Das Abomodell wird sich wohl auch bei Games durchsetzen.

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Medien kaufen – das war früher. Film- und Serienfreunde schleppen seltener DVD-Boxen nach Hause, die CD-Sammlungen von Musikfans werden eher nicht mehr um physische Neuanschaffungen erweitert. Stattdessen: Netflix, Amazon Prime, Spotify, Apple Music oder ein anderer Streamingdienst der Wahl.

Warum kaufen, wenn man zum kleinen Preis alles einfach nutzen kann? Die Streaminganbieter haben massenhaft Titel im Programm, die Künstler werden je nach Zugriff bezahlt oder, im Fall von Netflix, direkt vom Anbieter finanziert und produziert. Schöner Nebeneffekt für die Industrie: Das illegale Kopieren von Filmen, Serien oder Musik ist im Vergleich dazu verhältnismäßig unbequem – und hat dementsprechend abgenommen.

Stadia

Bei Videospielen kommt das "Netflix-Modell" erst seit diesem Jahr allmählich so richtig bei den Kunden an; vor allem die größeren Services haben inzwischen Attraktives zu bieten. Der Xbox Game Pass bietet eine Sammlung von über 100 Titeln für Xbox und Windows-10-Nutzer zum monatlichen Abopreis von zehn Euro, Uplay+ erlaubt für 15 Euro monatlich das Spielen einer ähnlichen Anzahl hauseigener Titel. Auch die Kleineren werden interessant, zum Beispiel Utomik, das inzwischen über 1.000 kleinere und ältere Spiele zum kleinen Abopreis anbietet. Playstation Now sowie das kommende Google Stadia setzen hingegen nicht nur auf Abogebühr und Spieleauswahl, sondern – wie die Verwandtschaft bei Film und Musik – auch gleich auf Streaming. Dann braucht man zwar keine potente Spielhardware mehr, aber dafür deutlich schnelleres Internet, als es bei Film und Musik der Fall ist.

Der Rest des All-you-can-play-Angebots wird von Subskriptions-Services bespielt: PS Plus, Humble Monthly, Xbox Live, Twitch Prime und die regelmäßigen Giveaways von Games-Plattformen wie Epic Games Store und GOG sorgen dafür, das der Pile of Shame nicht schrumpft. So viele Spiele, so wenig Zeit: schöne, neue Spielewelt.

Apple

Apple Arcade prescht voran

Als Early Adopter ist die Auswahl derzeit noch schwierig; ein Kundenfavorit hat sich noch nicht herauskristallisiert. Da ist es fast ironisch, dass ausgerechnet Apple seit wenigen Wochen mit seinem Games-Abo-Angebot Apple Arcade für iOS das derzeit differenzierteste Modell anbietet; immerhin ist der Appstore mit seinem lange Jahre unreglementierten Wildwuchs, der kaum existenten Kuration und der Flut an schrottigstem Free-to-Play-Ramsch unwürdiger Vorreiter einer Seuche, die längst auch abseits des Mobile-Gamings um sich greift.

Apple Arcade löst dabei mehrere Probleme auf einmal: Zu einem moderaten Monatspreis von fünf Euro schrumpft der undurchdringliche und stündlich wachsende Dschungel an Mobile-Spielen auf menschlich vernünftiges Maß – 100 Titel, einige davon zumindest zeitexklusiv nur hier verfügbar, dampfen die endlose Suche im Spieleheuhaufen ein. Und die Spiele, die hier angeboten werden, sind klug kuratiert – und vor allem von einer Qualität, wie man sie inzwischen nur mehr beim kleinsten Teil der im Appstore auffindbaren Titel findet: keine Free-to-Play-Abzocke, keine gestohlenen Klone, keine Werbepausen. Man möchte das Programm des Abodienstes fast als "Programmkinoauswahl" lobpreisen, denn hier wird seit langem endlich wieder einmal geballt demonstriert, dass es Mobile-Games abseits der Schrottflut erstens immer noch gibt und sie zweitens längst ganz eigenen Charakter haben dürfen – und das weit weg von Candy Crush und Co.

Mehr Kuration – und mehr Förderung

Das wäre durchaus auch anderswo ein wünschenswerter Nebeneffekt des Abomodells, denn die Kuration des Wildwuchses wäre nicht nur im Mobile-Bereich überfällig. Längst entzieht sich auch die Spieleflut auf Steam jeder sinnvollen Sichtung; ein Problem nicht nur für Spieler*innen, sondern auch und vor allem für jene kleinen Entwickler, die sang- und klanglos begraben werden. Wie schön wäre es, statt aus monatlich 1.000 neuen Spielen auf Steam, 95 Prozent davon absolut irrelevant und schlecht, einfach aus einer Handvoll ausgewählter Titel wählen zu können – und das zum Preis eines einzigen Fehlkaufs?

Das "Netflix-Modell" hat neben monatlichem Fixpreis und großem Katalog ja immerhin auch ein anderes Charakteristikum, das Apple Arcade übernimmt: Spiele nicht nur einzukaufen und zu sammeln, sondern sie überdies direkt selbst zu produzieren. Netflix, aber auch Amazon Prime und Sky bestreiten ihr Programm längst überaus erfolgreich mit prominenten TV-Eigenproduktionen, die sich direkt aus den Einnahmen der Abomodelle generieren; gerade für kleinere Games-Entwickler wäre das ein Segen.

Viel Licht, viel Schatten

Ein verhältnismäßig niedriger Preis für große Auswahl, endlich Kuration im wuchernden Games-Dschungel, neue Geldgeber für qualitätsvoll arbeitende, ausgewählte kleine und mittlere Entwickler: Das Abomodell für Spiele hat unbestritten einige Vorteile. Ganz so einfach wird sich der Wandel der Games-Welt aber nicht vollziehen; dafür sorgen einige Eigenheiten von Medium, Markt und Publikum.

Und da braucht man noch nicht einmal auf die fragwürdige technische Machbarkeit latenzfreien Streamings oder die unausweichliche Fragmentierung des Marktes in zu viele einzelne Abodienste zu sprechen zu kommen. Zum einen – und vielleicht wichtigsten: Spiele sind allein in Umfang und Zeitaufwand keine Filme und TV-Serien; das lässt schon allein das potenzielle Publikum kleiner werden als bei TV und Musik. Die zurzeit lukrativsten Spiele der Welt setzen als Games-as-a-Service auf die praktisch zeitlich unbegrenzte Bindung ihrer Spielerschaft. Wer Destiny, Fifa, Fortnite, MMOs, GTA Online, Survival-Sandboxen von Minecraft abwärts oder E-Sport-Titel wie Dota 2 spielt, hat kaum Interesse an einer monatlichen Vielzahl weiterer Titel.

Der Megatrend "Riesenspiele" kannibalisiert so das zahlende Publikum für Abodienste schon vor dem Start um all jene Millionen, die die beliebtesten Titel der Welt spielen. Und dass die verbliebenen, großen Singleplayer-Titel – wie etwa das kommende The Last of Us 2 – bei Erscheinen nächstes Jahr bei irgendeinem Abo-Anbieter inkludiert sein werden, scheint ziemlich ausgeschlossen. Weil keiner bis dahin die nötige zahlende Kundschaft haben wird, um die dadurch ausfallenden Verkäufe auszugleichen – ein Henne-Ei-Problem. Der "normale" Games-Markt wird also wohl noch auf absehbare Zeit parallel weiterexistieren; wer dort mit welchen Spielen wie viel Geld verdient, steht in den Sternen.

Streaming heißt: Andere Spiele

Diese Unsicherheit wächst, denn zum anderen steht vor allem mit "echten" Streaming-Abodiensten wie Google Stadia eine fundamentale Änderung auch des Publikums bevor, deren Folgen bislang kaum abgeschätzt werden können. Fallen nämlich die technischen und finanziellen Hürden weg, die Kauf von Konsole und/oder Games-PC bislang waren, werden Spiele plötzlich für ein weitaus breiteres Publikum interessant als bisher. Das bedeutet, dass sich Spiele als Massenmedium durch Vereinfachung in Sachen Zugänglichkeit und Mechanik auch an ein Publikum richten werden, das mit "klassischer" Komplexität und liebgewonnenen Traditionen wenig anfangen kann.

Wer sich anlässlich des Mobile-Games-Booms der letzten zehn Jahre und des Überschwappens ungeliebter, aber höchst lukrativer F2P-Geschäftsmodelle ins "echte" Gaming beschwert hat, muss sich auf eine noch gewaltigere Welle der "Casualisierung" einstellen.

Natürlich: Diese Öffnung hat auch viele Vorteile, sofern man nicht meint, sein Baumhaus ebenso erbittert wie zwanghaft gegen "fake gamers" verteidigen zu müssen. "Hardcore" als Nische bleibt sicher am Leben, der Mainstream allerdings liegt anderswo. Dass Spiele im besten Fall zugänglicher, im schlimmsten Fall aber weniger komplex werden, ist durch die technische Revolution des Streaming-Modells bedingt, das jedes Diskonter-Subnotebook zur Games-Maschine macht; ein wenig anders, aber ebenso folgenschwer wird sich die Wahl des Vergütungsmodells für die Entwickler auf das gesamte Medium auswirken.

Länger ist nicht unbedingt besser

Wird nicht mehr ein Spiel gekauft, sondern der Zugang zu einem Katalog, wird die Vergütung einzelner Titel kompliziert. Bei Filmen und Musik lässt sich das klassische Vergütungsmodell "Zeit ist Geld" noch halbwegs argumentieren: Wenn ein Song pro Tag Millionen Stunden abgerufen wird, verdient der Künstler mehr.

Bei Spielen führt diese Rechnung allerdings zu einer verhängnisvollen Rückkopplung: Jene Gameplay-Mechanismen, die schon jetzt in Free-to-Play-Spielen für möglichst langen Verbleib im Spiel sorgen sollen, würden dann zusätzlich belohnt. Das bedeutet: Grind und Zwang zur spielerischen Wiederholung schlagen Abwechslung, Originalität und Inhalt. Drastisch formuliert: 120 Stunden Items-Farmen bringen dem Entwickler zehnmal mehr Einkommen als die gesamte Kampagne etwa eines Bioshock.

Auch hier prescht der Mobile-Sektor vor: Der von Google in Reaktion auf Apple Arcade angekündigte "Play Pass" will auf ein zeitbasiertes Vergütungssystem für Entwickler setzen – und belohnt damit genau jene Entwickler, die ihre Spieler mit allen Tricks möglichst endlos an die kleinen Bildschirme fesseln. Das sei das Ende für kleine narrative Spiele, die es ohnehin schon schwer hätten, stellte nach der Ankündigung etwa der Entwickler Will O'Neill lakonisch fest: Indie-Entwickler, die kleine, oft kurze Spiele anbieten würden, könnten sich mit diesem Modell nicht finanzieren.

Das Ende kleiner Spiele?

Kurze, großartige Spiele nicht nur für Mobile-Plattformen, sondern auch PCs und Konsolen, würden in einem derartigen Vergütungssystem wohl verschwinden. Spiele wie Monument Valley, Gorogoa, Her Story Journey, Inside, Firewatch, Undertale, Gone Home, Superhot und unzählige andere, nicht auf endloses Gameplay setzende Titel wären bei zeitbasierter Vergütung die großen Verlierer. Und Indie-Entwickler können im Unterschied zu Indie-Musikern nicht auf den Werbeeffekt der Streaming-Popularität hoffen und sich mit Band-Merch und Auftritten finanzieren. Alternativ dazu müssten die Abo-Anbieter solche Titel zu Fixsummen einkaufen oder sie direkt selbst produzieren lassen; das wäre ironischerweise die Rückkehr des altbewährten Publishersystems, in dem einzelne Studios nun nicht mehr "independent", sondern eben auf Auftrag arbeiten würden.

Ein derartiges System setzt allerdings einen finanzstarken Platzhirsch voraus; Apple nimmt im Mobile-Games-Bereich mit Arcade diese Verantwortung allem Anschein nach eher an als Google – keine gute Voraussetzung etwa für Stadia.

Was kommt?

Die Zukunft, so kann man annehmen, gehört trotz all der genannten Vorbehalte auch bei Spielen dem Abo-Modell, ob mit oder ohne Stream. Es ist eine Frage des Naturells, wie optimistisch oder pessimistisch man dieser Zukunft entgegensieht. Im besten Fall entstehen durch Kuration und neu erblühendes Publishersystem ganz neue Ökosysteme spannender Titel zum monatlichen Fixpreis, für ein größeres Publikum, das endlich den Stehsatz vom Ankommen in der "Mitte der Gesellschaft" weiter real werden lässt – eine Zukunft, in der endlich auch die historischen technischen Hürden verschwunden sind.

Im schlimmsten Fall allerdings sind die fragmentierten und unübersichtlichen Online-Spielotheken der nahen Zukunft aber voll mit im schlechtesten Wortsinn massentauglichen, auf maximale Zeitvernichtung angelegten Endlosspielen, neben denen kleine, narrative und originelle (Indie-)Titel verdorren und auch große Singleplayer-Spiele endgültig der Vergangenheit angehören. Irgendwo zwischen diesen Extremen wartet sie wohl: die Zukunft des Spielens. (Rainer Sigl, 6.10.2019)