Die Antiterrorjustiz wurde erst mehr als einen Tag nach dem Attentat eingeschaltet.

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Man kann es den Franzosen nicht verübeln, dass sie zuerst lieber von einem Mitarbeiterdrama ausgingen, als ein Polizeibeamter in der Pariser Präfektur vier Kollegen tötete. Unverständlich ist hingegen, dass ein Innen- und Polizeiminister mehrere Stunden nach dem Terroranschlag völlig blauäugig, wenn nicht unaufrichtig, darlegte, es habe keinerlei Warnzeichen gegeben. Der Attentäter, der in einem Hochsicherheitsbereich wirkte, hatte schon 2015 das Charlie Hebdo-Attentat begrüßt und kürzlich salafistische Moscheen besucht. Die Untat selbst trug alle Zeichen einer Radikalisierung.

Und doch wurde die Antiterrorjustiz erst mehr als einen Tag später eingeschaltet. Christophe Castaners Blindheit ist die einer Polizeibürokratie, in deren Herzen ein Jihadist unerkannt tätig sein konnte. Ob er nachrichtendienstliche Informationen nach Syrien und in den Irak schickte, wird vielleicht nie aufgeklärt.

Castaner hatte zwar recht mit seiner Haltung, dass man nicht Leute verhaften könne, nur weil sie islamische Kleider anlegten und Frauen nicht mehr die Hand schüttelten. Das Kippen in die Radikalität hätte sich in diesem Fall aber feststellen lassen. Das Attentat sollte die Polizei- und Regierungsbehörden veranlassen, ihre häufigen Appelle an die Wachsamkeit der Bürger selbst zu befolgen. Die schlafenden Agenten des Jihad lassen sich in der Endphase meist entlarven – aber nicht durch schlafende Polizeibeamte. (Stefan Brändle, 6.10.2019)