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Im vergangenen Jahr setzte der große Paolo Bacigalupi in seinem Roman "Tool" einem Protagonisten der besonderen Art ein Denkmal: Tool war der Name einer für den Kampf gezüchteten genetischen Chimäre und eine Figur, die in jeder Beziehung XL-Format hatte. Wenn wir nun den neuen Roman von Adrian Tchaikovsky (der sich das Attribut "groß" allmählich auch verdient) lesen, dann stellt sich fast der Eindruck ein, als würden wir in dasselbe Universum zurückkehren. Auch in der Welt von "Im Krieg" schrecken Konzerne nicht davor zurück, ganze Bevölkerungen zu massakrieren, wenn sich in einem Land eine unprofitable Entwicklung abzeichnet. Und auch hier sind Chimären die Waffe der Wahl.

Meet the Team

Konkret befinden wir uns im bereits halb zerfallenen Mexiko, wo das private Sicherheitsunternehmen Redmark unter Leitung von Jonas Murray seine Bioformen wüten lässt. Im Zentrum der Handlung steht ein Rudel aus vier solchen Geschöpfen. Allesamt sind sie genetisch stark verändert, intelligent und sprachfähig, durch Implantate untereinander vernetzt und mit allerlei aufgepfropften Geschützen bestückt – man sieht förmlich die "Beast Wars"-Actionfiguren vor sich.

Rudelführer Rex ist ein annähernd anthropomorpher Hund von riesenhafter Gestalt, Honey eine noch gewaltigere Bärin, während wir uns Dragon als sechs Meter langes Best-of-Reptilien vorstellen können. Einen Sonderfall stellt Bees dar – "sie" ist ein Schwarm von Gentech-Bienen (mit einem ganzen Arsenal unterschiedlichster Gifte), die zusammen eine Kollektivintelligenz bilden.

Programmierte Loyalität

Die Einsätze des Rudels laufen nach dem einfachen Schema ab, das man den vieren einprogrammiert hat: Unterschieden wird zwischen "Menschen" (Murray und seine Untergebenen) und "Feinden", Letztere werden zerfetzt. Da die Fantastischen Vier die Feindvorgaben zunächst noch nicht hinterfragen (können), erschließt sich uns so manches Grauen in den Anfangskapiteln nur zwischen den Zeilen. Die Feinde sind klein. Einige reichen mir bis zu den Schultern, manche aber auch bloß bis zur Taille. [...] Die Kleinen packe ich mit den Zähnen und schüttele sie, bis sie zerbrechen, weil sich das gut anfühlt. Offensichtlich werden also auch Kinder abgeschlachtet.

Wie obiges Textzitat schon erahnen lässt, sind Rex' Gedankengänge so schlicht, wie es seine Schöpfer vorgesehen haben ("So soll die Welt sein."). Rex sehnt sich danach, von seinem Herrchen positives Feedback – das klassische "guter Hund" – zu erhalten und wird von Schuldgefühlen zerfressen, wenn er ein "böser Hund" erntet. Dies sind die zwei Eckpfeiler, auf denen sein Leben aufgebaut ist – und sie zeigen auch dann noch Wirkung, wenn er sich schon längst aus seiner Zwangsloyalität befreit zu haben scheint. Bei Bacigalupis Tool war es seinerzeit ganz genauso.

"Menschen" und "Monster"

Rex' einfach gestrickte Gedankengänge werden dadurch unterstrichen, dass seine Kapitel im Präsens erzählt werden; er lebt im Moment. Als Kontrast dazu stellt ihm Tchaikovsky in jedem Abschnitt des Romans eine menschliche Perspektivfigur gegenüber und setzt deren Kapitel ins Imperfekt. Zum Beispiel den Techniker Hartnell, der seinen Vorgesetzten Murray verabscheut und den Gehorsamscode des Rudels deaktiviert, womit sich eine ungeahnte Entwicklung in Gang setzen wird. Später Thea des Sejos, die eine Klinik im Kampfgebiet leitet, oder Keram John Aslan, der für den Internationalen Strafgerichtshof arbeitet.

Dass sich die Bioformen irgendwann aus ihrer Versklavung lösen werden, dürfte jedem Leser von Anfang an klar sein. Doch damit ist die Geschichte noch lange nicht vorbei. Wie soll die Welt mit Wesen umgehen, die – unter Zwang, aber eben doch – entsetzliche Verbrechen begangen haben und vielleicht immer noch eine Gefahr darstellen? Soll man ihnen trotzdem wegen ihrer Intelligenz Menschenrechte zugestehen? Und was wollen sie eigentlich selbst – die Freiheit oder doch lieber das verlockend einfache Leben unter Kontrolle? "Vielleicht ist es mir lieber, eine Kette zu haben", wird Rex einmal sagen. Es zerreißt ihn förmlich zwischen all den gegenläufigen Erwartungen, die an ihn herangetragen werden.

Aspekte eines Motivs

Als Metapher für den durch die Befehlskette entmenschlichten und vom Krieg traumatisierten Soldaten sind Tchaikovskys Bioformen zugegebenermaßen nicht gerade die raffinierteste – aber sie funktioniert. Und es wird noch etwas Größeres daraus, so viel darf verraten werden. Da gibt es nämlich noch eine weitere, äußerst geheimnisvolle Perspektivfigur. Diese namenlose Figur, die in den Kapitelüberschriften immer nur mit vier Kästchen ausgewiesen wird, hat nämlich ihren ganz eigenen Blick auf die Geschehnisse: eine Art Meta-Perspektive, die sie den Lesern mitunter auch in direkter Ansprache eröffnet.

"Im Krieg" wandert damit im Verlauf seiner Seiten durch ganz verschiedene Varianten des SF-Genres. Anfangs erinnert die Schilderung der Bioformen an Werke wie Dean R. Koontz' "Watchers" oder Grant Morrisons Graphic Novel "WE3"; da sehen wir vor allem noch waffenstarrende Tiere vor unserem geistigen Auge. Später, wenn deren innere Menschlichkeit stärker in den Vordergrund tritt, mögen Assoziationen an Bacigalupi oder gar an die Underpeople Cordwainer Smiths wach werden.

Am Ende aber steht etwas, das weder das eine noch das andere ist – aber dafür Adrian Tchaikovsky pur. Nämlich die Frage, wie ein Zusammenleben mit Anderen möglich ist. Nicht im persönlichen oder gesellschaftspolitischen Sinne, sondern im evolutionären. Denn was man nicht vergessen darf: Für den weitaus längeren Teil der menschlichen Evolution war es Normalität, dass unsere Ahnen neben anderen intelligenten Arten lebten – erst mit dem Verschwinden von Neandertaler & Co trat die Sondersituation ein, dass nur noch eine intelligente Spezies den Planeten bewohnte und sich als dessen Herrscher fühlen durfte. Damit könnte es nun vorbei sein.

Die Handschrift des Autors

Hier schließt sich der Kreis, und ausgerechnet die Kriegstechnologie hat den Anstoß dafür geliefert. Tchaikovsky ist damit zu seinem Leib-und-Magen-Thema Evolution zurückgekehrt, das er in seinem Erfolgsroman "Kinder der Zeit" so schön ausgearbeitet hatte (die lange erwartete Fortsetzung "Erben der Zeit" erscheint übrigens Anfang Dezember!). Obwohl "Im Krieg" anfangs so vollkommen anders zu sein scheint, ist es den "Kindern der Zeit" letztlich also ähnlicher als gedacht – es ist gewissermaßen seine grimmige Schwester.