Der französische Premierminister Edouard Philippe kündigte Aufklärungsmissionen in der Polizei und dem Geheimdienst an

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In einer Pariser Polizeipräfektur sind vergangene Woche fünf Menschen ums Leben gekommen. Erste Aussagen des französischen Innenministers Christophe Castaner, der Attentäter habe nie ein auffälliges Verhalten an den Tag gelegt, haben sich als falsch herausgestellt.


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Nach längerer Ruhe an der Terrorfront sieht sich Frankreich zu der Einsicht gezwungen, dass die Gefahr keineswegs gebannt ist. Der Staatsanwalt der zuständigen Antiterrorermittlung, Jean-François Ricard, erklärte am Samstag, der Täter sei einer "radikalen Sicht des Islam" erlegen. Der Angestellte der Pariser Polizeibehörde, der als Informatiker im nachrichtendienstlichen Hochsicherheitsbereich arbeitete, hatte mit seiner inzwischen verhafteten Frau unmittelbar vor der Tat am Donnerstagmorgen SMS ausgetauscht. Er beendete sie mit "Allahu Akbar", worauf sie schrieb: "Folge unserem geliebten Propheten Mohammed und meditiere den Koran."

Stattdessen ging der 45-jährige Familienvater kurz vor Mittag zwei Messer kaufen. Damit kehrte er durch die Eintrittskontrollen in das stark gesicherte Hauptquartier der Präfektur zurück. Um 13 Uhr erstach er zwei Arbeitskollegen, danach im Treppenhaus eine Polizistin. Nachdem er einen weiteren Polizisten tödlich verletzt hatte, wurde er im Hof der Präfektur von einem jungen, erst seit einer Woche diensthabenden Volontär gestellt, und, als er diesen auch mit dem Messer bedrohte, erschossen.

Der von den Antillen stammende Franzose war vor Jahren zum Islam übergetreten und hatte die Moschee eines salafistischen Imams besucht. Laut Staatsanwalt Ricard hatte er 2015 schon das Attentat auf das Satiremagazin CharlieHebdo gerechtfertigt. In letzter Zeit hatte der 45-jährige Banlieue-Einwohner seine Kleidungsgewohnheiten umgestellt und sich geweigert, Frauen die Hand zu schütteln. Zur Tat sei er "ohne jede Nervosität" geschritten, so Ricard: Sein Vorsatz, die Tötungsmethode und der offensichtliche Wille, zu sterben, seien weitere Indizien seiner Radikalisierung.

Bestürzung und Streit

Zur Bestürzung in Frankreich gesellt sich politischer Streit. Die konservativen Republikaner, gefolgt von den Sozialisten und den linken "Unbeugsamen", aber auch die Populistin Marine Le Pen verlangen eine parlamentarische Untersuchungskommission. Der republikanische Abgeordnete Eric Diard zeigte sich "beunruhigt, dass eine Person mit Anzeichen der Radikalisierung an einem so sensiblen Ort arbeiten konnte" .

Alain Rodier, der Leiter des Forschungszentrums für Nachrichtendienst, fragte sich, ob der Täter nicht als "Maulwurf" für Jihadisten gewirkt haben könnte. "Er hatte Zugang zu allen Polizeiinformationen", meinte der Experte mit Verweis auf ein mörderisches Attentat am Wohnsitz eines Polizistenpaares in Magnanville im Jahre 2016. Harpon verfolgte offenbar im Dienst auch das Geschick der Brüder Kouachi, die das Charlie Hebdo- Attentat ausführten.

Schwergewichte der Republikaner wie Christian Jacob und Eric Ciotti verlangten am Sonntag wegen "gravierender Verfehlungen" den Rücktritt von Innenminister Christophe Castaner. Der enge Vertraute von Präsident Emmanuel Macron war nach der Gewalttat vor die Presse getreten und hatte erklärt, der Täter habe "nie ein auffälliges Verhalten oder das geringste Alarmsymptom" an den Tag gelegt. Das zeugte laut den Republikanern von Ignoranz, wenn nicht von einer Lüge. Der Innenminister verzichtete auch mehr als einen Tag darauf, die Antiterrorjustiz einzuschalten.

Neue Überprüfungen

Premierminister Edouard Philippe verteidigte Castaner am Sonntag und kündigte eine neue Überprüfung von Präfekturbeamten in der Abteilung Hochsicherheit an. Ob Castaner die Tatumstände bewusst vertuschen wollte, muss sich weisen. Plausibler scheint jedoch ein kollektives Nichtsehenwollen. Die meisten Polizeiinformanten der französischen Medien hatten anfangs auch nur von der Möglichkeit hierarchischer oder amouröser Probleme des Täters in seiner Büroabteilung gesprochen.

All dies lässt darauf schließen, wie sehr der neue Anschlag Frankreich getroffen hat. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die militärische Niederlage der Terrormiliz IS in Syrien wie auch der massive Geheimdienstaufwand kein Ende der Terrorbedrohung gebracht haben. Offen ist, ob der als psychisch labil geschilderte Attentäter im Auftrag gehandelt hat. Seine Frau und zwei Freunde werden als Komplizen eingestuft. Hinweise auf eine Verbindung des Täters zu allfälligen Auftraggebern im Mittleren Osten gibt es bisher nicht; bekannt zu dem Anschlag hat sich auch niemand.

Gedenkfeier geplant

Für Dienstag sei eine Gedenkfeier in der Polizeipräfektur mit Präsident Emmanuel Macron geplant, berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf den Élyséepalast. Nähere Details zu der Feier sollten demnach am Montag bekannt gegeben werden.

Frankreich wird seit Jahren von einer islamistischen Terrorwelle erschüttert. Dabei sind bisher mehr als 250 Menschen ums Leben gekommen. (Stefan Brändle, 6.10.2019)