Nicht jede Mutter stillt, doch das geht in dem herrschenden Still-Tenor über das "weiße Gold" als "natürlichste" und "optimale" Säuglingsernährung oft unter.

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Stillen ist das Beste für Ihr Baby. Diesen Satz hören Schwangere und frischgebackene Eltern ständig. Auch die eben zu Ende gegangene Weltstillwoche, zu der Stillberaterinnen und Hebammenverbände in Deutschland und Österreich jedes Jahr aufrufen, will zum Stillen "empowern". Damit sind sie nicht allein.

In jeder Information für Schwangere müssen die Vorteile des Stillens und negative Auswirkungen zusätzlicher Fläschchennahrung beschrieben werden. Ebenso, dass der Entschluss, nicht zu stillen, nur schwer rückgängig gemacht werden kann. Das alles ist gesetzlich vorgeschrieben. Trotzdem: Nicht jede Mutter stillt, doch das geht in dem herrschenden Still-Tenor über das "weiße Gold" als "natürlichste" und "optimale" Säuglingsernährung oft unter.

Enormer Druck

Dass das einen enormen Druck erzeugt, ist ein Tabu, über das Eltern oft nur hinter vorgehaltener Hand sprechen. Eine britische Studie zeigt: Jede dritte Frau fühlt sich als schlechte Mutter, wenn das Stillen nicht klappt. Wie geht es also Müttern, die nicht stillen? Bei denen es nicht funktioniert hat, es zu schmerzhaft war, das Kind die Brust nicht wollte oder das Baby ein Pflege- oder Adoptivkind ist? Nur das Zweitbeste für das Baby?

Und wie geht es jenen, die sich bewusst gegen das Stillen entscheiden – und gute Gründe dafür haben. Egal warum man seinem Baby das Fläschchen statt der Brust gibt, mit "Fläschchen-Shaming" haben viele Mütter zu kämpfen. Ob man die gesundheitlichen Vorteile nicht kenne? Es überhaupt richtig versucht habe?

Wenn Mütter sich verzweifelt Rat in Onlineforen holen, weil das Anlegen nicht klappt, das Kind vor Hunger schreit und alle mit den Nerven fertig sind, kommt meist nur eine Antwort: Dranbleiben, durchbeißen und Finger weg von der Säuglingsanfangsnahrung.

Stillen nicht immer das Beste

Für die gibt es übrigens strenge gesetzliche Regelungen: Sie darf nicht beworben werden, und auch preisreduzierte Angebote für Säuglingsanfangsnahrung sind verboten. Wer nicht stillt, muss den vollen Preis zahlen. Hier erzählen fünf Frauen, die ihr Kind nicht stillen oder nicht gestillt haben. Wie es ist, wenn einem vermittelt wird, nur das Zweitbeste zu tun – und später zu entdecken, dass Stillen doch nicht immer das Beste ist.

"Ich wusste, ich will meinen Körper zurück."

– Petra*, 40 Jahre

Ich habe schon größere Kinder. Damals hatte ich große Gewissensbisse, dass ich nicht gestillt habe. Das ist jetzt bei meiner kleinen Tochter anders, heute stehe ich da schon etwas drüber. Doch damals habe ich bei meinen Älteren länger versucht zu stillen – und es war die Hölle. Deshalb wusste ich jetzt einfach: Ich will nicht stillen, ich will meinen Körper zurück – und dass alle in meinem Umfeld mithelfen können. Beim Stillen muss man als Mutter ständig vorhanden sein. Es ist vielleicht nicht gewollt, aber dadurch wird ein klassisches Frauenbild oktroyiert. Die Mutter ist dann schnell für alles zuständig, das ergibt sich nach und nach so – und der Rest der Familie kann nicht wirklich entlasten.

Intelligent stillen

Man wird auch ständig mit vielen Studien bedrängt, doch es ja nicht so, dass ein krankes Kind gesund und ein weniger intelligentes Kind intelligent gestillt werden kann. Mit der Botschaft, dass Stillkinder in allem besser sind und nie krank, wird einfach viel zu viel auf das Stillen geladen.

Während der Schwangerschaft ist man laufend mit Stillvereinigungen wie der La-Leche-Liga konfrontiert. Ich empfand das als aufdringlich, auch dass man immer nur die Vorteile des Stillens präsentiert bekommt. Von den Vorteilen des Flascherls hört man hingegen nie etwas. Wenn man Schwierigkeiten beim Stillen hat, heißt es einfach "durchbeißen" – und das Wohlbefinden der Mutter wird völlig ausgeblendet. Man wird ständig gefragt, ob man stillt – und wenn man verneint, kommen sehr verhaltene Reaktionen. Es ist sehr selten, dass jemand wirklich neutral reagiert. Das alles setzt einem zu und vermittelt das Gefühl: Du tust nicht das Beste.

"Auch als Adoptivmutter könnte ich stillen."

– Eva, 43 Jahre

Als ich selber klein war, wurde automatisch die Flasche gegeben, heute muss praktisch in jedem Fall gestillt werden. Schmerzen, Schlafmangel bis zur Erschöpfung, das muss man aushalten. Wir haben unsere Tochter adoptiert, deshalb konnte ich das Thema Stillen in den Eltern- und Müttergesprächen, die man mit Babys so oft führt, mit Distanz beobachten. Doch auch mir wurde klar: Geht es ums Stillen, gerät man schnell in einen Shitstorm. Wenn in Mütterforen Frauen völlig verzweifelt waren, weil das Stillen nicht klappt, habe ich manchmal versucht zu beruhigen: dass bei uns mit dem Fläschchen alles sehr gut klappt und sich das Baby prächtig entwickelt. Daraufhin habe ich Kommentare bekommen, dass auch ich als Adoptivmutter stillen könne, es gebe da eine Technik mit wiederholtem Anlegen – absurd. Müttern wird enormer Druck wegen des Stillens gemacht, da ist schnell von gesundheitlichen und psychischen Abgründen die Rede, wenn man nicht stillt.

Bindungsaufbau

Deshalb empfand ich mich als privilegiert, dass mir selbst sehr engagierte Stillbefürworterinnen keinen Vorwurf machen konnten. Das Fläschchen machte uns die gemeinsame Aufteilung sehr leicht, mein Mann und ich konnten uns beim Füttern und beim Aufstehen in der Nacht abwechseln, und wir konnten abwechselnd ausschlafen.

Die ständigen Hinweise auf die gesundheitlichen Vorteile des Stillens, etwa dass es Allergien vorbeugt, haben mich weniger getroffen – da konnte ich einfach nichts machen. Dennoch hat mich der Druck über eine subtilere Botschaft erreicht, bei der es um den Bindungsaufbau geht. Als Pflege- und Adoptiveltern weiß man, wie wichtig der Bindungsaufbau ist, weil das Kind schon einen Bindungsabbruch erlebt hat. Man muss deshalb sehr darauf achten, dass das Kind wieder in eine stabile Bindung kommt – daher habe ich mir schon manchmal gedacht, ob das Fläschchen vielleicht eine Distanz zwischen mir und meine Tochter bringen könnte. Geholfen hat mir aber, dass auch mein Mann durch das Füttern schnell eine enge Bindung zu unserer Tochter aufbauen konnte. Ebenso wichtig war eine Erfahrung von Früher: Ich habe meiner 13 Jahre jüngeren Schwester damals oft das Fläschchen gegeben, und das hat bestimmt zu unserer guten Verbindung beigetragen. Und so konnte ich auch meine Mutter entlasten.

"Der Herr Sohn soll sich halt anstrengen."

– Julia, 40 Jahre

"Stillen ist das Beste für Ihr Kind", diesen Satz habe ich vor zehn Jahren, als mein Sohn zur Welt kam, überall gelesen. Er wurde in jedem Werbespot für Fläschchennahrung erwähnt, in jedem Ratgeber zu Säuglingsnahrung wie ein Gebet wiederholt. Als liebende Jungmutter wollte ich selbstverständlich nichts anderes als "das Beste für mein Kind", und damit stand außer Frage: Ich werde mein Kind stillen. Glücklicherweise hatte ich auch genug Milch, und an Willen und Ehrgeiz meinerseits mangelte es keinesfalls. Aber mein Sohn hatte andere Pläne: Er war zu schwach zum Trinken. "Stillfaul" nannte man das. "Na, dann muss er sich halt ein bissl mehr anstrengen, der Herr Sohn", bekam ich zu hören. Weil "Stillen ist das Natürlichste auf der Welt", und "jede Frau kann stillen".

Befreiung und Anklage zugleich

Ich habe diese Sätze so oft gehört, dass sie nach all den Jahren noch immer präsent sind. Von Hebammen, befreundeten Müttern, in Internetforen, der Stillberatung, meiner Schwiegermutter. Nur die Kinderärztin hat drei Wochen nach der Geburt gemeint: "Bitte, geben Sie ihm doch ein Flascherl, das Kind hat zu wenig Gewicht und schreit, weil es Hunger hat!" Das war Befreiung und Anklage zugleich. Befreiung, weil ich quasi ärztlich verordnet eine "Ausrede" dafür hatte, mein Kind nicht mehr stillen zu müssen. Anklage, weil: "Welche Mutter lässt ihr drei Wochen altes Baby quasi verhungern?"

In den ersten Wochen hatte ich ständig ein schlechtes Gewissen. Eine Mutter, die nicht in der Lage ist, das "Natürlichste auf der Welt" auf die Reihe zu kriegen, ist eine schlechte Mutter. Eine Mutter, die es nicht schafft, ihr Kind zum Trinken zu bringen, hat einfach kein Durchhaltevermögen.

Heute – zehn Jahre später – packt mich noch immer die Wut, wenn ich in der Werbung höre, dass Stillen das Beste für mein Kind wäre – oder wenn in Diskussionen über Allergien Stillen als Wundermittel schlechthin angepriesen wird. Es ist die Wut auf mich selbst, dass ich mich so sehr habe beeinflussen lassen, dass ich ganze drei Wochen lang mich und mein Kind mit dem Thema gequält habe. Wie schön und entspannt hätte diese Zeit sein können, hätte ich von Anfang an gleich das Flascherl gegeben.

Trink- und Schluckschwierigkeiten

Mein Sohn ist von Geburt an ein sogenanntes "besonderes Kind". Das wusste ich aber damals noch nicht, es wurde erst im Laufe der Jahre erkennbar. Typisch für diese Kinder ist unter anderem, dass sie Trink- und Schluckschwierigkeiten haben und auch später im Leben viele Speisen allein ihrer Konsistenz wegen ablehnen oder bevorzugen. Er war also weder "faul", noch war ich unfähig oder zu wenig hartnäckig.

Werbung, die mit dem Satz "Stillen ist das Beste für Ihr Kind" beginnt, ist eine Anklage und ein Vorwurf, eine Beschämung und, was mich betrifft, eine ausgemachte Frechheit, weil es einfach nicht in jedem Fall stimmt.

"Das Gebot zu stillen finde ich richtig."

Nina, 40 Jahre

Der Hype ums Stillen führt schon dazu, dass man als schlechte Mutter wahrgenommen wird, wenn es nicht klappt. Damit habe ich allerdings weniger zu kämpfen, weil ich das Gefühl habe, wirklich alles versucht zu haben. Aber abgesehen von ein bisschen stillen in der Nacht ist einer meiner Söhne der klassische Busenverweigerer geworden, beim anderen klappt es.

Das starke Gebot zum Stillen finde ich prinzipiell auch richtig, es ist definitiv das Beste und auch das Günstigste. Mit Zwillingen stieß ich eher auf die Reaktion, dass ich beide sowieso nicht stillen könne – was meines Erachtens Unsinn ist. Doch Zwillinge kommen oft etwas zu früh auf die Welt, weshalb ihnen manchmal einfach die Kraft zum Trinken an der Brust fehlt. Auch wenn man es mit diversen stillfreundlichen Zufütterungsmethoden versucht, die Babys sehen trotzdem, dass es beim Zufüttern schneller geht – und wollen das Stillen dann einfach nicht mehr lernen. Das kann es mit Zwillingen wirklich sehr schwer machen, weil man schlicht nicht die Zeit hat, es ewig weiterzuverfolgen, dass sie doch noch die Brust nehmen.

Sinnlose Regelungen

Ich denke nicht, dass die Mehrheit der Mütter nicht stillen will, und deshalb bin ich mir sicher, dass Werbeverbote und Rabattverbote keine Auswirkungen auf die Frage haben, ob jemand stillen möchte oder nicht. Das sind sinnlose Regelungen, die Frauen entscheiden sich unabhängig davon.

"Wer nicht stillen will, wird gekillt"

– Lisa, 45 Jahre

Wer nicht stillen will, muss in Elternforen immer sagen, dass man nicht stillen kann – ansonsten wird man gekillt. Ich habe schon während der Schwangerschaft gewusst, dass ich mir die Ernährung unseres Kindes mit meinem Freund teilen will und nicht stillen will. Deshalb war mir wichtig, in einem Spital zu gebären, von dem ich wusste, dass Stillvereinigungen wie die La-Leche-Liga nicht so präsent sind und daher der Stillapparat nicht so stark ist.

Dort wurde ich von der Hebamme nicht verurteilt, als ich Abstilltabletten verlangt habe. In vielen anderen Spitälern hätte ich mir sicher dauernd anhören müssen, dass ich es doch mal versuchen soll. Wenn man schwanger ist und sich gegen das Stillen entschieden hat, muss man bei der Wahl des Spitals und der Hebamme sehr genau sein, damit einem nicht Druck gemacht wird. Man muss später auch noch ständig rechtfertigen, wenn man nicht stillt.

Männlich dominierter Medizinapparat

Ich habe viel recherchiert und wusste, dass meine Entscheidung in Ordnung ist und für die Gesundheit des Babys okay. Trotzdem haben mich die vielen Urteile getroffen. Etwa in Internetforen, wo man am Anfang viel unterwegs ist, weil man natürlich unsicher ist. Und was ich mir von meiner ersten Kinderärztin anhören musste. Wie kann ich ihm nur das Stillen verwehren? Ich müsste doch wissen, dass es das Beste ist! Dann sind da noch die gesetzlichen Reglementierungen wie das Werbeverbot und das Verbot von Rabatten für Säuglingsanfangsnahrung – als ob eine Frau sofort abstillen würde, wenn eine Packung Säuglingsnahrung mal in Aktion ist. Das alles zeugt von der Vorstellung von Frauen als leicht beeinflussbaren Wesen, denen man jedes Mal, wenn Sie die Pränahrung aufmachen, sagen muss, dass Stillen ja das Beste ist. Du wirst total entmündigt.

Ich verstehe gut, dass Frauen aus dem männlich dominierten Medizinapparat rauswollen, dass sie selbstbestimmt gebären wollen, stillen wollen, statt Geld für problematische Konzerne wie Nestlé auszugeben. Aber dieser Natürlichkeitsterror setzt Frauen auch extrem unter Druck. Ich finde auch Aktionen gut, die sich dafür einsetzen, dass Frauen in Ruhe öffentlich stillen können, ohne sich Kommentare anhören zu müssen. Doch was man sich alles anhören muss, wenn man seinem Baby in der Öffentlichkeit ein Flascherl gibt, ist ganz schön arg.

Du sollst einerseits nur ja nicht deinen Busen zeigen, andererseits will man auch keine Fläschchen sehen. Also was sollst du tun? Am besten zu Hause stillen – aber auch nicht allzu lange, weil eine Langzeitstillerin ist auch irgendwie schräg. Du kannst es nicht richtig machen. (Beate Hausbichler, 6.10.2019)