Verschwitzt und ein wenig zu spät kommt Christian Hlade an diesem sonnigen Freitag zum Termin in die neu ausgebaute Firmenzentrale in Graz geradelt. Sein Blick fällt auf ein Buchcover: Gerade ist das Ansichtsexemplar des zweiten Buchs ins Haus gekommen, das der Weltweitwandern-Gründer geschrieben hat. Es geht ums Wandern, worum sonst.

Hlade setzt auf Kunden, die Reisen suchen, "wo sie anders sein können, sich eine Woche nicht waschen müssen".
Foto: Erwin Scheriau

STANDARD: 37 Stunden hätte ich gebraucht, wäre ich von Wien nach Graz zu Fuß zu Ihnen gewandert. Was war die längste Strecke, die Sie durchgewandert sind?

Hlade: Als ich mit meinem Bruder sechs Wochen im Himalaja durch Indien nach Tibet gegangen bin. Unser Plan war, möglichst lang in eine Richtung zu gehen und möglichst wenige Menschen zu sehen. Das waren knapp 1000 Kilometer.

STANDARD: Sie kennen die halbe Welt ...

Hlade: Mathematisch gesehen nicht, denn ich war nur in 70 bis 80 Ländern. Ich komm selbst in Graz noch an Orte, die ich noch nie gesehen habe.

STANDARD: Sie haben Ihr Reiseveranstalter-Unternehmen 1999 gegründet, setzen auf Individualreisende, die gern wandern. Gerade ist der britische Reiseveranstalter Thomas Cook eingegangen, hunderttausende Touristen sind betroffen. Die Rache des Pauschaltourismus?

Hlade: Das ist ein vielschichtiges Problem. Ich als positiver Denker sehe es so: Die Dinosaurier sterben aus, und es gibt mehr Platz für die Kleintiere. Thomas Cook ist ein Unternehmen, das Entwicklungen verschlafen hat, zumindest im Westen wird der Pauschaltourismus weniger, die Leute reisen individueller, und es gibt viele kleinere Reiseveranstalter wie uns. Die Leute halten es einfach nicht mehr aus, sich auf den Grill zu legen und in großen Massen unterwegs zu sein. Die Massen wird es zwar immer geben, aber unser Segment wächst.

STANDARD: Warum reisen die Leute so gern in Massen?

Hlade: Da muss ich passen. Ich habe mich mein Leben lang mit dem beschäftigt, was ich tue, und mit meiner Vision. Aber die Pleite von Thomas Cook wird dem Netzwerk an nachhaltigen, verantwortungsbewussten Reiseveranstaltern nutzen.

Was veranlasst den verwöhnten Städter zu anstrengenden Urlauben?
Foto: Hlade/Weltweitwandern

STANDARD: Sie veranstalten Wanderreisen fast überall auf der Welt. Was bringt den Bobo aus Wien dazu, durch die Mongolei zu wandern oder auf 4000ern im Zelt zu frieren?

Hlade: Die Gegenwelt. Die Leute sind so sehr in ihrer Welt festgefahren, müssen ständig ihr Bobo- oder sonstiges Image pflegen. Sie brauchen etwas, wo sie anders sein können, sich eine Woche nicht waschen müssen, mit anderen Themen konfrontiert werden. Allein dieser Flash in Nepal, wo die Leute trotz größter Armut strahlende Gesichter haben. Die Leute brauchen einen Ruck, um zu sehen: Hej, deine kleine Welt ist nicht alles, was es gibt.

STANDARD: Man sagt, das Reisen sei vor allem durch die niedrigen Flugpreise demokratisiert worden. Vorteil mit Nachteil? Städte wie Venedig, Amsterdam, Barcelona oder auch Hallstatt sind völlig überrannt. Ihre Lieblingsstadt Marrakesch auch.

Hlade: Ja. Und durch die große Zahl der Billigflüge verändern auch Destinationen ihren Charakter, Wohnen etwa wird teurer. Auf der anderen Seite schafft der Tourismus in entlegenen Regionen Jobs. Wenn es dort Wanderreisen gibt, sperren kleine Gasthäuser, Hotels auf. Infrastruktur entsteht, und das hält Einwohner dort. Laut Tourismusforscher Christian Baumgartner schaffen zehn bis 15 Touristen einen Job.

STANDARD: Es scheint, als würden die Incoming-Touristiker dieser Welt, die die Gäste ins Land holen, den Geist nicht mehr los, den sie riefen.

Hlade: Stimmt. Es braucht eine kluge Lenkung im Tourismus. Für manche Destinationen wäre die Einführung einer Mindestaufenthaltsdauer klug. Zum Beispiel für Madeira. Dort leben fast alle vom Tourismus, die Touristen bleiben im Schnitt vier, fünf Tage. Würde man das auf zehn Tage erhöhen, gäbe es weniger Flüge und Umweltbelastung. Und ich räume ein, bei all meiner Liebe zu Marrakesch: Die Städtereise nach Marrakesch ist eine Katastrophe. Für die Umwelt, die Stadt und die Touristen, die sich nicht interessieren, nur Ramsch kaufen und Cappuccino trinken.

STANDARD: Warum fahren sie dann in Massen dorthin? Weil es so billig ist?

Hlade: Nein, es ist ja nicht so, dass Billigtouristen schlechte Menschen sind und die, die mehr für eine Reise zahlen, gute Menschen. Wir alle haben Sehnsüchte – und Marrakesch bedient das Bild vom Orient sehr gut, seit hundert Jahren.

Touristen auf dem Grill an der Ostsee.
Foto: APA/dpa-Zentralbild/Stefan Sauer

STANDARD: Weltweitwandern bietet keine Kurzreisen an, Sie beschäftigen Agenturen und Guides aus den Zielländern, rund 600 Leute sind das inzwischen. Sie fördern Sozialprojekte vor Ort, und Ihr Umsatz steigt, zuletzt auf elf Millionen Euro. Auf den richtigen Trend gesetzt?

Hlade: Begonnen hat das Wachstum in unserer Branche nach Nine-Eleven im Jahr 2001, da wollte keiner mehr ins Flugzeug steigen. Damals wurden sehr viele der kleinen, nachhaltigen Öko-Reiseveranstalter gegründet, die es heute gibt. Aus der Krise entstehen Qualitäten.

STANDARD: Sie sind gerade dabei, das Profil Ihres Angebots zu schärfen, wollen bestimmte Kunden abschrecken. Welche genau?

Hlade: Kunden, deren Ansprüche wir nicht erfüllen wollen. Leute etwa, die sich beschweren, dass sie im Riad in Marrakesch "den Koffer nicht über die enge Stiege hochgekriegt haben". Die uns mit dem Anwalt verfolgen, weil sie sich den Knöchel verstaucht haben. Solche Leute wollen wir nicht.

STANDARD: Das können Sie sich leisten?

Hlade: Ja. Denn wir haben Supergäste – und wenn so jemand dazukommt, zerstört er die ganze Reisegruppe. Einer unserer neuen Slogans lautet "Öffne deinen Horizont". Also, ich sag es offen: FPÖ-Kernwähler wollen wir nicht.

STANDARD: In Ihren Büchern und Katalogen geht es viel um Achtsamkeit, um Einfühlungsvermögen: ein guter Marketinggag? Alpenverein und Naturfreunde etwa bieten auch Wanderungen an, aber bewerben das halt vergleichsweise unromantisch.

Hlade: Stimmt, aber das kommt sehr stark von mir. Ich gehe zweimal im Jahr ins Schweige-Retreat, meditiere, bin Buddhist. Ich hab das Glück, dass meine Art des Reisens nachgefragt wird. Und über unseren Verein "Weltweitwandern wirkt!" fördern wir mit unseren Kunden gemeinsam Bildungsprojekte, stellen hunderttausende Euro dafür auf. Da tun wir wirklich Gutes – und es ist auch super fürs Marketing.

STANDARD: 60 Prozent Ihrer Kunden sind Frauen zwischen 35 und 70, gebildet, bewusst und aus der Stadt, haben Sie einmal aufgeschlüsselt. Warum so viele Frauen?

Hlade: Frauen sind neugieriger. Und in unserem Segment des Weltweit-Wanderns geht es nicht um Hochleistung, nicht darum, 1500 Höhenmeter und fünf Gipfel auf einer Tour zu erklimmen. Es geht darum, die Kultur kennenzulernen, sich in eine andere Welt einzufühlen: Das ist empathisch, das ist weiblich.

STANDARD: Ihr Unternehmen, das rund 25 Mitarbeiter hier in Graz hat, ist ein Beispiel dafür, dass man zu sehr diversifizieren kann. 2013 nahmen Sie Kletter-, Mountainbike-, Meditations- und Yogareisen ins Programm – und das hat nicht geklappt.

Hlade: Genau. Damals hatte ich zehn Mitarbeiter, und wir hatten zu wenig Ressourcen für dieses breite Angebot, konnten den vielen Produkten nicht genug Tiefe verleihen. Darum verengen wir unseren Fokus weiter, eben indem wir FPÖ-Wähler mit zu geringem Horizont ablehnen und zu anstrengende Männer abschrecken, die nur auf hohe Gipfel rennen wollen. Dafür wollen wir mehr Kunden aus Deutschland erreichen. Derzeit machen wir 75 Prozent vom Umsatz in Österreich, 20 in Deutschland und fünf Prozent in der Schweiz.

Ihn würde der Weltweitwandern-Gründer nicht mitreisen lassen.
Foto: Elmar Gubisch

STANDARD: Spüren Sie den Trend, dass immer mehr Junge wandern und in die Berge gehen? Der Österreichische Alpenverein hatte zuletzt rund 573.000 Mitglieder, rund ein Drittel davon wird der Jugend zugerechnet.

Hlade: Ja, immer öfter reisen mit uns unter 25-Jährige, die kommen allerdings mit ihren Eltern mit. Aber junge Leute gehen heute grundsätzlich wieder mehr in die Natur als früher. Berge und das Wandern erlauben mehr Freiheit in allen Bereichen, beim Anziehen, darin, wie man sich gibt und wie man sich benimmt.

STANDARD: Und die Fotos davon stellen sie dann auf Instagram.

Hlade: Ja, das ist ein wenig widersprüchlich: Sie suchen die Offline-Zeit und teilen ihre Erlebnisse dann begeistert auf Instagram. Aber jeder Mensch ist widersprüchlich.

STANDARD: Leiden Sie unter Flugscham?

Hlade: Nein. Ich bin Touristiker, und wenn ich zu wenig reise, ist das schlecht fürs Unternehmen. Und privat fahr ich nächstes Jahr mit meiner Familie wieder nach Kroatien auf Urlaub. An den Strand. (Renate Graber, 6.10.2019)