Keinen Ausweg mehr sehen: Bei Suizidgedanken spielen nicht nur die Gene, sondern auch die Lebengeschichte und Umwelteinflüsse eine Rolle.

Foto: istockphoto

Weltweit nehmen sich rund 800.000 Menschen pro Jahr das Leben. In Österreich kommt es jährlich trotz eines deutlichen Rückgangs in den vergangenen Jahrzehnten noch immer zu rund 1.200 Suiziden. Die Zahl der Versuche wird mit dem Zehn- bis 30-Fachen angegeben. Psychische Störungen, vor allem Depressionen, stehen zu 90 Prozent im Hintergrund von Selbsttötungen.

Menschen mit affektiven Störungen – speziell mit Depressionen oder bipolaren Zustandsbildern – haben ein erhöhtes Suizidrisiko. Eine Wiener Wissenschaftergruppe unter Alexandra Schosser von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (MedUni Wien/AKH) hat in einem Projekt verschiedene Einflussgrößen von Genetik und Umwelteinflüssen auf die Suizidgefährdung identifiziert.

Gene und Umwelt

Die Wissenschafter stützten sich unter anderem auf die Daten von 846 Patienten mit Depressionen oder bipolaren Störungen, die einerseits genetisch untersucht wurden, andererseits auch bezüglich ihrer Lebens- und Krankheitsgeschichte ("Umwelteinflüsse") untersucht wurden.

Eine der gewonnenen Erkenntnisse: Bestimmte Veränderungen im Gen für das COMT-Enzym, das Nervenbotenstoffe wie Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin abbaut, gehen offenbar mit einem erhöhten Suizidrisiko einher. Die Korrelation war statistisch signifikant, wie die Wissenschaftergruppe schon 2018 in Scientific Reports darstellte.

"Wir haben sowohl einzelne Genotypen gefunden, die in Zusammenhang mit Suizidversuchen stehen als auch epigenetische Veränderungen. So ergaben Genanalysen, dass das COMT-Gen das unter anderem den Neurotransmitter Dopamin beeinflusst, in Zusammenhang mit Suizidversuchen steht und sich nachweislich auf das Ausmaß von Suizidrisiko auswirkt.

Bei Frauen mit Suizidgedanken verminderte sich die Aktivität von COMT, während der Oxytocin-Level anstieg" erklärte die Wissenschafterin. Noch ist allerdings ungeklärt, wie COMT-Aktivität und Suizidalität ursächlich zusammenhängen. Medikamente, welche COMT hemmen, werden in der Therapie des Morbus Parkinson eingesetzt.

Traumata bei Frauen

In eine anderen Studie mit 258 Patienten, welche unter Depressionen oder an einer bipolaren Erkrankung litten, hatten Schosser und die Co-Autoren bereits 2015 einen Zusammenhang zwischen traumatischen Erlebnissen in der Kindheit und späterem suizidalen Verhalten festgestellt. Das gilt aber offenbar vor allem für Frauen. Traumatische Kindheitserlebnisse sind demnach bei Frauen mit einem statistisch signifikant höheren Risiko für Suizidalität und selbstverletzenden Verhalten verbunden, nicht aber bei Männern. Die entsprechende Studie ist in Plos One erschienen.

In einer dritten Studie wurde von den Wissenschaftern ein möglicher Zusammenhang zwischen Mutationen im Gen für den Corticotropin-Releasing Hormon-Rezeptor 1 (CRHR1), Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und Suizidversuchen untersucht. Hier konnte kein statistisch signifikanter Zusammenhang festgestellt werden. Möglicherweise war dafür das Sample von 258 untersuchten Patienten zu klein.

Grundsätzlich komplex

Simple ursächliche Zusammenhänge zwischen genetischen Faktoren und psychischen Erkrankungen gibt es kaum. Es handelt sich um genetisch komplexe Erkrankungen, die in einem Zusammenspiel mit psychosozialen Einflüssen entstehen. "Der Vorteil unserer Studie ist, dass wir die Patientengruppe extrem gut definiert haben. Das kann eine Hilfe für zukünftige wissenschaftliche Untersuchungen sein", sagte Schosser. (APA, 7.10.2019)

Zum Weiterlesen:

Suizid in der Kulturgeschichte: Das Für und Wider

Suizidberichterstattung als Chance

Suizid-Prävention: Reden kann Leben retten