Frank-Walter Steinmeier, im September 2016 noch deutscher Außenminister, beim Lokalaugenschein in der Donezk-Region.

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Noch immer wird im Donbass geschossen. Fast jeden Tag. Trotz der Waffenruhe, die eigentlich 2015 in Minsk als erster Schritt zu einem dauerhaften Frieden schon ausgehandelt wurde. "Im Vergleich zu den vorhergehenden 24 Stunden hat die Beobachtermission weniger Waffenstillstandsverletzungen in der Donezk-Region und genauso viel im Gebiet Luhansk registriert", heißt es im jüngsten Report der OSZE, der auch drei durch Granatsplitter verletzte Feuerwehrleute in Donezk erwähnt.

Seit dem Ausbruch der Kriegshandlungen im Frühjahr 2014 sind nach Angaben der Organisation 13.000 Menschen getötet und Zehntausende verletzt worden. Die Infrastruktur einer ganzen Region ist zerstört worden. Millionen sind seither auf der Flucht. Die einen nach Osten gen Russland, die anderen als Binnenflüchtlinge in die Ukraine. Vertrieben von Gewalt, Armut und Perspektivlosigkeit.

Doch nun gibt es zumindest einen Hoffnungsschimmer: Am Dienstag haben sich in der weißrussischen Hauptstadt Minsk Vertreter Russlands, der Ukraine und der separatistischen "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk auf die sogenannte Steinmeier-Formel geeinigt. Der Weg dahin war beschwerlich und bis zuletzt von diplomatischen Fallgruben gesäumt. So konnte und wollte der Repräsentant der Ukraine, Expräsident Leonid Kutschma, seine Unterschrift nicht unter ein Dokument mit Separatistenvertretern setzen, die von Kiew als Strohmänner Moskaus angesehen werden. Mit einem Kniff – einem Brief an den Ukraine-Sondergesandten der OSZE, den Österreicher Martin Sajdik, in dem sich Kiew mit der Steinmeier-Formel einverstanden erklärte – wurde das Problem umgangen.

Umsetzung in Etappen

Doch was ist die Steinmeier-Formel, in der sich nun das Rezept für den Frieden verstecken soll? Es handelt sich um einen Etappenplan, den der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (heute Bundespräsident) unterbreitet hat, um das Minsker Abkommen umzusetzen. Es schreibt zumindest teilweise die Reihenfolge vor, wer was wann zu tun hat. Bisher wurde das Minsker Abkommen nämlich vor allem durch den Streit gelähmt, was zuerst erfolgen solle: Die Ukraine möchte zuerst den Abzug ausländischer (sprich russischer) Militärs und die Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze im Kriegsgebiet durch eigene Truppen (oder alternativ Blauhelme), dann Lokalwahlen und erst dann einen Sonderstatus für das Gebiet. Moskau beharrt darauf, dass Kiew erst dem Donbass einen Sonderstatus einräumen müsse und Wahlen dann unter den derzeitigen Machtbedingungen dort stattfinden. Erst dann könne die Ukraine Zugang zur Grenze erhalten.

Der Steinmeier-Vorschlag beinhaltet, dass der Donbass zunächst einmal vorläufig einen Sonderstatus erhält, unter dem die Wahlen nach ukrainischem Recht stattfinden sollen. Endgültig wird dieser Sonderstatus aber erst, wenn die OSZE-Beobachter die Wahl als fair und rechtmäßig einstufen. Dies ist inzwischen bei allen Seiten akzeptiert, sodass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wohl noch im Oktober die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj zu einer Neuauflage des Normandie-Gipfels empfängt. Das letzte Treffen dieser Art fand 2016 statt.

Gipfel realistisch

Macron sprach nun in Straßburg davon, das Treffen "in den nächsten Wochen organisieren" zu wollen. Auch Selenskyj versprach, dass die Steinmeier-Formel in das neue Gesetz zum Sonderstatus integriert werde. Damit stünde einem Gipfel nichts mehr im Weg. Nach dem jüngsten Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine wäre der Gipfel ein nächster großer Schritt zur Annäherung der beiden Nachbarn – mit entsprechender Symbolwirkung.

Gesichert ist eine Lösung im Donbass-Konflikt damit noch nicht. Die Frage nach der Grenzkontrolle wird in Moskau und Kiew weiter unterschiedlich interpretiert. In der Rada regt sich zudem Widerstand gegen die Einigung. Die Abgeordneten fürchten eine Festschreibung des Status quo und haben am Mittwoch Selenskyj zur Anhörung vorgeladen. Die Separatisten erklärten derweil, sie wollten weiterhin zu Russland. (André Ballin, 2.10.2019)