Sonderklasse war gestern, Kostenübernahme bei Wahlärzten ist heute das häufigere Motiv für den Abschluss einer privaten Zusatzversicherung.

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Wer beim Facharzt einen Termin ausmachen will, weil er akut ein Problem hat, hört nicht selten, dass die nächste Möglichkeit erst in einigen Wochen ist. Für Patienten ist das oft ein Debakel. Lässt sich keine Möglichkeit finden, doch noch eingeschoben zu werden, gehen viele in eine Spitalsambulanz. Die Mitarbeiter dort wiederum stöhnen unter dem Andrang und darüber, dass Menschen lieber in die Ambulanz kommen, statt zum Facharzt zu gehen. Hinzu kommt, dass viele Fachärzte in den vergangenen Jahren zu Wahlärzten geworden sind. Das macht es für Patienten schwer, denn viele Österreicher können oder wollen die Wahlarzttarife nicht bezahlen.

Ein Sektor, in dem sich diese Entwicklung widerspiegelt, sind die Versicherungen. Sie verbuchen seit Jahren stetige Zuwächse bei privaten Krankenversicherungen. Das Prämienvolumen ist in diesem Sektor im Vorjahr auf 2,2 Milliarden Euro angestiegen. 2015 lagen die Prämien hier noch bei 1,9 Mrd. Euro, zeigen Zahlen des Versicherungsverbandes. "3,1 Millionen Österreicher sind bereits zusatzversichert", sagt Doris Wendler, Vorstandsdirektorin der Wiener Städtischen. Dieser Trend werde sich laut Wendler fortsetzen, denn "jeder möchte sich gut versorgt wissen und individuell die beste Behandlung erhalten".

Kosten gestiegen

Die Kosten für Wahlärzte sind zuletzt stark gestiegen. Von 2010 bis 2017 um 48 Prozent, heißt es aus der Wiener Städtischen. Damit lassen die Österreicher auch immer mehr Geld bei Wahlärzten liegen. Die Krankenkassen refundieren nur einen Teil dieser Arzthonorare – meist 80 Prozent jenes Betrages, den die Kasse bei Inanspruchnahme eines Vertragsbehandlers für dieselben Leistungen hätte aufwenden müssen. Für den Rest kommt die Versicherung auf.

Dafür müssen Patienten aber ihre Rechnung bei beiden Stellen separat einreichen – ein Aufwand, der in Zeiten der Digitalisierung auch oft für Unverständnis sorgt, selbst wenn Versicherungen hier mit Apps und Homepagelösungen für Vereinfachung sorgen. Wer seine Arztrechnung nicht bei der Sozialversicherung einreicht, bekommt von der privaten Versicherung auch nur einen Teil rückerstattet. Sich hier mehr zurückzuholen als das, was die Sozialversicherung bietet, ist ein weiterer Anreiz für die Zusatzversicherung, heißt es etwa aus dem Hause Uniqa.

Ein anderer Grund für die Zunahme bei Zusatzversicherungen ist laut Wiener Städtische, dass Patienten über Behandlungsoptionen immer besser Bescheid wüssten und selbst bei ihrer Behandlung (mit)bestimmen wollen. Vorgaben des staatlichen Gesundheitswesens sollen hier nicht als Beschränkung dienen.

Freie Arztwahl, schnellere Termine

90 Prozent der Österreicher erkennen laut einer Umfrage der Wiener Städtischen den Trend zu mehr Wahlärzten und weniger Kassenärzten und sind überzeugt, dass sich das weiter fortsetzen wird. Die freie Arztwahl, schnellere Termine bzw. kurze Wartezeiten und die Kostenübernahme werden in der Umfrage als die wichtigsten Punkte für eine Zusatzversicherung genannt. "Der Trend geht ganz klar in Richtung Sonderklasse- und Wahlarzttermine", sagt Wendler.

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Vor allem Versicherungsprodukte, die einen Wahlarzt integrieren, sind in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Hierfür sei die Annahme, dass der Wahlarzt sich mehr Zeit für den Patienten nehme, eine Entscheidungsgrundlage, ergänzt ein Sprecher der Uniqa. In Österreich gebe es neben den rund 8000 Kassenärzten mittlerweile an die 10.000 Wahlärzte.

All dem wohnt auch ein Strukturmangel inne. In den vergangenen Jahren wurden und werden noch immer zu wenige Nachwuchsärzte ausgebildet. Viele Jungärzte wandern zudem ins Ausland ab. Besonders im ländlichen Raum ist eine zunehmende ärztliche Unterversorgung feststellbar, und die anstehenden Pensionierungen bei den Hausärzten haben in den vergangenen Monaten für viel Diskussion rund um die ärztliche Versorgung im Nahbereich ausgelöst. Zumal in einer alternden Gesellschaft der Bedarf an ärztlicher Betreuung steigt. (Bettina Pfluger, 7.10.2019)