Boris Johnson fordert Kompromissbereitschaft, ist aber selbst kaum dazu bereit.

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Mit widersprüchlichen Aussagen haben Premier Boris Johnson und seine Regierung am Wochenende den psychologischen Druck auf die britische Opposition und die EU-Partner aufrechterhalten. In Namensartikeln für Boulevardblätter forderte der konservative Regierungschef Kompromissbereitschaft und bekräftigte das Austrittsdatum Ende des Monats: "Wir packen unsere Koffer." Das Land mache sich notfalls allein auf den Weg, und zwar pünktlich am 31. Oktober. Gleichzeitig betonte Brexit-Minister Stephen Barclay, der britische Vorschlag zur Lösung des irischen Dilemmas sei noch nicht das letzte Wort gewesen.

Am Wochenende versuchte Johnson telefonisch in den anderen Hauptstädten gut Wetter zu machen. Dabei stieß er auf Skepsis. Offenbar habe der britische Kollege erst jetzt verstanden, "was das für ein großes Durcheinander ist", sagte der derzeitige EU-Ratsvorsitzende und finnische Ministerpräsident Antti Rinne der Welt am Sonntag. Er rechne mit einem Antrag auf Verlängerung der britischen Mitgliedschaft. Dazu wäre Johnson gesetzlich verpflichtet, wenn es bis zum EU-Gipfel in zehn Tagen keine Einigung gibt. Der Premierminister und sein engster Kreis haben aber immer wieder Zweifel an ihrer Rechtstreue gesät.

Entlassung oder Haftbefehl

Auch die Wochenendblätter enthielten markige Parolen anonymer Regierungsquellen: Um Johnson aus der Downing Street zu befördern, bedürfe es einer Entlassung durch die Königin oder eines Haftbefehls der Polizei, ein Misstrauensvotum reiche dafür nicht, zitiert die Sunday Times wie schon in den vergangenen Wochen "eine hochrangige Quelle"; allgemein wird angenommen, es handle sich dabei um Dominic Cummings, Johnsons Chefberater. Dieser hat mehrfach seine Begeisterung für psychologische Kriegsführung zu Protokoll gegeben.

Am Dienstag will die Regierung dem Parlament erneut eine Zwangspause (Prorogation) verordnen. Diese dient vorgeblich der Vorbereitung auf eine Regierungserklärung, die sogenannte Queen's Speech, kommende Woche. Da Johnson noch in diesem Jahr eine Unterhauswahl anstrebt, sei die Queen's Speech wenig mehr als "ein konservativer Wahlwerbespot", glaubt der Verfassungsexperte Robert Hazel vom University College London.

Umfragen geben Johnson recht

Die Umfragen geben Johnson freilich recht. Die Onlineplattform Britain Elects sieht Johnsons Tories derzeit mit 32 Prozent voran, gefolgt von Labour (24), den Liberaldemokraten (21) und der Brexit Party (13).

Am Sonntag sorgte jedoch eine Erhebung der Firma Opinium für Aufsehen. Diese sieht die Tories bei 38 Prozent und damit 15 Punkte vor Labour (23). Im britischen Mehrheitswahlrecht hätte dies die eindeutige Mandatsmehrheit zur Folge, auf die der Premierminister hofft. (Sebastian Borger aus London, 7.10.2019)