Der Müllerssohn mit Lockenkopf: Für sein Selbstporträt (ca. 1628) kam Rembrandt van Rijn auf die damals unerhörte Idee, das Licht von hinten einzusetzen.

Rijksmuseum Amsterdam

Wir wissen, an welchem Tag er starb, jedoch nicht, woran. Heute vor 350 Jahren hauchte Rembrandt Harmenszoon van Rijn sein Leben aus; von einer Krankheit des 63-jährigen Meisters ist nichts überliefert. Ein Jahr zuvor hatte die Pest seinen geliebten Sohn und Manager Titus dahingerafft. Weniger Trauer als eine große Mattigkeit spricht aus dem mutmaßlich letzten Selbstbildnis des Meisters, das heute dem Mauritshuis in Den Haag gehört.

Welches Gemälde am Ende auf der Staffelei des verarmten Starkünstlers stand, kann auch die prächtige neue Werkausgabe mit Abbildungen in "XXL-Auflösung" nicht sagen. Dabei zählt der Holländer zu den am intensivsten durchleuchteten Malern der Kunstgeschichte. An seinem Werk vollzog sich seit den 1970er-Jahren die Hinwendung zu naturwissenschaftlichen Methoden, die durch die digitale Entwicklung noch befeuert wurde.

Nicht mehr das Auge des Restaurators, sondern ein Scanner streicht dieser Tage über Rembrandts Hauptwerk Die Nachtwache im Amsterdamer Rijksmuseum. Das Publikum steht fasziniert vor der Glaskammer, die extra dafür im Ausstellungsraum installiert wurde. Die Apparatur fährt im Schneckentempo an den 31 Soldaten der bewaffneten Schützengilde entlang. Wurde die Expertise an die Maschine delegiert?

Frustrierender Befund

Dass kein Computer das Urteil "Rembrandt / Not Rembrandt" fällen könnte, hat indes bereits die gleichnamige Ausstellung 1995 im Metropolitan Museum dargelegt. Damals klopfte das Team des niederländischen Rembrandt Research Project bei der New Yorker Institution an. Von den 41 Gemälden, die zuvor als eigenhändige Werke gegolten hatten, hielten nur 18 Sammlungsstücke der Prüfung stand. Für diesen frustrierenden Befund war die Kennerschaft der Kunsthistoriker aber ebenso wichtig wie die Laborergebnisse.

Was hatte der Müllerssohn mit dem Wuschelhaar, was seinen Kollegen, Schülern und Nacheiferern fehlte? Bei dieser Frage tut sich selbst der Scharfrichter der Werkabschreibungen Ernst van der Wetering schwer. In seinem Text Versuch einer objektiven Würdigung hebt der langjährige Leiter des Rembrandtprojekts die unglaubliche Konzentration und Vorstellungskraft des so "spontanen" Malers hervor. Seine Pinselstriche würden ein geniales Balance- und Rhythmusgefühl beweisen, ebenso seine Raumkompositionen.

Lichtregie und Gefühlstiefe: Diese Hand in Hand gehenden Qualitäten haben in Rembrandts Werk quer durch die Jahrhunderte in den Bann gezogen. Wie revolutionär der an Caravaggios Hell-Dunkel-Malerei geschulte Maler damit umging, unterstreicht auch Jonathan Bikkers neues Buch Rembrandt. Biography of a Rebel. Diese Biografie wurde vom Rijksmuseum herausgegeben, wo nach der Jubiläumsschau Alle Rembrandts nun am 11. Oktober die Ausstellung Rembrandt und Velázquez startet.

Licht von rückwärts

In einem seiner rund 80 Selbstporträts kam der Twentysomething die verrückte Idee, das Licht von hinten einzusetzen. Nur Nackenpartie und Wange leuchten auf, die Locken sind in die dunkle nasse Farbe gekratzt. Seine verschatteten Augen machen den jungen Mann noch interessanter. Von wegen Rembrandt als Vorläufer der Selfie-Sucht! Den Holländer fesselte nicht die Frage, wie er sich ins beste Licht rückt, sondern wie Sehen und Erkennen zusammenhängen.

Außerdem verweigerte der gefragte Porträtist jegliche "Filter": Er idealisierte weder sein eigenes Aussehen noch das seiner Kunden. Während die südliche Barockkunst von "bellezza" besessen war, legte Rembrandt zahllose Farbschichten für die Runzeln im greisen Gesicht der Heiligen Hanna im Wiener Kunsthistorischen Museum auf.

Anstatt die biblischen und mythologischen Szenen der Italiener zu recyceln, kramte der gelernte Historienmaler andere Storys hervor, etwa in seinem spektakulären Monumentalbild Die Blendung Simsons. Im Gegensatz zu Rubens hatte Rembrandt mit Helden wenig am Hut, sein Spot richtete sich auf zerknirschte Sünder wie Judas mit den Silberlingen oder den verlorenen Sohn.

Der reife Rembrandt schließlich wollte weniger beeindrucken als Empfindungen auslösen. Jahrhunderte vor Psychoanalyse und Gehirnforschung fing er ein, wie unendlich komplex und widersprüchlich Menschen sind. Der Blick von Rembrandts Figuren wandert nach innen, und so betritt – wiewohl unsichtbar – das Psychodrama die Bühne der Malerei. (Nicole Scheyerer, 4.10.2019)