auf jeden Fall zeitgemäß. (Dominik Kamalzadeh, 3.10.2019)