Der 1982 an die Macht gekommene Präsident Paul Biya stößt im Westen Kameruns auf große Ablehnung.

Foto: Johannes Dieterich

Rose Obah (links) mit ihrem Hausmädchen Marvel: "Wie zwischen Hammer und Nagel."

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Kurz nach Mbouda verwandelt sich die Asphaltstraße in eine Schotterpiste mit Schlaglöchern so groß wie Badewannen – sie verbindet die Halbmillionenstadt Bamenda mit dem Rest Kameruns. Am Wegrand ausgebrannte Fahrzeugwracks, dann wird es dunkel. Auch Roselinde Obahs Gesichtsausdruck verfinstert sich: Die 35-jährige Journalistin wagt sich zum ersten Mal seit Wochen wieder in ihre Heimatstadt, wo die Ambasonische Befreiungsfront im August ein Todesurteil über sie verhängte. Ihr Vergehen: Rose hatte Kollegen zu einem "Friedensworkshop" eingeladen.

Frieden gibt es im Westen Kameruns schon seit Jahren nicht mehr – und soll es nach Auffassung der Befreiungskämpfer auch so lange nicht geben, bis die beiden englischsprachigen Provinzen des frankophonen Staats ihre Unabhängigkeit erhalten. Der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt im Herzen Afrikas eskalierte in den vergangenen drei Jahren zu einem Bürgerkrieg: Die anglophone Minderheit – rund 20 Prozent der Bevölkerung – fühlt sich von der frankophonen Mehrheit schikaniert und an den Rand gedrängt. Ihre "angelsächsische Kultur" werde ausradiert, heißt es: Mitunter ist sogar von einem "Genozid" die Rede.

Mehr als 3.000 Menschen fielen dem Konflikt bereits zum Opfer, mindestens 500.000 Bewohner der beiden englischsprachigen Provinzen Südwest und Nordwest haben ihr Zuhause verloren.

"Hier ist Ground Zero"

Der Guerillakrieg anglophoner Rebellen gegen die frankophonen Sicherheitskräfte wird im Rest der Welt so gut wie gar nicht wahrgenommen: Dass sich Afrikaner um den Erhalt ihrer von den Kolonialisten aufgezwungenen Sprache und Kultur streiten, klingt absurd. Hinzu kommt, dass die Regierung keine ausländischen Reporter in die Unruheregion lässt.

"Hier ist Ground Zero." Rose zeigt auf das im Tal auftauchende Lichtermeer: Bamenda. Auf den holprigen Staubstraßen drängeln sich Autos, Motorräder und gepanzerte Armeefahrzeuge, daneben Berge von Müll. Auch die Rebellen sind da, selbst wenn sie sich oft nicht zu erkennen geben: "Sie sind mitten unter uns", sagt Rose. Vor wenigen Wochen fand sie sich auf einem Motorrad eines Amba-Boy wieder: Sie hatte eines der zweirädrigen Taxis angehalten und verblüfft festgestellt, dass der Fahrer selbst bei Dunkelheit ohne Licht fuhr. "Wir kennen hier jedes Schlagloch", soll der junge Rebell erwidert haben: "Wir wissen auch, wo du wohnst und wann du normalerweise nach Hause kommst."

Auch Soldaten seien in Bamenda oft in Zivil unterwegs, fährt Rose fort: einerseits, weil sie Angst vor einem Hinterhalt hätten; andererseits, weil sie auf diese Weise überraschend zuschlagen könnten. Schon mancher prominente Aufständische wurde auf diese Weise aufgegriffen und ins Gefängnis geworfen: zuletzt Abdul Karim, ein muslimischer Gelehrter. Rose gibt die Parole aus: niemals zu lange an einem Ort verweilen, immer unterschiedliche Routen fahren.

Roses Mann, ein Englischlehrer, geht schon seit drei Jahren nicht mehr zur Arbeit: Wie 90 Prozent aller Bildungseinrichtungen im anglophonen Kamerun wurde seine Schule geschlossen. Weil er die beiden Kinder in einem katholischen Internat in Bamenda untergebracht hat, bekam er es jüngst mit den Amba-Boys zu tun. Sie belegten ihn mit einer Strafe von umgerechnet 60 Euro, die er den Rebellen via Mobiltelefon zu überweisen hatte.

Roses Hausmädchen, die 15-jährige Marvel, wurde im April von Rebellen entführt. Zwei Amba-Boys hatten sie auf der Straße auf ihr Motorrad gezerrt und in ein Dorf verschleppt. Dort machte sich einer der Kämpfer über das Mädchen her: Sein Genosse hatte Mitleid mit Marvel und brachte sie wieder nach Hause zurück. "Wir wissen nicht mehr, wer eigentlich unser Gegner ist", sagt Rose, "wir fühlen uns wie zwischen Hammer und Nagel."

Die über Jahrzehnte aufgestaute Unzufriedenheit der anglophonen Kameruner hatte sich 2016 in einer zunächst friedlichen Protestwelle entladen. Erst gingen die Anwälte auf die Straße: Sie prangerten die Praxis der Zentralregierung an, immer mehr frankophone Richter in die Westprovinzen zu schicken, die vom britischen "Common Law" keine Ahnung hatten. Der Empörung der Anwälte folgte der Protest der Lehrer, die sich über die zunehmende Entsendung frankophoner Lehrer in die englischsprachigen Provinzen beklagten.

Noch keiner der Präsidenten Kameruns habe jemals eine Rede auf Englisch gehalten, sagt Rose: Im derzeitigen Kabinett säßen lediglich zwei anglophone Minister. Alle großen Staatsbetriebe würden von französischsprachigen Managern geführt, in der Hochschule für Staatsdiener in der Hauptstadt Yaoundé seien unter 1.200 Anwärtern lediglich 44 anglophone eingeschrieben.

Kleine Zugeständnisse

Die Protestwelle legte die beiden Westprovinzen lahm: Gerichte, Schulen und Läden blieben geschlossen, die Wirtschaft des 24-Millionen-Staats ging in die Knie.

Die Regierung des seit 37 Jahren herrschenden Präsidenten Paul Biya erklärte sich schließlich zu kleineren Zugeständnissen bereit, ließ jedoch gleichzeitig die Mobilfunk- und Internetverbindungen im Westen kappen und entsandte die Armee. Zahlreiche Protestführer wurden verhaftet und vor Gericht gestellt, Soldaten machten in den Westprovinzen mehr als 150 Dörfer platt. Die unnachgiebige Reaktion des 86-jährigen Präsidenten löste eine drastische Radikalisierung auf der Gegenseite aus: Statt von Protest war nun vom Krieg die Rede, statt von Autonomie von Unabhängigkeit. Am 1. Oktober 2017 riefen die Sezessionisten die Republik Ambazonia aus.

Als die vormals deutschen, dann französischen und britischen Kolonialgebiete 1961 unabhängig werden sollten, durfte die Bevölkerung des britisch beherrschten Teils entscheiden, ob sie lieber zum anglophonen Nachbarn Nigeria oder dem frankophonen Kamerun gehören wolle: Die Mehrheit war für Kamerun – unter der Voraussetzung, dass die beiden Landesteile des von mehr als 250 Ethnien bewohnten Vielvölkerstaats eine Föderation eingingen. Der Westen durfte sein britisch geprägtes Gemeinwesen mit eigenem Rechts- und Schulsystem behalten.

Das ging so lange gut, bis Präsident Biya 1982 an die Macht kam und mit einem Federstrich den föderalen Status beendete. Der Autokrat wollte die Assimilation erzwingen, und die "Bundesrepublik Kamerun" wurde zur Republik erklärt. Biya habe das "gentleman agreement" willkürlich gebrochen, das 1961 zur Wiedervereinigung Kameruns geführt hatte, meint der in Südafrika im Exil lebende Derric Yuh: "Deshalb holen wir uns jetzt unsere Unabhängigkeit zurück." Wie viele Diaspora-Kameruner ist er radikaler als seine Landsleute zu Hause: Wenn sie nicht im Gefängnis sitzen, halten sich die meisten Führer Ambasoniens in Südafrika, den USA oder Großbritannien auf.

Widerstand aus dem Exil heraus

Dort sammeln sie Geld für die Bewaffnung der Befreiungskämpfer, rufen den Schulboykott aus oder legen die Termine für die oft tagelang anhaltenden Ausgangssperren, fest. Yuh, der der Interimsregierung Ambasoniens angehört, will mit der Regierung in Yaoundé höchstens dann Gespräche führen, wenn diese auf neutralem Boden und unter Vermittlung der UN stattfänden. Andernfalls würde die Abspaltung der Westprovinzen eben mit Waffengewalt durchgesetzt.

Rose mag solche Töne nicht. "Die Diaspora setzt in Kamerun einen Schulboykott durch, während sie ihre eigenen Kinder in den Exilländern weiter zur Schule schicken", klagt die Radiojournalistin: "Wir haben hier auszubaden, was sie in der Ferne entscheiden." Unterdessen schießen in den Westprovinzen immer neue Rebellengrüppchen aus dem Boden: Oft ist unklar, ob es ihnen tatsächlich um die Befreiung des Landes oder nur um die Ausplünderung der Bevölkerung und um Schutzgelderpressung geht. Gerüchten zufolge organisiert die Regierung in Yaoundé ihre eigenen Milizen- oder Gangstergruppen, um das Chaos perfekt zu machen.

Roses Kollege Raymond Dingona bringt für die Amba-Boys durchaus Sympathie auf, auch wenn er deren Forderung nach Unabhängigkeit – wie viele Westkameruner – nicht teilt. "Schau dir an, was mit anderen afrikanischen Staaten passierte, die sich abgespalten haben: Sowohl in Eritrea wie auch im Südsudan hat das nur zu neuen Kriegen und noch mehr Elend geführt."

Angeblicher Hochverrat

Um der zunehmenden Eskalation etwas entgegenzusetzen, veranstaltet Rose regelmäßig Seminare, die jungen Reportern den "Friedensjournalismus" nahebringen sollen – eine Berichterstattung, die nicht Hass schürt, sondern zur Verständigung beiträgt. Die Kommandanten der Amba-Boys sahen das als Hochverrat: Auf Facebook wurde Roses Hinrichtung angekündigt. Ein presbyterianischer Pfarrer erreichte, dass das Todesurteil in eine Geldstrafe verwandelt wurde. Als Strafmaß legte der Rebellengeneral zwei Munitionskisten im Gegenwert von 150 Euro, zwei Flaschen Whiskey und ein Datenpaket über ein Gigabyte fest.

Es wird Zeit, Bamenda zu verlassen. Morgen soll nach Anordnung der Separatisten eine "Ghost Town" beginnen: fünf Tage Streik, an denen auf den Straßen der Westprovinzen außer den Panzerwagen der Armee kein Fahrzeug und kein Mensch zu sehen sein wird. Die Bevölkerung wird sich verschanzen. Anlass dieses Generalstreiks ist der "Nationale Dialog", zu dem die Regierung in die Hauptstadt einlud: Eine Wiederherstellung der Föderation oder gar die Unabhängigkeit Ambasoniens stehen nicht zur Debatte. Weil auch ihrer Forderung nach einer Freilassung aller politischen Gefangenen nicht entsprochen wurde, schlossen die Sezessionisten eine Beteiligung an dem Palaver von vornherein aus.

Busse, die am Morgen die Stadt verlassen hatten, müssen umdrehen: Nach einem Zusammenstoß mit den Amba-Boys hat das Militär die holprige Straße blockiert. Angesichts der Aussicht auf fünf Tage Ghost Town vertiefen sich die Falten nicht nur auf Roses Stirn: Es gibt zweifellos attraktivere Orte für eine fünftägige Zwangsrast. Am Nachmittag bietet sich doch noch die Möglichkeit zum raschen Aufbruch: Zurück bleiben vier Millionen Westkameruner, deren Schicksal jenseits von Mbouda kaum jemanden interessiert. (Johannes Dieterich, 8.10.2019)