Indien und Pakistan verfügen derzeit über 150 Nuklearwaffen, die Explosion einer einzigen wäre katastrophal.

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Der Einsatz von Nuklearwaffen ist derzeit keineswegs von der Hand zu weisen. Vor wenigen Tagen hat Pakistans Ministerpräsident Imran Khan vor der UN-Vollversammlung in New York mit einer emotionalen Rede vor einem "Blutbad" im Rahmen des Kaschmir-Konfliktes mit Indien gewarnt. Selbst den Einsatz von Atomwaffen hielt er für möglich. Sollten die Vereinten Nationen nicht eingreifen, sei ein weiterer Krieg zwischen den Atommächten Pakistan und Indien wahrscheinlich. Die Doomsday Clock – die Weltuntergangsuhr oder Atomkriegsuhr -, die von der Zeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" zuletzt auf zwei vor zwölf gestellt wurde, hat diese Entwicklung berücksichtigt. Die Situation ist momentan also durchaus kritisch.

Was wäre, wenn ...

Klar ist aber auch, dass keine der beiden Seiten es tatsächlich so weit kommen lassen will – und doch arbeiten Forscher bereits an Szenarien, die sich mit den Folgen eines regionalen Atomwaffenkrieges auseinandersetzen: Wissenschafter von der University of Colorado Boulder und der Rutgers University haben die Konsequenzen eines solchen hypothetischen atomaren Konfliktes analysiert. Die Auswirkungen wären demnach keineswegs nur lokal, sondern würden rund um den Globus wahrscheinlich Millionen Menschenleben kosten.

Aktuell haben Indien und Pakistan jeweils rund 150 Nuklearwaffen zur Verfügung, bis zum Jahr 2025 könnten es mindestens 200 werden, so die derzeitige Schätzung. Was die beiden Länder damit anrichten könnten, hat nun ein Team um Brian Toon von der University of Colorado im Fachjournal "Science Advances" vorgerechnet. "Ein atomarer Krieg zwischen diesen beiden Nationen wäre ohne Vergleich in der menschlichen Geschichte", meint Toon.

Über hundert Millionen Tote

Nach den Analysen der Forscher erfolgt die nukleare Katastrophe in mehreren Stufen: Dem Einsatz von rund 250 atomaren Sprengkörpern über Großstädten in Indien und Pakistan dürften insgesamt zunächst mindestens 50 bis 125 Millionen Menschen zum Opfer fallen. Der Großteil dieser Menschen stirbt wahrscheinlich nicht sofort durch die jeweiligen nuklearen Explosionen, sondern durch die Feuer, die in der Folge ausbrechen.

Für den Rest der Welt mag es nach einem solchen lokalen Atomkrieg kaum besser aussehen: Die Forscher um Toon berechneten, dass ein Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan mindestens 36 Milliarden Kilogramm an Ruß in die Erdatmosphäre transportieren wird. Diese schwarzen Wolken würden das Sonnenlicht rund um den Globus blockieren und letztlich die weltweite Durchschnittstemperatur um bis zu fünf Grad Celsius reduzieren.

Weniger Nahrungsmittel

In der Folge würde es global zu einer Verringerung der durchschnittlichen Niederschläge um 15 bis 30 Prozent kommen. Das wiederum hätte als Konsequenz, dass Pflanzen weniger Energie in Form von Biomasse speichern würden, und zwar bis zu 30 Prozent an Land und bis zu 15 Prozent in den Ozeanen.

Für die Landwirtschaft wäre dies letztlich eine Katastrophe, eine weltweite Nahrungsmittelknappheit wäre unausweichlich. Und diese würde wohl auch für mehrere Jahre anhalten. Die Modellberechnungen gehen davon aus, dass die Rußwolken über zehn Jahre in der Atmosphäre für Dunkelheit sorgen.

"Unsere Untersuchungen basieren auf modernsten Modellberechnungen und zeigen, dass selbst ein solcher lokaler Atomkrieg großräumige Rückgänge bei der Produktivität von Pflanzen an Land und Algen im Ozean zur Folge hätte", sagt Co-Autorin Nicole Lovenduski. "Die entsprechenden Konsequenzen für Organismen in den oberen Bereichen der Nahrungskette inklusive des Menschen wären dramatisch." (Thomas Bergmayr, 3.10.2019)