Hee Chan Hwang ließ den besten Verteidiger der Welt, Virgil van Dijk, vor seinem Tor aussteigen.

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Es war eine Niederlage wie ein Ritterschlag. Hätte man Salzburgs 6:2-Sieg gegen Genk noch als Strohfeuer abtun können, schwebte nach dem 3:4 beim FC Liverpool das Wort "angekommen" in der Luft. Angekommen in der Champions League, angekommen in Europas Elite. "Wenn man hier – zumindest 75 Minuten – bestehen kann, kann man das gegen jeden", sagte Verteidiger Maximilian Wöber. Die Spieler waren nach Abpfiff enttäuscht, verärgert, stolz. Sie wussten: Das war großartig, aber da war mehr drin.

Zum Beispiel, wenn Salzburg nicht erst nach einer halben Stunde ins Spiel gefunden hätte. "Wir hatten zu viel Respekt", waren sich Trainer Jesse Marsch und Spieler Hee-chan Hwang einig. "Ein unglaublich g‘schissener Beginn, wo sich jeder gedacht hat, das geht heute richtig schief", sagte Wöber. "Wir sind nur von links nach rechts gelaufen und haben nicht gewusst, wo der nächste Ball hinkommt. Ein bisschen wie blinde Hühner", sagte der Sommer-Neuzugang. Reds-Coach Jürgen Klopp nannte die "mit der beste Fußball, den wir bisher gespielt haben."

Knackpunkt Raute

Noch beim Stand von 0:2 stellte Marsch die Formation auf eine Mittelfeldraute um. "Ihr Systemwechsel war ein Problem für uns, weil wir es immer noch durch die Mitte versucht haben und dort die Bälle verloren haben" gestand Klopp. Das 0:3 fiel trotzdem. "Manche Teams brechen nach einem 0:3 in Anfield ein. Sie waren unbeeindruckt", sagte Klopp.

Das beste Beispiel dafür war Hwang. Wie der Südkoreaner Starverteidiger Virgil van Dijk vor dem 1:3 mit einem angetäuschten Schuss auf die Reise ins Niemandsland schickte, muss er sich in den Lebenslauf schreiben. "Er hat das gut gemacht", sagte der Niederländer.

Dass die Anzeigetafel im Stadion gleich auf 3:3 umsprang, sorgte für Schmunzeln auf den Rängen. Dass der Irrtum in der 60. Minute zur Realität wurde, deutlich weniger. "Wir haben keine zweiten Bälle mehr gewonnen", sagte van Dijk. Takumi Minamino spielte im offensiven Mittelfeld die Partie seines bisherigen Fußballerlebens.

Nach dem Ausgleich sah Salzburg-Goalie Stankovic sein Team "emotional im Vorteil". Man fühlte sich zurückerinnert an die großen Europa-League-Abende gegen Dortmund, Lazio, Brügge. Wenn der Bullen-Express einmal rollt, wird es gruselig für den Gegner. Aber Klopp drehte am System, Liverpool fing sich und beendete Salzburgs Drangphase.

Im Internet scherzten Fans danach über Liverpools "Plot Armor". Der Begriff steht dafür, dass Helden einer TV-Serie der Handlung zuliebe nicht sterben dürfen und so die schlimmsten Schlachten unbeschadet überstehen. Auf Liverpool umgelegt: Denkwürdige Spiele gewinnen immer die Reds, sei es auch noch so unpassend. Mehr als ein Running Gag ist das natürlich nicht, weiß der rationale Fußballfan. Oder?

Selbstverständnis eines Champions-League-Siegers

Die Geschichte ist bekannt: Dominik Szoboszlai leistete sich einen Patzer, die Reds brauchten drei perfekte Ballkontakte für das 4:3. Mit dem Selbstverständnis eines Champions-League-Siegers, aber nicht ohne Sorge spielte das Starensemble die Führung über die Ziellinie.

"Wir hätten uns den Punkt verdient", sagte Salzburg-Torwart Cican Stankovic – und sogar Klopp stimmte ihm zu. Kapitän Andreas Ulmer sagte: "Das Spiel wird lange im Kopf bleiben, wir können sehr viel mitnehmen."

Eine halbe Stunde lang wie der Hase vor der Schlange zu erstarren, das wird den Bullen wohl nicht mehr passieren. "Wir haben uns jetzt selbst bewiesen, wie weit wir sind und was wir draufhaben. Ich glaube, das war vielen noch nicht bewusst, dass wir so stark sein können", sagte Wöber.

Für Salzburg kommt nun das möglicherweise vorentscheidende Doppel gegen Napoli, los geht es am 23.10. in Salzburg. "Wir müssen spielen wie in der zweiten Halbzeit, dann kann alles passieren", sagte Szoboszlai. Und Klopp freute sich über die enge Gruppe: "Wir werden uns gegenseitig auf die Knochen hauen." (Martin Schauhuber aus Liverpool, 3.10.2019)