Werner Kogler ist bereit. Zumindest für erste Sondierungsgespräche mit Sebastian Kurz' ÖVP. "Dann werden wir weitersehen, that's it", erklärte Kogler bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Wahlabend. Nachdem die Grünen 2017 aus dem Nationalrat geflogen sind, feiern sie ihr seither ersehntes Comeback. Und alles deutet auf eine Koalition der Wahlgewinner hin – oder zumindest auf den Versuch, eine solche einzugehen.

Bereits vor ersten Sondierungsgesprächen stellt sich die Frage, wie es die Wiener Basis mit einer Koalition hält. Denn den Hauptstadt-Grünen wird seit jeher nachgesagt, anders als jene in den Bundesländern zu sein: radikaler, linker und einer Regierungsbeteiligung mit der ÖVP abgeneigt – Fundis, die einen Pakt verhindern könnten. Doch in Wien zeigt man sich zumindest gesprächsbereit.

Werner Kogler badet in der Basis.
Foto: Matthias Cremer

"Reden kann man immer. Inhaltlich sehe ich aber wenig Überschneidungen mit der ÖVP", sagt Patrick Zöchling, Bezirksrat und Klubsprecher der Grünen in Simmering. Er hat ganz stark den Eindruck, dass Kurz seinen "rechtskonservativen Kurs" fortführen wolle. "Ich will keine schwarz-blaue Politik mit grünem Label." Zöchling will auch nicht, dass die Grünen sich für Klimaprojekte verkaufen. Ein Nein zur dritten Piste, zum Lobautunnel und zu Dieselprivilegien sei selbstverständlich. Ebenso eine ökosoziale Steuerreform, er will aber auch anderes: ein Umdenken in der Migrationspolitik und eine Änderung bei in der Mindestsicherung oder bei der Familienbeihilfe.

Es gibt den Wunsch nach Mitgestaltung bei den Grünen. Doch: "Eine Koalition kann ich mir nicht vorstellen, das ginge nur, wenn die Grünen auf viele Dinge, die zentral für die grüne Idee sind, verzichten – oder die ÖVP das tut", sagt Zöchling.

Reden. Das will offenbar fast jeder bei den Wiener Grünen. Doch dass tatsächlich eine Koalition dabei herauskommt, daran gibt es Zweifel. "Wir können als Juniorpartnerin nicht Handlangerin von null Migration und Ein-Euro-Jobs werden", sagt Brigitte Redl-Manhartsberger. Sie ist seit 2005 Mitglied bei den Grünen, von 2010 bis 2014 war sie Bezirksrätin im Zweiten. Sie will Gespräche mit der ÖVP. Schon allein, damit Kurz nicht nur wegen mangelnder Alternativen wieder mit der FPÖ paktiert. Jedoch müsse soziale Wärme wieder in Österreich einziehen und sich der Umgang mit Migration ändern. Am Lobautunnel könnte es "knacken" , sagt sie.

Ein schwarz-grüner Versuch

Gescheitert sind schon vor einigen Jahren Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen: Bei der Nationalratswahl am 24. November 2002 erreichte die ÖVP unter der Führung von Wolfgang Schüssel 42,3 Prozent. Die Grünen mit Parteichef Alexander Van der Bellen waren mit 9,5 Prozent allerdings ein Stück weiter abgeschlagen, als sie es heute sind. Im Februar 2003 starteten die ersten und bis jetzt letzten Koalitionsverhandlungen von ÖVP und Grünen. Zehn Tage dauerten sie, bevor man sich vom schwarz-grünen Traum verabschiedete.

Die Ausgangssituation im Frühjahr 2003 ist der von heute nicht ganz unähnlich. Für die Grünen war es damals wie heute eine Zerreißprobe: Dem Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, zu beweisen, dass man regieren kann, die Weiterführung von Schwarz-Blau bzw. Türkis-Blau zu verhindern, stehen große inhaltliche Differenzen gegenüber.

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Wolfgang Schüssel und Alexander Van der Bellen haben es schon einmal miteinander versucht.
Foto: picturedesk

Hier könnten die Wiener Grünen wie damals zum internen Kritiker und Problem werden. Denn die Wiener Landespartei ist stark innerhalb der Grünen. Auch wenn sie formal wie jedes andere Bundesland nur beim Bundeskongress über eine mögliche Koalition mitbestimmt. 2010 als Erste in eine rot-grüne Regierung gekommen, haben die Wiener Grünen 2019 ein Rekordergebnis von über 20 Prozent eingefahren. Das gibt Selbstbewusstsein – vor allem Vizebürgermeisterin Birgit Hebein, die kommendes Jahr eine Gemeinderatswahl zu schlagen hat und als wenig kompromissbereit in ihren Grundwerten gilt. Sie wird auch abwägen müssen, was eine Regierungsbeteiligung im Bund für Wien bedeutet. So macht man in Wien etwa mit allen Mitteln gegen die von Türkis-Blau beschlossene Verschärfung der Mindestsicherung mobil.

Schweigen im Rathaus

Bereits am Tag nach der Wahl erklärte der Wiener Gemeinderat und Umweltsprecher Rüdiger Maresch im STANDARD-Gespräch, bei Verschärfungen der Mindestsicherung könne man als Grüne nicht mit. Auch die dritte Piste am Flughafen in Schwechat und den Lobautunnel – eine Bundesangelegenheit, gegen die die Wiener Grünen seit Jahren kämpfen – brauche man nicht. Diese Projekte seien nicht mit den grünen Prinzipien im Klimaschutz vereinbar. "Es braucht eine klare Änderung der Regierungspolitik", erklärte Maresch. "Wir können uns nicht verbiegen. Eine Regierung mit uns muss anders sein als eine Regierung mit der FPÖ", sagte der Umweltsprecher. "Ich bin skeptisch, ob Kurz so flexibel ist."

Seit Montag schweigen die Grünen im Rathaus jedoch – wohl um der Bundespartei nicht schon einen Nachteil zu verschaffen, bevor es überhaupt eine Einladung zu Gesprächen gibt. Die Textbausteine, die als Antworten auf Anfragen kommen, ähneln einander stark: Man sei nicht die richtige Ansprechperson. Die roten Linien müssten andere ziehen. Es sei zu früh, um etwaige Verhandlungen zu kommentieren.

Man ist vorsichtig bei den Grünen in Wien, an der grünen Basis soll Schwarz-Grün, wenn man Schüssel glaubt, schon 2003 gescheitert sein. Der Widerstand sei zu groß gewesen – die Wiener Grünen sprachen sich gegen Verhandlungen aus. Monika Vana war damals stellvertretende Klubobfrau im Wiener Gemeinderat. Als die Verhandlungen scheiterten, sagte sie: Den Wiener Grünen sei seit den Sondierungsgesprächen klar gewesen, dass es "ideologisch nicht zusammengeht". Im Mai 2019 zog Vana als österreichische Delegationsleiterin der Grünen ins Europaparlament ein.

Monika Vana (rechts) war einst gegen Koalitionsverhandlungen jetzt ist dafür, Gespräche zu führen.
Foto: Regine Hendrich

Von der Skepsis über einen Pakt mit der ÖVP ist sie mittlerweile etwas abgegangen. "Es ist viel Wasser die Donau hinuntergeflossen", sagt Vana. Zudem sei es eine "historische Unwahrheit", dass die Koalition an den Wiener Grünen gescheitert sei. "Wir sind eine von vielen Landesorganisationen" – bundesweit gab es eine Mehrheit für Verhandlungen. Auch in Brüssel heißt es: Sondierungsgespräche werden zeigen, "ob wir inhaltlich zusammenkommen". Vanas Themen: Klimaschutz, Soziales, ein Bekenntnis zu den Menschenrechten und "ein klarer proeuropäischer Kurs". Ob das mit der ÖVP möglich sei? "Es bräuchte natürlich einen Kurswechsel."

Grüner Pragmatismus

Damals, vor 17 Jahren, war Redl-Manharsberger wenig erfreut, dass man "mit Schüssel in ein Boot steigt". Was sich geändert hat? "Ich bin pragmatischer geworden. Wie auch die Grünen in Wien." Das dürfte zumindest in der Frage nach Koalitionsverhandlungen stimmen und liegt wohl auch daran, dass die Partei in den vergangenen Jahren Regierungserfahrung sammeln konnte – in Ländern, Gemeinden und Bezirken. Nach der Wiener Gemeinderatswahl 2001 wurde Thomas Blimlinger als erster grüner Bezirksvorsteher in Wien angelobt, er blieb bis 2017 im Amt. 2002 war er einer der wenigen in Wien, die sich für die Verhandlungen aussprachen. Es sei aber richtig gewesen, die Gespräche abzubrechen, sagt er heute. "Es gab Dinge, da konnte man nicht mit."

In dem Jahr, in dem die Grünen zum ersten Mal mit der ÖVP sondiert haben, kam Lotti Kelber gerade auf die Welt. Durch die Ibiza-Demos wurde die 16-Jährige bei der Grünalternativen Jugend aktiv. Im Wahlkampf der ersten Nationalratswahl, bei der sie stimmberechtigt war, stand sie fast jeden Tag auf der Straße, um für die Grünen zu mobilisieren. Der Erfolg ihrer Partei macht die Schülerin glücklich, mögliche Koalitionsverhandlungen versetzen sie in Zwiespalt. "Es wäre verantwortungslos, würden wir in eine Regierung gehen, in der wir 80 Prozent des ÖVP-Wahlprogramms mittragen." Kelber hofft, dass in einer Koalition "die Grünen ihre Politik nicht hintanstellen". Wütend machen Kelber etwa die von Türkis-Blau wiedereingeführten Noten in der Volksschule. Mit Grün dürfte es zumindest keine Verschärfungen geben. In der Sozialpolitik sollten sich die Grünen nicht drehen.

Das sieht Blimlinger ähnlich. In der Sozialpolitik müsste es "Bewegung bei der ÖVP geben", sagt er. Überhaupt werde die "ÖVP über ihren Schatten springen müssen – wir werden das natürlich auch müssen".

Dass die ÖVP bereit ist, sich stark zu bewegen, bezweifeln viele. Anders ist es in Wien-Meidling. Bezirksrat Benjamin Kaan, der sich 2018 um den Spitzenposten für die Wien-Wahl beworben hat, ist zuversichtlich. "Ich halte das für realistisch. Kurz gibt sich gerne modern und am Puls der Zeit." Das passe zum Klimaschutz.

Es wirkt, als sei der Fundi in den Wiener Grünen dem Realo gewichen. Oder als sei er zumindest pragmatisch geworden. Ob es dabei bleibt, wird sich aber erst nach Sondierungsgesprächen zeigen. Dann könnte über Koalitionsverhandlungen abgestimmt werden. (Oona Kroisleitner, 5.10.2019)