Foto: Italians Do It Better

So geht‘s auch. Während einer Tournee über Nacht ein neues Album veröffentlichen. Das erhöht das Verlangen, die Band live anzuschauen beträchtlich, wobei das Begehren nach neuer Musik von den Chromatics ohnehin bestand. Die US-Band hat seit sieben Jahren kein Album veröffentlicht – dabei soll eines seit Jahren auf Halde liegen. Doch dieses Dear Tommy genannte Werk hat Mastermind Johnny Jewel nach einem Nahtoderlebnis angeblich zerstört.

Nun aber wurde out of the blue Closer to Grey veröffentlicht – kommenden Montag tritt die Band in der Wiener Arena auf.

Closer to Grey wird als siebtes Album ausgewiesen, tatsächlich ist es das Sechste. Diese Nomenklatur nährt die Hoffnung, Dear Tommy könnte doch noch irgendwann erscheinen. Man kann den Titel im Universum der Chromatics als lebensbejahendes Statement lesen. Nicht das endgültige Schwarz wird ersehnt, bloß Grau soll es sein. Das konveniert mit der Atmosphäre dieser Musik.

John Carpenters Schmollmund

Chromatics spielen so etwas wie Dream-Pop. Einen in den 1980ern und seinen pluckernden Analog-Synthesizern verankerten Sound, der den Bogen von der Filmmusik des John Carpenter bis zum Film noir schlägt. Von dort stammen die Dramatik und die einzelkämpferischen Themen, die die Band in ein einnehmendes Gefühl der Verlorenheit überträgt. Diese Qualität hat Johnny Jewel und Co. in der Veröffentlichungspause gut versorgt. Ihre Musik schmückt die Soundtracks vieler Fernsehserien.

You're No Good, Chromatics erhöhen den Puls.
Italians Do It Better Music

Chromatics bestehen aus Ruth Radelet, Johnny Jewel, Adam Miller und Nat Walker. Radelet ist die Stimme dieses Verbands. Sie schmollt und träumt sich durch Songs, die meistens in der Dunkelheit der Suburbs spielen. Das stand schon Filmen wie Drive mit Ryan Gossling gut an. Der war von der Band so angetan, dass er sie für sein Regiedebüt Ghost River verpflichtet hat. Dazu veröffentlicht Jewel auf seinem Label Italians Do It Better Singles und Filmmusik, die in den letzten Jahren beständig die Hoffnung nährten, die Chromatics würden endlich einen Longplayer nachlegen.

Neil Young und Simon & Garfunkel

Schließlich erschien Kill For Love schon 2012. Eröffnete das mit einer Version von Neil Youngs My My, Hey Hey (Out of the Blue), so spielen die Chromatics aktuell The Sound of Silence von Simon & Garfunkel als Ouvertüre. Damit schlurft man im Morgenmantel ins Album, ehe You're No Good den Pulsschlag sanft in Richtung Disco der einsamen Herzen erhöht.

Simon und Garfunkel als Film noir: The Sound of Silence.
Lys O

Der Song erinnert an die im Frühjahr veröffentlichte Single Time Rider – die sich aus unerfindlichen Gründen doch nicht am Album befindet. Aber das Rätselhafte gehört ja wie ein unsichtbares fünftes Mitglied zu dieser Gruppe.

The Jesus and Mary Chain

Die nistet sich auf Closer to Grey in ihrem bekannten Sound ein. Nach so langer Zeit des Wartens wäre alles andere wohl nicht so gütig empfangen worden, wie jetzt dieses Album.

Leider nicht am Album, trotzdem super: Time Rider.
Italians Do It Better Music

In ihrer Zeitlosigkeit befinden sich die Chromatics jedenfalls voll im Trend. Schließlich erleben die 1980er über Phänomene wie die Serie Stranger Things ein anhaltendes Revival. Die Band covert aus dieser Zeit On the Wall von The Jesus and Mary Chain als achtminütiges Epos, in dem der Rhythmus das Brufen gegen den Kater ins System pumpt.

Origineller beschädigt klingt aber Touch Red: Edel erschöpfte Illusionslosigkeit, Morgennebel – den ganzen Tag. Hauptsache in Bewegung bleiben und vor Sonnenaufgang ein Motel finden. Dann ein Drink. Und noch einer. Alles geht wieder von vorne los. (Karl Fluch, 7.10.2019)