Rainer Esser (62) will nicht einstimmen in die Angriffe auf Google und Facebook: Sie bringen eine Menge Onlinezugriffe, erinnert der Geschäftsführer der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" im Gespräch mit dem STANDARD. Und statt neidisch an der Seitenlinie zu stehen, macht er lieber selbst gute Geschäfte – auch in Österreich, seit 15 Jahren mit einer eigenen Regionalausgabe.

STANDARD: Herr Esser, Sie wollen sich nicht einreihen in die Angriffsformation vieler Verleger und Medienmacher gegen die Onlineriesen wie Facebook, Google und Amazon. Haben Sie kein Problem mit den weltgrößten Konkurrenten im Werbemarkt, mit digitalem Leistungsschutz ihrer Inhalte und, und, und?

Esser: Ich kümmere mich um die Dinge, die ich selbst möglichst positiv beeinflussen kann, weniger um die große Politik. Wie Google und Facebook Steuern zahlen, dafür sind andere zuständig, das ist nicht unser Problem. Was wir sehen ist, dass uns Google und Facebook auf unseren Portalen "Zeit Online", "academics" und "ze:tt" nicht unerheblichen Traffic bringen.

Hoch über Hamburg: Rainer Esser, Geschäftsführer der "Zeit".
Foto: Die Zeit / Johannes Arlt

STANDARD: Wollen Sie erheblich quantifizieren?

Esser: Google war in der Spitze bei 30 Prozent und Facebook bei sechs, sieben Prozent. Das ist jetzt etwas weniger geworden – aber jedenfalls beträchtlich. Das ist bei allen Medien so, bei manchen mehr, bei anderen weniger. Das ist doch schon einmal sehr erfreulich. Und alle schauen, dass sie möglichst gut von Google gefunden werden. Im Gegenzug von Google Geld dafür zu verlangen, dass die einen auffindbar machen, halte ich für eine komische Idee.

STANDARD: Medienhäuser werfen Google vor, ihre Inhalte kommerziell zu nutzen, ohne dafür zu zahlen – während Google betont, Google News würde werblich nicht vermarktet.

Esser: Das Leistungsschutzrecht ist wichtig, wenn jemand längere Texte von uns abgreift und die selber kommerziell verwendet. Dann müssen wir, selbstverständlich nicht nur über das Urheberrecht des Autors, ein Leistungsschutzrecht haben. Aber wenn jemand Snippets von uns nimmt und uns damit hilft, im Netz gefunden zu werden, dann kann ich von dem doch kein Geld dafür verlangen.

"Ich kann nicht neidisch an der Seitenlinie stehen und sagen: Die nehmen mir Geschäft weg."

STANDARD: In der Diskussion geht es auch um die massive Konkurrenz in der Onlinewerbung. Sie haben 2018, wenn die Zahlen stimmen, gut ein Viertel Ihrer Werbeeinnahmen online gemacht. Google hat weltweit neunmal höhere Werbeeinahmen als der größte klassische Medienkonzern. Und in Österreich wächst online vor allem Suchmaschinenwerbung – und Google beherrscht 98 Prozent dieses Markts. Da verstehe ich Ihre Gelassenheit nicht ganz.

Esser: Dass Google und Facebook einen so hohen Anteil an der Onlinewerbung haben, ist ein Fakt. Die haben halt ein besonders gutes Geschäftsmodell. Da kann ich nur mit Bewunderung sagen...

STANDARD: ... das hätte uns einfallen sollen.

Esser: Hätte uns einfallen sollen, machen aber halt die. Wenn Google und Facebook ein gutes Geschäftsmodell haben, müssen wir schauen, auch gute und neue Geschäfte zu entwickeln. Ich kann nicht neidisch an der Seitenlinie stehen und sagen: Die nehmen mir Geschäft weg. Welches Geschäft nehmen die weg? Wir sind in einem freien Wettbewerb. Wenn Google und Facebook gute Geschäfte machen, dann: Hut ab! Kooperation und Innovation statt Neid ist unser Weg.

"Ich sehe keinen Missbrauch der Marktmacht, weil Google besonders gut im Targeting Angebote machen kann."

STANDARD: Marktwirtschaft beinhaltet üblicherweise Maßnahmen gegen Monopolbildung und Missbrauch der Marktmacht.

Esser: Ich sehe keinen Missbrauch der Marktmacht, weil Google besonders gut im Targeting Angebote machen kann. Marktmissbrauch wäre, wenn sie uns nicht auf ihre Plattform lassen würden, weil wir Konkurrenten wären.

STANDARD: Das eine oder andere EU-Verfahren wegen Marktmissbrauch gegen Google gab es schon.

Esser: Die wurden vom Springer-Verlag mitinitiiert. Der hat als Geschäftsmodell vor allem die Online-Rubrikenmärkte. Da ist Google natürlich ein mächtiger Mitspieler.

STANDARD: Rubrikenmärkte sind auch ein wesentlicher Markt der "Zeit".

Esser: Wir sind stark im Online-Stellenmarkt im Bereich Universitäten, Stiftungen, öffentlicher Bereich und Young Professionals. Auch da herrscht Wettbewerb, und wir müssen schauen, dass wir diese Marktplätze gut verteidigen und ausbauen. Jeder muss schauen, dass er seine Geschäfte möglichst innovativ vorantreibt.

Als Redaktionschef für Österreich will die "Zeit" "jemand mit Ecken und Kanten, intellektuell auf einer großen Flughöhe, liberal ausgerichtet", sagt Geschäftsführer Esser.
Foto: Die Zeit / Johannes Arlt

STANDARD: Aus der großen Welt nach Österreich: Wer wird denn dem Initiator und redaktionellen Motor Joachim Riedl als Redakteur der "Zeit" in Österreich nachfolgen?

Esser: Wir sind in sehr guten Gesprächen. Es wird eine klasse Nachfolge geben für Herrn Riedl.

"Wir haben bei der 'Zeit' einen hohen Frauenanteil, das tut dem Blatt sehr gut. Das wäre auch in Österreich eine sehr gute Option."

STANDARD: Wie würden Sie denn das Anforderungsprofil beschreiben?

Esser: Es muss eine Persönlichkeit sein. Jemand mit Ecken und Kanten, intellektuell auf einer großen Flughöhe, liberal ausgerichtet. Und jemand, der gerne auch Themen setzt und sich einmischt.

STANDARD: Wie wäre es mal mit einer Frau? Ich höre, das wäre geplant.

Esser: Wir haben bei der "Zeit" einen hohen Frauenanteil, das tut dem Blatt sehr gut. Das wäre auch in Österreich eine sehr gute Option.

STANDARD: Wie wahrscheinlich ist das?

Esser: Volle 50 Prozent.

STANDARD: Wann wird die Nachfolge offiziell?

Esser: So in einem Monat sollte das klar sein. Das Gespräch führt der Chefredakteur. Ich glaube, die sind auf einem guten Weg.

STANDARD: Frau wollen Sie nicht bestätigen?

Esser: Ich kann nur bestätigen: volle 50 Prozent.

STANDARD: Wie hoch ist denn der Frauenanteil bei Führungskräften der "Zeit"?

Esser: Insgesamt im Haus ist der Frauenanteil deutlich über 50 Prozent. In der Führungscrew nähern wir uns 50 Prozent.

STANDARD: An der Spitze wird er dann immer dünner.

Esser: Der Chefredakteur ist ein Mann, und der Geschäftsführer auch. In der nächsten Generation wird das vermutlich anders sein. In der engeren Führungscrew nähern wir uns 50 Prozent – in der Chefredaktion, bei den Ressortleitern und auch bei den Bereichsleitern der "Zeit".

"Österreich ist für uns nach Deutschland der wichtigste Markt."

STANDARD: Was bedeutet denn der österreichische Markt für die "Zeit", und was bringt er? Sie haben hier einen Redakteur, einen Verlagsrepräsentanten, die Gehälter muss man auch erst einmal reinspielen.

Esser: Österreich ist für uns nach Deutschland der wichtigste Markt. Wir haben vor 15 Jahren in Österreich begonnen, da hatten wir rund 10.000 verkaufte Exemplare am Kiosk und im Abo. Heute liegen wir bei 30.000 Exemplaren. Auch im Anzeigengeschäft hat sich langsam herumgesprochen, dass die "Zeit Österreich" mehr als 100.000 Reichweite hat in einer sehr interessanten urbanen Zielgruppe: 70 Prozent unter 49 Jahren. Und wer sich jede Woche so ein dickes Brett kauft, das Themen adressiert, die weit über den Tag hinausgehen, der ist in der Regel auch recht gebildet und hat ein ordentliches Einkommen.

STANDARD: Das heißt, flapsig formuliert, das bringt wirtschaftlich etwas und finanziert nicht nur zwei Arbeitsplätze in Österreich – aber wieviel bringt es?

Esser: Es sind drei Arbeitsplätze, Joachim Riedl hat noch redaktionelle Unterstützung. Hinzu kommt unser Repräsentant Sebastian Loudon. Wir betrachten Österreich nicht als separates Profitcenter – ebensowenig unsere anderen Regionalausgaben für Hamburg, die ostdeutschen Bundesländer, für die Schweiz. Der Regionalteil ist, so wichtig er ist, nur ein Bruchteil der gesamten Zeitung.

STANDARD: A propos: Könnte es sein, dass der Erfolg der österreichischen "Zeit" auch daran liegt, dass alle, die darin vorkommen, glauben, sie kommen auch in der Hauptausgabe vor?

Esser: Sie kommen dort ja auch vor: Von unserer Auflage von 500.000 Exemplaren sind 130.000 digitale Zugänge. Und in der digitalen Ausgabe der "Zeit" können sie alles lesen: Österreich, Schweiz, Hamburg, Osten.

"Der entscheidendste Grund dafür, dass es uns ordentlich geht, ist unsere Innovationskultur."

STANDARD: Die "Zeit" wird herumgereicht als Erfolgsbeispiel für ein verlegerisches Medium in einer Zeit, die es solchen Medien nicht leicht macht. Liegt das am – gedruckten – Wochenrhythmus? Ist das einfacher als Tageszeitung – wobei man auf Kongressen auch das genaue Gegenteil häufig hört...?

Esser: Der Erfolg unseres Wachstums liegt weniger im Erscheinungsrhythmus als in der Diversifizierung. Wir haben die Marke "Zeit" weiter entwickelt, heute gibt es zum Beispiel auch "Zeit Verbrechen", "Zeit Germany", "Zeit Magazin Mann", "Zeit Wissen", "Zeit Geschichte", "Zeit Leo", "Zeit Studienführer", "Zeit Campus" oder "Zeit Reisen" und vor allem "Zeit Online". Wir sind in Eigentümerstruktur und Ausrichtung dem STANDARD sehr nahe – ein Familienunternehmen, eine eher liberale Plattform, auf der gesellschaftlicher Diskurs stattfindet, ohne dass wir Partei ergreifen. Wir haben aber den großen Vorteil, dass der deutsche Markt deutlich größer ist. Der entscheidendste Grund dafür, dass es uns ordentlich geht, ist unsere Innovationskultur. Die "Zeit" entwickelt sich permanent weiter. Und die Redaktion ist heute deutlich jünger und diverser ist als noch vor zehn Jahren.

STANDARD: Sie haben ihren Umsatz 2018 insbesondere mit einer Übernahme eines Verlags (Spotlight) in Deutschland gesteigert. Würden Sie Unternehmen in Österreich interessieren? Der "Falter" würde sich etwa aufdrängen – wenn er zu verkaufen wäre.

Esser: Der "Falter" ist eine tolle Wochenzeitung, Florian Klenk war auch einige Zeit bei der "Zeit". In erster Linie würden wir in Österreich aber gerne die Diversität ausbauen, wie wir sie in Deutschland haben: Wir würden gerne im Corporate Publishing ein paar Dinge machen. Wir haben inzwischen zwei Konferenzen in Österreich und machen immer wieder schöne Veranstaltungen, zweimal schon Gespräche von Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mit Sebastian Kurz und mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur. Das würden wir natürlich auch sehr gerne fortsetzen.

STANDARD: Das mit Kurz könnte sich fortsetzen.

Esser: Ja, sieht ganz danach aus – wenn er wieder zu uns kommt. In der letzten Wahl hat er ja einen fulminanten Erfolg gehabt.

STANDARD: Was würden Ihre Werbekunden in Deutschland sagen, wenn Sie sich dort weder an Auflagenerhebung IVW noch an der Reichweitenstudie Media-Analyse noch an der Online-Erhebung Agof beteiligen würden? In ihrem zweitwichtigsten Markt sind Sie bei keinem der drei österreichischen Pendants – lohnt sich das nicht für den österreichischen Markt?

Esser: Wir nehmen Teil an der Cawi-Print von GfK. Aber ich nehme das gerne als Anregung auf. (Harald Fidler, 4.10.2019)