Auf gerichtliche Anordnung muss Facebook Hasspostings nicht nur für Nutzer in der EU unzugänglich machen oder löschen, sondern weltweit.

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Eine "miese Volksverräterin" sei sie und ein "korrupter Trampel". Diese und ähnliche Kommentare waren vor einigen Jahren auf Facebook über Eva Glawischnig-Piesczek verfasst worden. Die damalige Grünen-Bundessprecherin beschloss, sich dagegen zur Wehr zu setzen, und bekam recht. Nachdem sie Facebook erfolglos außergerichtlich abgemahnt hat, das Posting zu löschen, wurde eine Klage verbunden mit dem Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung (EV) eingebracht.

Während viele das Urteil als "historisch" begrüßen, gibt es aber auch Kritiker.
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Es wurde u. a. begehrt, diese und/oder sinngleiche Beschimpfungen zu unterlassen. Erst nach Erlassung der EV durch das Handelsgericht Wien hat Facebook reagiert, aber das Posting nur in Österreich gesperrt und die EV bekämpft. Das Oberlandesgericht Wien eröffnete schließlich den Rechtsweg zum Obersten Gerichtshof, der die Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) herantrug.

Dieser hat nun seine Entscheidung bekanntgegeben. Und die hat es in sich. Facebook kann demnach dazu verpflichtet werden, Hasspostings aktiv zu suchen. Das EU-Recht steht zudem auch einer weltweiten Löschung nicht entgegen. Ein Urteil – sollte es letztendlich so zur Anwendung kommen – mit weitreichenden Konsequenzen für das größte soziale Netzwerk. Es wir daher nicht von allen Seiten als positiv eingestuft.

EuGH folgt Generalanwalt

Die Postings waren von einem Nutzer unter einem Artikel über die Forderung der Grünen, Flüchtlinge sollen weiterhin Mindestsicherung erhalten, verfasst worden, inklusive eines Fotos von Glawischnig-Piesczek. Der Beitrag konnte von jedem Facebook-Nutzer abgerufen werden. Im Herbst 2016 beschlossen die Grünen mit ihrer damaligen Chefin daraufhin eine Klage gegen Facebook einzubringen. Der Fall durchschritt verschiedene Instanzen und landete schließlich 2018 vor dem Europäischen Gerichtshof.

Angestoßen wurde das Urteil durch eine Klage der früheren Grünen-Chefin Eva Glawischnig.
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Im Juni 2019 gab EuGH-Generalwalt Maciej Szpunar bekannt, dass Facebook seiner Auffassung nach dazu verpflichtet werden kann, nach einer gerichtlichen Anordnung sämtliche die Ehre verletzende Kommentare zu suchen und zu löschen. Das EU-Recht regle nicht, ob Facebook auch gezwungen werden kann, sinn- und wortgleiche Postings weltweit löschen zu müssen, so Szpunar im Juni. Laut E-Commerce-Richtlinie der EU darf sogenannten Host-Providern keine allgemeine Verpflichtung auferlegt werden, Inhalte zu überwachen oder aktiv nach Rechtswidrigkeiten zu forschen. Der Generalanwalt vertrat jedoch die Position, dass diese Richtlinie kein Hindernis für einen Plattformbetreiber wie Facebook darstelle, eine Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern.

Der EuGH ist der Einschätzung von Szpunar nun gefolgt. Das bedeutet: Geht ein Nutzer gegen ein Hassposting vor, müsste Facebook nicht nur dieses eine Posting im Land des Betroffenen löschen. Das Unternehmen muss auch nach sinn- und wortgleichen weiteren Postings suchen – und zwar nicht nur, wie von Szpunar gefordert, beim ursprünglichen Verfasser – und diese weltweit löschen. Wenn das Unternehmen nicht auf die Beanstandung des Nutzers reagiert und das Posting weiterhin online lässt, kann dieser klagen.

Kampf gegen Hass im Netz

Glawischnigs Anwältin Maria Windhager, die auch den STANDARD vertritt, sieht in dem Urteil einen "Meilenstein" im Kampf gegen Hass im Netz. Es sei eine Stärkung der Persönlichkeitsrechte. Facebook hatte durch das Online-Belassen der Postings in anderen Ländern gegen die einstweilige Verfügung dagegen verstoßen. Sie begrüßt daher auch die Klarstellung, dass eine Verfügung zur Löschung weltweit zur Wirkung gelangen kann. Dass der EuGH so entscheiden werde, sei aufgrund des massiven Lobbyings im Vorfeld durchaus nicht so zu erwarten gewesen, erklärt die Anwältin auf Anfrage.

Die Ex-Politikerin reagierte in der ZiB 2 selbst erfreut über die "Klärung" durch den von ihr angestrengten Musterprozess: "Es ist irgendwann einmal genug", erklärte sie ihre Motivation für die Klage, die bereits 2016 eingebracht wurde: "Zwischen Meinungsfreiheit und übelsten Beschimpfungen ist schon ein Unterschied. Das betrifft unsere Kultur." Kritik, das Urteil könne die Meinungsfreiheit einschränken, wies Glawischnig zurück: "Es geht um individuelle Verletzungen von Persönlichkeitsrechten."

Grünen-Bundessprecher Werner Kogler wertet das Urteil in einer Aussendung als "großen grünen Erfolg" im Kampf gegen Hass im Netz. Glawischnig hatte einen Musterprozess geführt, um den rechtlichen Weg für andere Nutzer mit weniger Möglichkeiten zu bereiten. "Einen Prozess wegen Hassinhalten zu führen ist für viele Menschen sehr belastend und kaum finanzierbar.

Die rasche Löschung der Postings durch die Provider ist daher eine wichtige Möglichkeit, um die Rechte der Betroffenen zu schützen", erklärte die Grünen-Politikerin Sigrid Maurer. Vor allem Hasspostings gegen Frauen können dazu führen, dass sich diese aus Diskussionen im Netz zurückziehen. Das Urteil sei nun ein Druckmittel gegen Facebook, so Maurer. Als "wichtiges Signal", dass Plattformbetreiber stärker ihrer Pflicht nachkommen, sieht Andreas Schieder, SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, die Entscheidung.

Fortschritt und offene Fragen

Auch der deutsche Medienrechtsanwalt Christian Solmecke von der Kanzlei WBS-Law sieht das Urteil positiv, wie er dem STANDARD erklärte. Denn bisher mussten betroffene Nutzer immer wieder Meldung erstatten, wenn bereits beanstandete Hasskommentare erneut gepostet wurden. Er sieht zudem einen Präzendenzfall, der auf alle sozialen Netzwerke übertragbar sei. "Hat einmal ein Rechtsverstoß stattgefunden, muss der Betreiber sicherstellen, dass identische oder sinngleiche Rechtsverstöße nicht noch einmal passieren", so Solmecke. Vor allem kleinere Netzwerke und Forenbetreiber müssten daher nun allerdings nachrüsten.

Begrüßt wird das Urteil auch von der von Max Schrems mitgegründeten Datenschutzorganisation Noyb. Noyb-Jurist Alan Dahi wertet das Urteil als "wohlbalanciert" und die Löschung sinngleicher Postings als grundsätzlich positiv. Es sei unverständlich, wieso sich Betroffene für jede einzelne Variante oder für identische Postings noch einmal an Facebook wenden müssen. Es komme aber auf die technische Umsetzung an, so Dahi. Journalistische oder satirische Beiträge mit den gemeldeten Äußerungen dürften von automatisierten Filtern nicht gelöscht werden. Das Löschen müsse daher kontextbasiert sein und dürfe nicht mithilfe reiner Textfilter passieren. Bei sinngleichen Postings dürfe die Umsetzung nicht zu weit gehen. Dann würden aber vermutlich weiterhin viele Postings durchrutschen.

Kritik an Urteil

Auch Facebook hat zu der Entscheidung Stellung bezogen und spart naturgemäß nicht mit Kritik. "Dieses Urteil wirft kritische Fragen zur Meinungsfreiheit und zur Rolle auf, die Internet-Unternehmen beim Monitoring, Interpretieren und Entfernen von Äußerungen, die in einem einzelnen Land illegal sein können, spielen sollen", sagte eine Sprecherin des Konzerns. Man habe Standards definiert, die darlegen, was Nutzer posten dürfen und was nicht. Es gebe außerdem ein Verfahren, um Inhalte einzuschränken, wenn sie gegen örtliche Gesetze verstoßen. Mit dem Urteil werde der Grundsatz untergraben, dass ein Land einem anderen nicht seine Gesetze zur Meinungsfreiheit auferlegen könne. Kritisiert wird auch, dass Internet-Unternehmen ihre Nutzer damit proaktiv überwachen müssten.

Dass bei Facebook wenig Begeisterung für die Entscheidung aufkommt, ist klar. Kritik kommt aber auch von anderen Stellen. Die Datenschutzorganisation Epicenter Works befürchtet etwa den Missbrauch durch autoritäre Staaten. Die automatisierte Löschung von wort- und sinngleichen Aussagen sei "hochgradig problematisch". So könnte damit beispielsweise auch Satire betroffen sein. "Die Meinungsfreiheit und die Reichweite der Persönlichkeitsrechte sind in Europa nicht harmonisiert. Hier eine weltweite Anwendbarkeit der Urteile von nationalen Gerichten zu fordern, ist aus unserer Sicht überbordend", heißt es in einer Aussendung. Glawischnig-Vertreterin Windhager kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Gegen potenzielle Zensur eines autoritären Staates könne man den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Das gegen die Stärkung des Persönlichkeitsrechts auszuspielen, ist für sie unverständlich.

Der Verein für Alternative Internetprovider (Ispa), dem auch Facebook angehört, gemahnt indes zu Besonnenheit. Das Urteil bedeute keine weltweite Löschpflicht, sondern halte fest, dass das EU-Recht einer solchen nicht entgegensteht, betont man in einer Aussendung. Der Oberste Gerichtshof soll in seiner endgültigen Entscheidung zur Klage daher die "globalen Dimensionen" bedenken, fordert Generalsekretär Maximilian Schubert. "Wenn sämtliche Inhalte im Netz gelöscht werden, die gegen irgendeine Rechtsnorm in irgendeinem Staat weltweit verstoßen, wäre das Internet wohl bald ein leerer und monotoner Raum." Als Gesellschaft müsse man sich überlegen, ob man ausschließlich ein vorab durch private Unternehmen gefiltertes Internet haben möchte.

Nun ist wieder der Oberste Gerichtshof am Zug, über die Klage letztendlich zu entscheiden. (Georg Pichler, Birgit Riegler, 3.10.2019)