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Boris Johnson tritt nun plötzlich konziliant auf. Ob ihm das Zustimmung der EU bringt, ist aber offen.

Foto: AP / Kristy Wigglesworth

Gibt es mehrere Boris Johnsons? Der Mann, der Donnerstagmittag vor das britische Unterhaus schritt, sah dem Premier zwar verdächtig ähnlich und verfolgte auch das gleiche Ziel eines zügigen Brexits. Doch sonst erinnerte er kaum an jene Person, die vor einer Woche noch seine Kritiker in die Nähe von "Verrätern" und Defätisten gestellt hatte und die tags zuvor auf der Tory-Parteikonferenz die Opposition "antisemitische Marxisten" geheißen hatte. Stattdessen gab sich der Regierungschef konziliant, auf kritische Fragen entgegnete er mehr als einmal, dass er für den Gedankenanstoß herzlich dankbar sei.

Knapp einen Monat vor dem geplanten Brexit-Termin haben die Konservativen offenkundig ihre Kommunikationsstrategie umgestellt – denn nun geht es darum, dass Johnsons "Vorschläge" an die EU zumindest im Unterhaus nicht durchfallen – wenn schon die EU zu erkennen gibt, dass sie mit den fünf Punkten, die Johnson vorschweben, nicht d'accord geht.

Großbritannien hatte ja am Mittwoch ein Schreiben an Brüssel gesandt, in dem die Regierung aufführt, was sie sich an Änderungen zum bisherigen Austrittsvertrag erhofft. Aus Irland kamen dazu am Donnerstag ablehnende Worte, aus dem EU-Parlament gar ein deutliches Nein. Johnsons Vorschläge seien "nicht einmal im Ansatz" akzeptabel und könnten auch nicht zum Ausgangspunkt einer Einigung werden, teilte der für den Brexit zuständige Ausschuss mit. Das EU-Parlament muss einem Deal zustimmen. Die Knackpunkte im Detail:

1. Karfreitagsabkommen

Am wichtigsten, das betont die britische Regierung, sei ihr, dass durch den Brexit der fragile Frieden in Nordirland nicht in Gefahr gerät. Das 1998 geschlossene Karfreitagsabkommen zwischen Dublin, London und den bis dahin verfeindeten Parteien in Nordirland werde durch die neuen Pläne zum britischen EU-Austritt daher nicht beeinträchtigt. Daher setze man auch auf ein Abkommen mit der EU, das die seit 1923 für Personen und seit 1993 auch für Güter offene Grenze zwischen Nordirland und der Irischen Republik offen belasse. Erreicht werde das, indem man auch künftig auf Zollkontrollen und Kontrollinfrastruktur an der Grenze verzichte.

-> Aussichten: Die Worte an sich werden in der EU und in Dublin erleichtert aufgenommen. Aber es bleibt völlig unklar, wie die tatsächliche Umsetzung der Versprechungen aussehen könnte – das zeigen auch die nächsten Punkte.

2. Irland-Zusammenarbeit

Die Briten bekennen sich außerdem zur "langjährigen Zusammenarbeit mit der Republik Irland". Gemeint ist damit unter anderem die "Common Travel Area", die nicht nur Grenzkontrollen ausschließt, sondern auch unter anderem die Rechte von Nordiren einschließt, sich selbst als "irisch" oder "britisch" zu definieren.

-> Aussichten: Auch hier geht es vor allem um schöne Worte, die zur Beruhigung beitragen sollen. Aber : Sie sind einigermaßen plausibel. Weder Irland noch Großbritannien sind Teil des Schengen-Gebiets – bei Reisen in den Rest der EU sind ohnehin Kontrollen nötig. Offen bleibt aber die Frage, wie bei Reisen vollkommen auf Zollkontrollen verzichtet werden kann.

3. Produktvorschriften

London schlägt vor, die Produktvorschriften zwischen der Republik Irland – die im Wesentlichen jenen der EU entsprechen – und jenen in Nordirland im Einklang zu belassen. Das soll Kontrollen, etwa von Agrar-, aber auch von Nahrung und von verarbeiteten Produkten, unnötig machen. Nötig würden dann aber im Umkehrschluss Kontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien – etwa auch, um das Einschleppen von Krankheiten in die EU (oder aus der EU) zu verhindern und um den Import von Produkten zu stoppen, die aus anderen Gründen nicht in eines der beiden Gebiete eingeführt werden dürfen – etwa im Fall eines britisch-amerikanischen Freihandelsdeals amerikanische Chlorhühner in die EU.

-> Aussichten: Inhaltlich Bedenken könnten gegen diesen Vorschlag vor allem die nordirisch-unionistische Partei DUP vorbringen. Die hat aber bereits Zustimmung bekundet – wohl auch, weil Johnson Infrastrukturprojekte in der Region angekündigt hat. Offen bleibt aber die Frage der Umsetzung.

4. Zeitliche Grenzen

Der Angleichung von Regularien auf der irischen Insel muss das Parlament der britischen Region zustimmen – einmal vor Ende der Übergangsphase 2020 und dann alle vier Jahre erneut – tut es das nicht, endet die Regelung.

-> Aussichten: Einer der Stolpersteine: Die EU hatte bei der bisherigen Verhandlungsgrundlage – dem Backstop, der Nordirland und Großbritannien weitgehend in den Regeln des Binnenmarktes gehalten hätte – gedrängt, dass es keine zeitliche Grenze geben dürfe. Der Backstop wäre daher auch erst dann zu Ende gegangen, wenn es eine andere Einigung zwischen London und Brüssel gibt.

5. Britische Zollunion

Großbritannien muss nach dem Vorschlag Londons "in seiner Gesamtheit" die Zollunion mit der EU verlassen und eine eigene Zollunion aus seinen Teilgebieten bilden. Daraus ergibt sich: Grundsätzlich sind Zollkontrollen zwischen Irland und Nordirland nötig. Johnson will diese aber nicht an der Grenze, sondern an "ausgewählten Orten" innerhalb des Staatsgebiets und "auf Firmengeländen" oder an "anderen Punkten der Lieferkette" durchführen lassen – womöglich nur elektronisch, wie es im Vorschlag heißt.

-> Aussichten: Wie genau das gehen soll, ist weiter offen. Eine wirklich gangbare Methode haben auch die Briten bisher nicht vorgestellt. Genau daher ist auch das Misstrauen in der EU groß – der Punkt gilt als größtes Hindernis zum Deal. (Manuel Escher, 3.10.2019)