Andreas Herzog hat die wunderbare Gabe, Dinge zu relativieren, sie abzuhaken und zu vergessen. "Weil sie mir wurscht sind." Seit dem 9. September ist der israelische Teamchef ein Star auf Youtube, das Interview, die Rede von Laibach wurden Kult. Es war nach dem 2:3 gegen Slowenien, die Israelis hatten den dritten Treffer in der Nachspielzeit kassiert. Nach einem haarsträubenden Fehler.

Der 51-jährige Herzog ließ seiner Wut freien Lauf, er packte sein wunderbares, wienerisch gefärbtes Englisch aus. So mache es keinen Spaß, hat er gesagt (geschrien), das sei "horrible". In Israel kam dieser Gefühlsausbruch hervorragend an, endlich einer, der nicht um den lauwarmen Brei redet, der für den Fußball lebt. Diverse Medien forderten eine vorzeitige Vertragsverlängerung.

Emotionen

Die Weltpresse, speziell die dem Boulevard zugeneigte, legte kräftig nach. Herzog habe die Spieler zum Weinen gebracht, in der Kabine Tische und Sessel zerstört. "Absoluter Blödsinn, ich habe sie getröstet, sie haben von sich aus geweint."

Geärgert habe ihn die Dichtung, die künstliche Erregung aber nicht. "Das geht beim linken Ohrwaschel rein und beim rechten wieder raus." Er zeige eben Emotionen, lehne es strikt ab, speziell verlorene Fußballpartien schönzureden. "So ist meine Mentalität, ich kann Niederlagen nicht leiden. Hätte ich sagen sollen, wir haben eh super gespielt?" Fakt ist: "Uns fehlen die Punkte, die wir hergeschenkt haben. Auch das 1:1 daheim gegen Nordmazedonien war unnötig."

Schwierige Ausgangslage

Natürlich sei die Qualifikation für die EM immer noch möglich, "aber es wird schwierig, die Leute rechnen nicht mehr damit". Willi Ruttensteiner, der Sportdirektor und somit Herzogs Vorgesetzter, sagt: "Wir haben im letzten Lehrgang einiges an Terrain verloren. Aber die Richtung stimmt, es geht etwas weiter. Andi macht einen hervorragenden Job."

Der 56-jährige Oberösterreicher wurde engagiert, um den israelischen Kick näher an die internationale Spitze zu führen. "Meine Welt ist, langfristig zu arbeiten, Strukturen zu entwickeln. Es gibt mittlerweile eine Akademie, die Trainerausbildung ist auf Schiene, im Nachwuchs stellen sich Erfolge ein. Eine tolle Herausforderung in einem tollen Land."

Willi Ruttensteiners Welt ist, Strukturen aufzubauen.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Richtungsweisend

Am Montag trifft die Mannschaft in Wien ein, sie wird abgeschirmt, die Regierung schickt eine Security mit. Daran haben sich Herzog und Ruttensteiner gewöhnt. Am Donnerstagabend steigt im Happel-Stadion (20.45 Uhr) die richtungweisende Partie für beide. Österreich hat nach sechs Runden in Gruppe G zwei Zähler mehr als Israel, ist trotzdem nur Dritter. Für Herzog eine zu vernachlässigende Momentaufnahme. "Österreich ist der Gruppenfavorit, sie sind stärker als Polen, haben mehr Qualität. Franco Foda ist fast zu beneiden."

Wunden verheilt

Rückblick: 24. März 2019 in Haifa, Foda ist nicht zu beneiden, Israel gewinnt 4:2. Es war eine äußerst emotionale Veranstaltung, schließlich ist Herzog gefühlte 28 Mal nicht ÖFB-Teamchef geworden. Ruttensteiners Vertrag wurde Ende 2017 nicht verlängert, er, der 17 Jahre dem ÖFB gedient hat, musste mit Marcel Koller gehen. Peter Schöttel übernahm.

Am Donnerstag dürfte es zu keinerlei Sentimentalitäten kommen, wobei Ruttensteiner einschränkt: "Normal ist es nicht, gegen dein Land zu spielen. Aber alle Wunden sind verheilt. Ich freue mich auf dieses Erlebnis." Herzog, der Rekordinternationale (103 Länderspiele), baut zwar nicht vor, nennt aber Fakten. "Österreich hat 35 Legionäre in den fünf Topligen Europas. Wir haben einen, und der spielt nicht."

Stürmerstars

Der eine ist der Ex-Salzburger Munas Dabbur, er darf mit dem FC Sevilla aber schon mittrainieren. Israel hat Eran Zahavi, der 32-Jährige erzielte in der laufenden Qualifikation neun der elf Treffer (drei gegen Österreich). Er schickt sich an, den Torrekord in China zu brechen.

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Andreas Herzog ist seit 1. August 2018 Israels Teamchef und somit auch für Superstar Eran Zahavi verantwortlich.
Foto: REUTERS/Kacper Pempel

Herzog über seinen Superstar von Guangzhou, der die Rolle der hängenden Spitze schätzt: "Er kann alles." Als Kollektiv dürfte Österreich mehr können. Das 0:0 in Warschau gegen Polen hat Herzog "imponiert. Sie waren sehr dominant." Das 4:2 vom März dürfe man nicht überbewerten. "Es hätte ganz anders ausgehen können, der Verlauf hat uns in die Karten gespielt."

Taktische Disziplin

Wie man in Wien bestehen kann, verrät er nicht, diese Informationen sind ausschließlich den Spielern vorbehalten. "Wir müssen Schwachstellen suchen, finden, ausnützen. Und selbst mutig sein." Die eigenen Schwächen kennt er. "Es gelingt uns nicht, die taktische Disziplin über 95 Minute aufrechtzuerhalten." Am 10. Oktober, kurz nach 22.30 Uhr, wird Andreas Herzog Interviews geben, die Geschehnisse analysieren. Vermutlich emotional. Ob er Laibach toppt, weiß er natürlich nicht. "Es ist mir auch wurscht." (Christian Hackl, 7.10.2019)