Der schwedische Industrielle und Erfinder des Dynamits Alfred Nobel stiftete die Nobelpreise. Seit 1901 werden sie vergeben.
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Der durchschnittliche Nobelpreisträger in Medizin, Physik oder Chemie ist ein 61-jähriger verheirateter US-Amerikaner und Harvard-Professor. So hat BBC vor sieben Jahren mehrere Studien über Alter, Geschlecht und Herkunft der naturwissenschaftlichen Nobelpreisträger zusammengefasst. Ob es ab heute, am Tag der Bekanntgabe der Medizin-Laureaten, ein diverseres Bild (Physik: Dienstag, Chemie: Mittwoch) geben wird, ist unklar: Zwar wollen sich die Institutionen, die die Preise vergeben, um mehr Gendergerechtigkeit und Kandidaten aus nichtwestlichen Ländern kümmern, aber die Mühlen laufen langsam in Schweden.

Komplett unterschiedlich dazu die Situation bei den anderen Preisen: Immerhin hat man auf den #MeToo-Skandal rund um den Literaturnobelpreis schnell reagiert und ihn 2018 ausfallen lassen. Am Donnerstag wird das nachgeholt, der Preis für 2019 wird am selben Tag vergeben. Tags darauf folgt der Friedensnobelpreis. Und am 14. Oktober der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften.

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DER STANDARD

Medizin, Physik, Chemie

Die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die amerikanische Strukturbiologin Jennifer Doudnahaben 2011 und 2012 die ersten Papers über die Gen-Schere CRISPR/Cas9 publiziert. Dabei handelt es sich um ein aus Bakterien bekanntes Werkzeug für die Inaktivierung von Genen, das Hoffnung auf die Heilung von Krankheiten macht. Sie werden schon seit einigen Jahren als Kandidatinnen für den Nobelpreis (Chemie) genannt. Auch dem aus China stammenden Hirnforscher Feng Zhang vom Broad Institute werden Chancen zugerechnet. Mit ihm führt die University of California, an der Doudna arbeitet, einen langen Patentstreit.

Emanuelle Charpentier könnte 2019 zur Laureatin werden.
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Eine weitere wissenschaftliche Revolution könnte in der Medizin zu Ehren kommen: die Optogenetik. Dabei kann man, verkürzt gesagt, Gehirnzellen mit Licht ein- und ausschalten. Der Oberösterreicher Gero Miesenböck, der Deutsche Ernst Bamberg und der US-Amerikaner Karl Deisseroth wurden zuletzt für die Entwicklung der Optogenetik in die "Nobel-Klasse" derer aufgenommen, die Chancen auf die begehrte Auszeichnung haben. Der Datenanalysekonzern Clarivate Analytics hat die Forscher als Kandidaten für den Nobelpreis gereiht, basierend auf Arbeiten mit hohem Zitationswert.

Es wäre übrigens der erste wissenschaftliche Nobelpreis für einen Österreicher seit 1973, seit Konrad Lorenz und Karl von Frisch, ebenfalls in der Medizin, ausgezeichnet wurden. Auch Charpentier hat in ihrer Karriere eine österreichische "Geschichte", wenngleich keine sehr positive: Sie wollte einst als Gruppenleiterin an den Max Perutz Laboratories mit ihren Versuchen an Bakterien beginnen. Da dieser Modellorganismus einst aber nicht Mainstream war, ging sie angeblich frustriert weg – und an die Universität im schwedischen Umeå.

Der ungarisch-österreichische Laserphysiker Ferenc Krauszwurde in den vergangenen Jahren vom Medienkonzern Thomson Reuters als Kandidat genannt. Auch die österreichischen Quantenphysiker Anton Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und Peter Zollerstehen auf diversen Listen. Es ist zwar möglich, dass der heurige Physikpreis an einen Forscher in diesem Bereich geht, Clarivate Analytics hat aber den polnisch-britischen Physiker Artur Ekert für seine Beiträge zur Quantenkryptografie genannt.

Auch der niederländische Genetiker Hans Clevers gilt als heißer Kandidat.
Foto: Corn

Europa könnte insgesamt deutlich besser abschneiden als in der Vergangenheit: Der niederländische Molekulargenetiker Hans Clevers gilt als heißer Kandidat – für die Erforschung eines Signalwegs, der in Stammzellen und Krebsgeschwüren eine wichtige Rolle spielt. Er war der Erste, der mit seiner Gruppe Miniorgane für Forschungsarbeiten züchtete.

Literatur

Zuletzt freute man sich bereits über die Aussicht, die Schwedische Akademie wieder vollzählig besetzt zu wissen. Nach Jahren wüster Anschuldigungen und verheerender Ausdünnung ist das erlauchte Gremium, welches alljährlich den Literaturnobelpreis vergibt, wieder handlungsfähig.

Am Donnerstag werden die Namen gleich zweier Auszuzeichnender bekanntgegeben: für 2019 und, rückwirkend, fürs Vorjahr. Tatsächlich drohte der Akademie im "annus horribilis" 2018 das schmähliche Versinken in einem Sumpf, entstanden aus Rücktritten, MeToo-Vorwürfen und Korruptionsvermutungen. Nach einem peinlichen Kommen und Gehen soll die mutwillig untergrabene Autorität endlich zurückgewonnen werden. So wurde ein zehnköpfiges Komitee eingesetzt, das neben fünf Akademiemitgliedern auch fünf externe Namen umfasst. Aus den Vornominierungen kürt die Akademie (Durchschnittsalter: gesegnete 70 Jahre!) ihre Shortlist.

Maryse Condé hat Chancen auf den Literaturnobelpreis.
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Schiebt man die Querelen um Pfründen und Übergriffe beiseite, so könnte 2019 als heilsame Zäsur in die Nobel-Annalen eingehen. Die avisierte Doppelvergabe schafft Bewegungsfreiheit, um die Ansprüche von Ästhetik und Moral sorgfältig miteinander abzugleichen. Platz bleibt somit nicht nur für notorisch Nobelpreisverdächtige wie den Japaner Haruki Murakami (70). Der in den USA lehrende Kenianer Ngugi wa Thiong'o (81) bleibt ein ewiger Favorit der Buchmacher – er ist neben Wole Soyinka und Chinua Achebe der einflussreichste Autor seines Kontinents. Seine bekanntesten Romantitel lauten Verbrannte Blüten und Herr der Krähen.

Die kanadische Starautorin Margaret Atwood, Vertreterin einer engagierten, häufig parabelhaften Literatur, musste 2013 ihrer Landsfrau Alice Munro den Vortritt lassen. Maryse Condé aus Guadeloupe in der Karibik ist für postkoloniale Sittengemälde voller Widersetzlichkeit bekannt – die 82-Jährige schreibt auf Französisch. Die Altphilologin Anne Carson, wie Atwood Kanadierin, versetzt antik-mythologische Stoffe in brandaktuell anmutende Bedeutungszusammenhänge: Sie schreibt Romane in Versen (Rot) und verkocht die Früchte einer überbordenden Gelehrsamkeit zu eigenwilliger Poesie.

Natürlich kennt der britische Wettanbieter Nicerodds noch andere Nobelpreisanwärter, Hochkaräter wie den Ungarn Peter Nadas, die US-Autorin Marilynne Robinson und die esoterische Polin Olga Tokarczuk. Der hartnäckig gelistete Wahlpariser Peter Handke wird mit einer Quote von 21 zu eins angeführt.

Frieden

In der Vergangenheit war der Friedensnobelpreis nicht immer eine Auszeichnung für erworbene Meriten, sondern oft eine Art Vorschusslorbeeren: ein politischer Auftrag. In Alfred Nobels Sinne sollte der Preis an jene gehen, die mit ihrem Einsatz für den Frieden "im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht" haben. Als einziger Nobelpreis wird er in Norwegens Hauptstadt Oslo vergeben.

Für die diesjährige Ausgabe sind 301 Personen und Organisationen nominiert. Mehr gibt das Komitee nicht bekannt – wer die Nominierten sind, bleibt Gegenstand von Spekulationen. Die Wettanbieter handeln eine Person fast schon als Gewinnerin: Die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die bereits den Right Livelihood Award erhalten hat, ist bei den Quoten eine Bank – die Favoriten sind aber selten auch die Sieger.

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Nominiert für den Friedensnobelpreis: Greta Thunberg.
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US-Präsident Donald Trump hat durch seine Treffen mit Staatschef Kim Jong-un im Nordkorea-Konflikt für mehr Bewegung gesorgt als alle seine Vorgänger zusammen. Trotzdem werden die beiden wohl heuer leer ausgehen. Verdienste hat auch Äthiopiens Premier Abiy Ahmed durch die Friedensbemühungen mit dem Nachbarn Eritrea erworben. Eine heiße Anwärterin ist diesmal auch Neuseelands Regierungschefin Jacinda Ardern für ihre Reaktion nach dem Anschlag in Christchurch. Gute Chancen werden dem brasilianischen Kayapó-Kaziken Raoni Metuktire eingeräumt. In diesem Fall wäre eine gemeinsame Vergabe an einen Österreicher denkbar: Erwin Kräutler kämpft seit Jahrzehnten am Xingu für die Rechte der Indios.

Wirtschaftswissenschaften

Der Preis für Wirtschaftswissenschaften hat eine Sonderstellung. Da Alfred Nobel einen Wirtschaftspreis in seinem Testament nicht erwähnt hat, stiftete die Schwedische Reichsbank den Preis 1968 nachträglich. Als Favoriten für die heurige Verleihung gelten: Brian Arthur (Santa Fe Institute) für seine Arbeiten zu den Folgen von Netzwerkeffekten in Wirtschaftssystemen, Sören Johansen und Katarina Juselius (beide Universität Kopenhagen) für die Entwicklung einer Methode zur Untersuchung von kurz- und langfristigen Auswirkungen auf wirtschaftliche Zeitreihendaten sowie Ariel Rubinstein (Universität Tel Aviv), der sich mit der Entwicklung formaler theoretischer Wirtschaftsmodelle beschäftigt, insbesondere solcher begrenzter Rationalität. Auch ein Österreicher könnte den Wirtschaftsnobelpreis bekommen. Die Arbeiten des Verhaltensökonomen Ernst Fehr werden immer wieder als "nobelpreiswürdig" genannt. (Peter Illetschko, Bettina Pfluger, Ronald Pohl, Michael Vosatka, 7.10.2019)