Die Grünen sind immer noch das Schreckgespenst des konservativen Lagers. In der Beschwörung des Bösen schwingen lange geübte Vorurteile mit: Rauschgift, freie Liebe, lange Haare, Klimaschutz um jeden Preis. Dabei sind die Grünen brav und berechenbar geworden, noch nicht bieder, aber sie haben es sich in der Wohlstandsgesellschaft gemütlich eingerichtet. Die Schnittmenge bürgerlicher und sozialdemokratischer Eltern sind die grünen Kinder.

Politisch gesehen sind die Grünen längst gebändigt: In vier Bundesländern sitzen sie gemeinsam mit der ÖVP in der Regierung, die Zusammenarbeit läuft harmonisch ab. Die Grünen sind verlässliche Partner, im Zweifel von Pragmatismus und nicht von Ideologie angetrieben. Die wilden Fundis, die Häuser besetzen und von der linken Revolution träumen, gibt es am ehesten noch in Wien, aber auch dort nur auf einer theoretischen Ebene. Sie sind vom Establishment umarmt worden. In Wien befinden sich die Grünen, die hier als linker gelten als im Westen, folgerichtig in einer Koalition mit der SPÖ – seit 2010. Auch hier: verlässliche, wenn auch nicht immer angenehme Partner.

Tanzende Grün-Anhänger bei der Wahlfeier der Grünen im Wiener Metropol.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Und Wien ist allen Skeptikern zum Trotz immer noch eine unglaublich lebens- und liebenswerte Stadt. Nein, es läuft nicht alles gut, aber nicht alles ist auch die Schuld der Grünen. Gerade als Autofahrer wird man in Wien nicht immer Freude mit der Stadtregierung haben, aber die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs ist ein grünes Kernanliegen, dem immer mehr folgen können – oder müssen.

Ablehnung und Anbiederung

Türkis-Grün auf Bundesebene, das ist die Lieblingsvariante von Bobos und Bürgerlichen, denen Lebensqualität ebenso ein Anliegen ist wie ein christlich-sozialer Anspruch. Werner Kogler, Bundessprecher der Grünen, pendelt derzeit zwischen Ablehnung und Anbiederung: Eigentlich mag er bei den türkisen Schnöseln nicht einmal anstreifen, andererseits kann er es kaum erwarten.

An der prinzipiellen Regierungsfähigkeit der Grünen liegt es nicht, auch nicht am Wunsch, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Woran es scheitern könnte: an der Funktionärsbasis, die vielleicht am nähesten an den Vorstellungen der Wähler dran ist.

ÖVP und Grüne sind inhaltlich tatsächlich so weit auseinander wie keine andere Konstellation. Beide Parteien haben von ihren Wählern einen Auftrag bekommen. Es ist schwer vorstellbar, wie ÖVP und Grüne inhaltlich zusammenkommen können, ohne die jeweiligen Wertegerüste massiv zu verrücken. Ein Kompromiss in Kernthemen würde von den Wählern als Verrat gewertet werden.

So gesehen ist von der grünen Basis mit massivem Widerspruch zu rechnen. Auch wenn die ÖVP ungleich strenger strukturiert ist und hierarchisch geführt wird, wird Sebastian Kurz das gleiche Problem haben: Er muss jeden Kompromiss auch vor seinen Funktionären und den Wählern vertreten. Sowohl Kurz als auch Kogler zahlen mit der härtesten Währung, die ihnen von den Wählern ausgehändigt wurde: Glaubwürdigkeit.

Vielleicht ist es möglich, türkis-grüne Kernprojekte zu definieren, die Klimapolitik, Steuern, Transparenz und Bürokratieabbau umfassen, und andere Bereiche wie Bildung oder Migration für andere Mehrheitsfindungen aufzumachen. Einfach wird das alles nicht. Aber wenn Bobos und Spießer, Linke und Rechte, Fundis und Fanatiker sich zusammenraufen sollen, wird das nicht ohne Tränen gehen. (Michael Völker, 5.10.2019)