In der SPÖ kursieren Gerüchte über Julia Herr als zweite Bundesgeschäftsführerin neben Christian Deutsch.

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Sebastian Kurz war noch zu klein, er wird damals wohl noch eher von einem Geilomobil geträumt haben, mit dem er Jahre später als Jung-VPler durch Wien kurven sollte. Ältere Semester in der ÖVP dürften in diesen Tagen aber ein Déjà-vu erleben.

Vor gut 20 Jahren plagten die – damals noch durchgehend schwarze – Volkspartei dieselben Geister wie heute die SPÖ. Die ÖVP steckte, wie jetzt die Roten, in einer tiefen Sinn- und Orientierungskrise. Aus allen Ecken der ÖVP hagelte es interne Kritik, die Partei müsse sich neu erfinden, personell verjüngen und die alte Parteistruktur abschaffen.

Die SPÖ kommt seit ihrem Wahldebakel nicht mehr zur Ruhe.
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Die ÖVP drohte zu zerreißen, ehe Wolfgang Schüssel durch seinen Coup mit Jörg Haider als Kanzler wie der Phönix aus der Asche stieg und die ÖVP rettete.

Die SPÖ sitzt heute noch in der Asche, und von einem Phönix ist weit und breit nichts zu sehen. Wie damals die ÖVP, so strapazieren auch die SPÖ in diesen Tagen Zentrifugalkräfte, die den Zusammenhalt der Partei gefährden. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner wird nach dem Wahldesaster von links und rechts mit ultimativen Forderungen nach einem radikalen Umbau der Partei konfrontiert.

Wutrede gegen interne Kritiker

Was den bulligen Sozialsprecher der SPÖ, Beppo Muchitsch, langsam in Rage bringt: "Es sollen doch alle, die jetzt öffentlich herumsudern und motschkern, der Parteichefin endlich auch einmal eigene, konkrete Vorschläge vorlegen. Ich habe es allmählich satt, dieses ständige Motschkern, und dann selbst keine konstruktiven Ideen einbringen."

Der ehemalige Bundesgeschäftsführer Max Lercher fordert eine "Erneuerung in Mark und Bein" der SPÖ.
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Die interne Kritik kommt in erster Linie von der Parteijugend und exponierten Einzelgängern wie dem linken Wutposter Rudi Fußi oder dem Sohn des ehemaligen SPÖ-Chefs Christian Kern, Niko, der bereits seine Parteimitgliedschaft zurückgelegt hat und aus seinen Sympathien für die Neos kein Geheimnis macht. Und auch der stets kritische Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler reiht sich ein. Er könne "die Stehsätze", dass die Kommunikation verbessert und die Parteistruktur erneuert werden müsse, "nicht mehr hören". Zumal jetzt der Prototyp des alten Strukturkonservativismus eine wichtige Position in der SPÖ eingenommen habe – nämlich Christian Deutsch, den Rendi-Wagner als Bundesgeschäftsführer an ihre Seite geholt hat.

Angst vor SPÖ-GAU in Wien

An Deutsch reiben sich die Kritiker und meinen wohl auch die Parteichefin selbst. Da und dort fallen auch schon Namen für eine mögliche Nachfolge: Wiens Wirtschafts- und Finanzstadtrat Peter Hanke wird etwa zugetraut, den Karren wieder flottzumachen.

Die rote Jugend ist Montagabend aus der Sitzung des SPÖ-Bundesparteivorstands ausgezogen – aus Protest gegen die Kür des Repräsentanten des "Apparats", Deutsch, dem sie eine Modernisierung der Partei nicht zutrauen.

In der Führungsebene der Bundespartei wird nun eine Personalvariante diskutiert, mit der Luft aus der innerparteilichen Debatte genommen werden könnte. Und vor allem um den Jungen in der Partei entgegenzukommen.

Julia Herr, streitbare Chefin der Sozialistischen Jugend, könnte zur zweiten Bundesgeschäftsführerin aufgewertet werden und sich um die Modernisierung und Verjüngung der Partei kümmern, heißt es intern. Zwei Geschäftsführer hätten in der SPÖ durchaus Tradition, sagt ein Parteiinsider zum STANDARD.

Julia Herr am Wahlabend im STANDARD-Videointerview über das Abschneiden der SPÖ.
DER STANDARD

Christian Deutsch, so die parteiinterne Interpretation, ergebe insofern Sinn, als sich die SPÖ auf die "existenziell" bedeutende Wahl in Wien vorbereiten müsse. Deutsch sei ein wichtiges Verbindungsglied Rendi-Wagners nach Wien. "Wenn die SPÖ Wien verliert, wäre das ein GAU für die Sozialdemokratie in Österreich", heißt es. Man sieht ja das Wetterleuchten am Horizont: Türkis, Grüne und Neos verfügen – auf der Basis des Nationalratswahlergebnisses – bereits über eine Mehrheit in Wien.

Der ehemalige Bundesgeschäftsführer Max Lercher sagte in der "ZIB 2" am Mittwochabend, dass er Julia Herr für eine talentierte Politikerin halte. Er kritisiert aber, dass Personaloptionen die Parteimitglieder nur noch über die Medien erfahren. Er hält zudem Pamela Rendi-Wagner für eine ausgezeichnete Parteichefin und will nicht alle Probleme der Sozialdemokratie an ihrer Person festmachen. Trotzdem fordere er von der Partei eine "Erneuerung in Mark und Bein", dafür will er die "gesamte Struktur" der Partei hinterfragt wissen. (Walter Müller, red, 2.10.2019)

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Kommentar: Die SPÖ-Misere hat viel mit Christian Kern zu tun