Foto: Atria/Leopoldo & Co

This is an oral history of how the world ended. It took me twenty-three months to write this book. The world we knew ended in just two. Das ist doch mal eine Einleitung nach Maß. Und keine Angst: Die menschliche Zivilisation ist in Keith Thomas' spannendem Roman "Dahlia Black" nicht ganz untergegangen. Aber sie musste die schwerste Prüfung ihrer Geschichte hinnehmen und hat sich noch immer nicht von deren Folgen erholt.

Das größte Ereignis aller Zeiten

In den ersten Kapiteln lässt eine Reihe beiläufig eingestreuter Bemerkungen das Ausmaß der Katastrophe erahnen: Im Jahr 2028 sind die USA zerfallen, die Technologie funktioniert nur noch teilweise, die Weltbevölkerung ist von sieben Milliarden auf – schluck – zweieinhalb geschrumpft. Millionen Menschen sind bei dem mysteriösen Ereignispaar von Elevation und Finality verschwunden, doch noch viel mehr dürften im davon ausgelösten Chaos zu Tode gekommen sein.

Wir erfahren auch früh, dass diese Ereignisse durch den Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation ausgelöst wurden. Titelfigur Dahlia Mitchell (das "Black" hat sich mir ehrlich gesagt nicht erschlossen) ist eine Astrophysikerin aus Kalifornien. Sie identifiziert eines Tages eine Codefolge, die aus einer fernen Galaxiengruppe gesendet wurde, und dieser Pulse Code erweist sich als Trojaner, der das Gehirn von Menschen umschreiben kann. So weit die Ausgangslage – was dann passiert und was es mit Elevation und Finality genau auf sich hat, wird im Verlauf des Romans Stück für Stück enthüllt werden.

"This book is a testament"

US-Autor Keith Thomas, der aus der Film- und Fernsehbranche kommt und 2018 mit dem Thriller "The Clarity" erstmals einen Roman veröffentlicht hat, setzt in seinem zweiten Buch ganz auf die Formel von "World War Z". "Dahlia Black" ist zur Gänze aus Interviews, Verhörprotokollen und Ähnlichem zusammengesetzt. Gesammelt hat diese Dokumente – vorgeblich in den 2020er Jahren – Keith Thomas höchstselbst, der sich damit indirekt in seinen Roman eingeschrieben hat. Als nettes Detail finden wir sogar im Impressum des realen Buchs einen auf "2028" datierten Copyright-Vermerk – erstaunlich, dass das rechtlich erlaubt ist!

Thomas hat all diese Einzeldokumente übrigens so streng chronologisch aneinandergereiht, dass sich "Dahlia Black" linearer liest als so mancher konventionell erzählte Roman. Einziger Minuspunkt: Ein wiederkehrendes Element sind Dahlias Tagebucheinträge – und die sind in einem derartigen Mini-Gefutzel gesetzt, dass man beim Lesen halb blind wird.

Wie Wirklichkeit geschaffen wird

Gut, da könnte man jetzt abwinken und sagen: Als Oral History erzählte Romane kennen wir schon, alter Hut – siehe Sylvain Neuvels "Giants"-Reihe oder eben "World War Z". Keith Thomas nutzt die Form allerdings recht gut aus, um zu thematisieren, was Geschichte ist. Es gibt nicht den objektiven Ablauf, der sich 1:1 festhalten lässt. In der nachträglichen Rekonstruktion – selbst wenn nur wenige Jahre vergangen sind – ist nur noch eine Annäherung möglich, und mit jeder neuen persönlichen Perspektive ändert sich das Bild. Jede Antwort wirft neue Fragen auf.

Die Konstruktion von Wirklichkeit wird schon in den ersten Abschnitten des Romans thematisiert. Eine aus Vertretern von Wissenschaft und Politik gebildete Task-Force soll einen Plan ausarbeiten, wann und wie man die Öffentlichkeit über Dahlia Mitchells Entdeckung informieren kann. Eine ominöse Gruppierung namens The Twelve hingegen will das Wissen um den außerirdischen Code um jeden Preis geheim halten. Wird sie damit die Katastrophe auslösen, oder werden es die sein, die für Transparenz eintreten?

Wir werden mit einem verstörenden Video konfrontiert, welches darauf hinzudeuten scheint, dass ähnliche Botschaften aus dem All schon in der Vergangenheit empfangen wurden. Man serviert uns Hinweise auf seltsame Begebnisse aus der realen Welt (wie etwa die "Max Headroom broadcast signal intrusion", die bis heute ungeklärte Störung einer Chicagoer TV-Übertragung im Jahr 1987). Und mehr als nur ein von Thomas Interviewter ergeht sich in Verschwörungstheorien. Manches davon mag Unfug sein, manches eine absichtlich gezündete Nebelkerze – aber wer kann schon sagen, was die Wahrheit ist?

Ein Weltuntergang zum Besseren?

Ein durchaus bemerkenswerter Aspekt von "Dahlia Black" sollte auch noch unbedingt erwähnt werden. Die Welt hat die Apokalypse erlebt – doch irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als fände der Autor dies gar nicht so schlecht. Das Leben ist beschaulicher geworden, auffällig viele der Interviewten haben ihre sinnlos gewordenen alten Jobs aufgegeben und leben nun – offenbar recht zufrieden – von der Landwirtschaft. Abends sitzen sie auf der Veranda und blicken in einen mangels Lichtverschmutzung wieder vollen Sternenhimmel, während die Natur verlassene Stadtgebiete wiederbegrünt und es in den Meeren vor Fischen, Delfinen und Seekühen nur so wimmelt. Es wirkt fast schon paradiesisch.

Dieser Eindruck einer Wertung verstärkt sich, wenn Thomas seine Protagonisten/Interviewpartner in unsere Ära zurückblicken lässt. Da spricht etwa eine Geheimdienst-Beraterin von der aufgeklafften Schere zwischen Arm und Reich und allgemeiner gesellschaftlicher Polarisierung – vorangetrieben von beiden Enden des politischen Spektrums und befeuert von Social-Media-Aufregungen über jeden Furz. Letzteres unterstreicht Thomas später noch einmal und lässt einen als "kontroversiell" deklarierten Professor Social Media gar als Hauptursache für Hass, Gewalt und Ungleichheit im frühen 21. Jahrhundert bezeichnen. Na, wenn da nicht ein bisschen die Meinung des Autors selbst mitschwingt ...