"Wir sind gegen den Verfassungsartikel 1.3, der festhält, dass Kosovo sich nicht mit einem anderen Land vereinigen soll. Das erinnert mich an Breschnews Konzept der beschränkten Souveränität sozialistischer Staaten."

Das sagte vor einigen Jahren in einem Zeitungsinterview Albin Kurti, der Sieger der Parlamentswahlen im Kosovo. Der 44-jährige frühere Studentenführer und Widerstandskämpfer führt die großalbanische, nationalistische und EU-kritische Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung), die am Sonntag die stimmenstärkste Partei geworden ist.

Kurti organisierte in den letzten Jahren immer wieder gewaltsame Protestaktionen gegen die amtierenden Regierungen. Nicht sein legitimer Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption und Machtmissbrauch, sondern sein konsequent nationalistischer Kurs für eine Vereinigung Kosovos mit Albanien löst berechtigte Zweifel über die künftige Stabilität des jungen Staates und darüber hinaus der gesamten Region aus.

Vetëvendosje-Chef Albin Kurti.
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Dass eine Koalitionsregierung mit der zweitstärksten Partei, der von dem ersten Präsidenten, dem 2006 verstorbenen Ibrahim Rugova, gegründeten LDK (Demokratische Liga des Kosovo), gebildet werden soll und dass Kurti in letzter Zeit seine großalbanische aggressive Rhetorik gemäßigt hat, kann die Sorge wegen des Wiederauflebens der "albanischen Frage" nicht aus der Welt schaffen.

Grenzüberschreitende Korruption

Trotz der ethnischen und sprachlichen Vielfalt der in vier Balkanstaaten (fast drei Millionen in Albanien, 1,6 Millionen im Kosovo, über 500.000 in Mazedonien, 30.000 in Montenegro) und auf insgesamt fast 1,5 Millionen geschätzten in Diasporagemeinschaften, unter anderem in Griechenland, Italien und der Schweiz, lebenden Albaner bleibt der Traum von einem Großalbanien nicht zuletzt infolge der Kommunikationsrevolution ein oft übersehener politischer und emotionaler Faktor. Man darf in diesem Zusammenhang auch die panalbanisch geprägten gelegentlichen Wortspenden des albanischen Präsidenten Edi Ramas nicht übersehen.

Die Souveränität des Kosovo ist durch den Einfluss der Europäischen Union und der Uno sowie durch die teilweise Abspaltung der Nordregion um Mitrovica eingeschränkt. Der eingefrorene Konflikt zwischen der 2009 zur unabhängigen Republik ausgerufenen einstigen serbischen Provinz und dem früheren Hegemoniestaat Serbien kann jederzeit Zusammenstöße auslösen. Die Dynamik der grenzüberschreitenden Korruption und des Klientelismus bis in höchste Ämter von Prishtina und Tirana bis Belgrad und Skopje hat den Übergang von Diktatur und Krieg zu Demokratie und Marktwirtschaft massiv beschädigt. Ein politischer Aufbruch im Zeichen des Generationswechsels könnte über den Kosovo hinaus eine positive Veränderung der schwachen Demokratien bewirken. Der Erfolg der LDK-Spitzenkandidatin ist ein symbolträchtiges Zeichen gegen die patriarchalisch geprägten albanischen Gesellschaften.

Dass die durch das Brexit-Drama gelähmte EU und die durch Sprunghaftigkeit diskreditierte US-Administration nicht mehr als Stabilitätsanker auf dem Balkan wirken, verleiht dem Sieg der großalbanischen Nationalisten jedenfalls eine besondere Brisanz. (Paul Lendvai, 7.10.2019)