Sie waren die unangefochtenen Herrscher der Meere ihrer Zeit. Während im Jura und in der Kreidezeit gewaltige Theropoden wie Allosaurus und Tyrannosaurus auf Jagd gingen, durchzogen Pliosaurier die Ozeane, die den Machthabern an Land in nichts nachstanden. Wegen ihrer furchterregenden bis zu drei Meter langen Kiefer erhielten einzelne Funde so illustre Namen wie "Monster von Aramberri" oder "Predator X".
Pliosaurier waren weltweit verbreitet. In ihrer fast 120 Millionen Jahre langen Geschichte klaffen jedoch einige zeitliche und auch räumliche Lücken. Eine dieser Lücken vermag nun ein Fund des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) zumindest zum Teil zu schließen.
Auf alten Landkarten wäre der unerforschte Fleck wohl mit "Hic sunt dracones" ("Hier sind Drachen") gekennzeichnet worden: Obwohl das Gebiet des heutigen Österreich im Erdmittelalter von Meeren bedeckt war, waren hier bisher keinerlei Funde von Pliosauriern bekannt. Der NHM-Paläontologe Alexander Lukeneder entdeckte jedoch bei einer Grabung 2018 in den nördlichen Kalkalpen in Oberösterreich einen kegelförmigen gerillten Zahn, der ihm zunächst ein Rätsel aufgab. In Zusammenarbeit mit Nikolay Zverkov von der russischen Akademie der Wissenschaften konnte der Vorbesitzer der Zahnkrone nun als Pliosaurier identifiziert werden – eine wissenschaftliche Sensation, wie der Lukeneder mit Stolz betont.
"Mehr-Echsen"
Es handelt sich dabei um den ersten Nachweis eines Vertreters dieser Untergruppe der Sauropterygia ("Flossenechsen") aus der Kreide im gesamten Alpenraum und weltweit um den erst zweiten Beleg eines Pliosauriers mit dieser Zahnform aus dem Hauterivium, einer Stufe der unteren Kreidezeit vor rund 130 Millionen Jahren. Aus demselben Abschnitt vergleichbar sind nur vor rund 110 Jahren in Neuchâtel in der Schweiz gefundene Zähne.
Wegen ihres mächtigen Gebisses, das jenem von Krokodilen ähnelt, hielt der britische Paläontologe Richard Owen die Pliosaurier für ein Bindeglied zwischen den Krokodilen und den Plesiosauriern. Er nannte sie daher abgeleitet vom griechischen πλειων (pleion = mehr) "Mehr-Echsen", um sie von den Plesiosauriern ("Fast-Echsen") zu differenzieren, mit denen sie gemeinsam eine Ordnung bilden. Im Gegensatz zu den langhalsigen Plesiosauriern hatten ihre Cousins kurze Hälse, die einen enormen Schädel hatten, dessen Kiefer mit dutzenden dolchartigen Zähnen besetzt war.
Abgenutzter Zahn
Lukeneders Zahn ist nur etwas über einen Zentimeter lang. Die bewegte Geschichte ist ihm anzusehen: Millionen Jahre haben Spuren in Form von Rissen und Absplitterungen hinterlassen. Doch auch schon während der Lebenszeit des Pliosauriers hat der Zahn einiges mitgemacht: Die Spitze ist so stark abgenutzt, dass das Zahnbein frei liegt. Sein Besitzer hat sich offensichtlich durchbeißen müssen: Zu seiner Beute zählten neben hartschaligen Ammoniten auch Haie. Die Untersuchungen mithilfe von Mikrotomografie und Rasterelektronenmikroskopie ergaben auch Hinweise auf eine kariesähnliche Schädigung. Für die Mikrotomografie erhielt Lukeneder Unterstützung durch das Vienna Micro-CT Lab der Universität Wien. So wurde ein Blick in das Innere des Zahnes möglich.
Obwohl der Fund zeitlich und räumlich isoliert ist, lässt sich eine neue wissenschaftliche Art anhand des einzelnen Zahnes freilich nicht aufstellen. Intern läuft das Tier unter dem Namen "Pliosaurus austriacus". Die Vergleichsstücke aus der Schweiz werden der Gattung Polyptychodon zugerechnet, die aber als Sammelgenus fungiert, in dem viele nicht exakt identifizierbare Funde subsumiert werden. Polyptychodon wird daher zum Teil als Nomen dubium, also als "zweifelhafter Name", gehandelt.
Mörder des Meeres
"Wissenschaftlich gesehen, ist er ein Vertreter der Thalassophonea", sagt Lukeneder über seinen Fund. Zu dieser Klade, die übersetzt so viel wie "Mörder des Meeres" bedeutet, gehören neben einem Dutzend anderer Gattungen auch die Giganten Liopleurodon, Kronosaurus und natürlich Pliosaurus selbst.
Der Aufstieg der Pliosaurier zu den Topprädatoren der Meere begann in der späten Trias vor etwas mehr als 200 Millionen Jahren und endete vor 89 Millionen Jahren unter nicht geklärten Umständen abrupt mitten in der Kreidezeit. Ihren Platz an der Spitze der Nahrungskette nahmen fürderhin die Mosasaurier ein, bis vor 66 Millionen Jahren ein Asteroid auch ihrer Herrschaft gemeinsam mit den verbliebenen Plesiosauriern und drei Vierteln aller damals auf der Erde lebenden Arten ein jähes Ende bescherte.
Der Pliosaurier aus den Kalkalpen lebte von diesem apokalyptischen Ereignis ungefähr so weit entfernt wie wir – die Tiefe der Zeit ist kaum erfassbar. Weitaus überschaubarer ist dagegen eine andere Zeitspanne: Ab kommendem Jahr wird der Zahn im Mesozoikum-Saal des NHM zu sehen sein. (Michael Vosatka, 8.10.2019)