Foto: St. Martin's Press

Anschnallen, bitte! "Empress of Forever" zu lesen fühlt sich ungefähr so an, als wäre man in eine Waschmaschine gestopft worden und hätte ein paar Schleudergänge absolviert – und ich lasse das mal als neutrale Wertung stehen. Nüchterner ausgedrückt handelt es sich um eine Mischung aus Space Opera und Portal Fantasy, die die Grenzen zwischen den Genres nicht verwischt, sondern in den Häcksler stürzt. Noch nüchterner ließe sich festhalten, dass US-Autor Max Gladstone ("The Craft Sequence") aus der Fantasy kommt und deren Plots und Motive nun auf einen SF-Hintergrund überträgt.

Portal Fantasy ist jenes Subgenre, in dem jemand durch irgendeine Art von Tor oder Effekt aus unserer stinknormalen Welt in eine fantastische befördert wird. Das widerfährt hier der Unternehmerin Vivian Liao, die sich gerade anschickt, die Welt zu retten (mehr dazu später), als sie einer jadegrün schimmernden Frauengestalt begegnet und von ihr in eine gelinde gesagt fremde Umgebung geschleudert wird. Ab jetzt befinden wir uns in den Weiten der Galaxis und vermutlich in der fernen Zukunft.

Der Hintergrund

An dieser Stelle setze ich ein paar Orientierungsbojen aus, damit man sich wenigstens ein annäherndes Bild machen kann. Das wohl wichtigste Element des Romans ist die Cloud. Dabei handelt es sich um eine Art virtuelle Spiegelung der physischen Galaxis und zugleich um einen phantasmagorischen Lebensraum, in dem es vor post- und transhumanen Existenzen (respektive "Göttern") nur so wimmelt. Die Cloud ist deshalb so zentral und im Prinzip eine geniale Idee, weil sie ungefähr alles ermöglicht – praktischerweise auch Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit, indem man seine "Seele" an den Zielort versetzt und sich dort einen neuen Körper konstruieren lässt. Und die beiden Galaxien stehen in keiner Hierarchie zueinander: Die virtuelle Welt ist kein passives Produkt der physischen und damit von ihr abhängig – im Umweg über Nanomaschinen und sonstige "smart matter" kann sie ihrerseits die Realität umgestalten.

Was den politischen Hintergrund betrifft, so steht die Milchstraße ganz im Bann der titelgebenden Empress (die Frau in Grün war eine ihrer Manifestationen). Diese offenbar allmächtige Kaiserin duldet keinerlei Opposition und löscht ganze Welten aus, wenn es ihr gerade in den Kram passt. Allerdings tut sie das nicht allein aus Ruchlosigkeit, sondern weil das gesamte intelligente Leben von einem kollektiv Bleed genannten Phänomen bedroht wird. In einer Passage wird uns dieses als riesige Münder beschrieben, die im Weltraum aufklaffen und ganze Sektoren der Galaxis verschlingen (ob virtuell oder physisch oder beides, wird nicht so ganz klar – eine Schwammigkeit, die für "Empress of Forever" nebenbei bemerkt typisch ist). Da diese Bleed vom technologischen Leuchtfeuer avancierter Zivilisationen angelockt werden, löscht die Kaiserin aufstrebende Welten lieber gleich selbst aus. Der ultimative Pragmatismus.

Der Plot

Vivians ursprüngliche Mission – irgendwie einen Weg nach Hause zurückfinden – mutiert im Verlauf des Romans schleichend zum Vorhaben, die skrupellose Kaiserin zu stürzen. Und wie es sich für eine Fantasy-Queste gehört, muss die Hauptfigur dafür erst mal ein Fähnlein von Gefährten um sich scharen. Das wären: Hong, Angehöriger eines Ordens von Kampfmönchen. Zanj, eine sarkastisch veranlagte Katzenfrau, die selbst über quasi-göttliche Macht verfügt und von der Kaiserin einige Jahrtausende lang im Inneren eines Sterns gefangen gehalten wurde. Die Pilotin Xiara, die zu Vivians Love Interest wird. Und schließlich Gray, ein allesfressendes Geschöpf mit der Fähigkeit, seine Gestalt zu wandeln.

Zu "Empress of Forever" gibt es jede Menge Blurbs, und in denen werden Vergleiche mit Hannu Rajaniemi ebenso gezogen wie mit Iain Banks oder William Gibson. Bisschen hoch gegriffen, scheint mir – und zu sehr auf die schimmernde Oberfläche bezogen. Vom Ablauf her hat mich das Ganze eher an eine Space Opera von Andreas Brandhorst erinnert. Soll heißen: Dauerentertainment. Jedes Kapitel bietet eine Actionsequenz, ob Kampf oder Verfolgung. Wir werden von einem atemberaubend designten Schauplatz zur nächsten Attraktion gekarrt und staunen angemessen; die eigentliche Handlung schreitet hingegen nur äußerst langsam voran.

Hilfe, wo bin ich?

She was the heart of a ship the size of a universe, sinewed by neutronium, smelting data in the stellar forges of its mind, one unified sprawling being humming mad music to itself, working calculations in the death of worlds. Klingt toll. Ähm, aber was heißt es konkret? Und wie habe ich mir diese Eindrücke vorzustellen: For me, the palace was a flower blooming on all axes at once through time, writing and rewriting itself, bubbles of memory and purpose forming to split and splitting to form. Ich kann mir gut vorstellen, wo die Vergleiche mit Hannu Rajaniemi herkommen. Bei dessen quantenmagischen Wortkaskaden hatte ich allerdings stets den Eindruck, dass wenigstens er sie versteht und – mathematischer Physiker, der er ist – auf ein naturwissenschaftliches Fundament zurückführen könnte. Bei Gladstone scheint mir das meiste Schall und Rauch zu sein.

Was mich beim Lesen zudem irritiert hat, ist der Umstand, dass nicht nur Realität und Virtualität fließend ineinander übergehen, sondern auch Makro- und Mesoebene. Wir kennen das aus der Mythologie: Thor säuft beinahe den ganzen Ozean aus, weil er nicht bemerkt, dass sein Trinkhorn in Wahrheit eine Pipeline ist. Athene wirft Enkelados die Insel Sizilien auf den Kopf. Hanuman springt in den Himmel, um die Sonne zu pflücken, die er für eine Frucht hält. Ganz genauso läuft es auch in "Empress of Forever" ab, und immer wieder musste ich mir die Frage stellen: In welcher Größenordnung spielt sich das, was mir gerade beschrieben wird, eigentlich ab? Wenn ein Raumschiff wie eine Handtasche getragen wird oder erwähnt wird, dass Zanj mal eben einen Planeten entführt hat, dann wüsste ich irgendwie schon ganz gerne, wie das zugegangen sein soll. Darum: Fantasy, nicht Science Fiction.

Die Sache mit Vivian

Ein anderer Kritikpunkt – und mit Blick auf Goodreads für einige Leser ein Abturnfaktor – ist die Hauptfigur. Vivian Liao präsentiert sich uns in den Anfangskapiteln nicht nur als geniale Technik-Visionärin, sondern auch als Philanthropin, die notleidenden Menschen so effektiv hilft, dass sie die Mächtigen der Welt blöd dastehen lässt und dadurch verärgert. Und damit noch nicht genug der Kompetenzen: Auf der Flucht vor ihren – nebulos bleibenden – Feinden geht sie mit der Professionalität einer Geheimagentin vor, und eine begnadete Hackerin ist sie offenbar auch noch. Die Vivian, die kann's eben.

Später wird sie wirklich jeder einzelnen galaktischen Entität sofort Respekt abringen, wie es nur eine geborene Führerfigur schafft. Was ziemlich lächerlich ist, wenn man sie beispielsweise einem vieltausendjährigen Wesen mit göttergleicher Macht wie Zanj gegenüberstellt. Doch alle verneigen sich vor Vivian. Max Gladstone beschert uns damit letztlich eine Hauptfigur, wie man sie seit den universal talentierten (männlichen) Pulp-Helden der 30er Jahre nicht mehr gesehen hat.

Teilrehabilitierung

Angesichts Vivians staunenswerter Fähigkeiten kommt man um den Begriff Mary Sue (Sinnbild für eine idealisierte Hauptfigur) leider nicht herum. Etwas anders verhält es sich mit ihrem monomanischen Charakter, der mich zunächst noch viel mehr abgeschreckt hat. Halb Elon Musk, halb Daenerys Targaryen, weiß Vivian nämlich stets, was richtig ist, und würde auch vor Atombombeneinsatz nicht zurückschrecken, um es durchzusetzen. She just wanted to crush her enemies, and save the world. Immerhin ist sie gerade dabei, das Internet zu übernehmen, als die Kaiserin sie – danke!!! – aus unserer Welt reißt.

Was diesen Punkt betrifft, muss man den Roman allerdings fertig gelesen haben, um ihm gerecht zu werden. Genau genommen ist es sogar sein Dreh- und Angelpunkt, und Vivians charakterliche Entwicklung wird mit einem Twist verbunden sein. Auch wenn man diesen Twist schon über eine Entfernung von einigen tausend Lichtjahren kommen sieht ... mal ganz davon abgesehen, dass er am Anfang sogar einmal explizit ausgesprochen wird.

"Empress of Forever" scheidet die Geister. Die einen sind von seinem Ideen- und Bilderreichtum überwältigt (kann ich gut verstehen), andere haben die Lektüre entnervt aufgegeben (auch das kann ich niemandem verdenken). Bei mir hat sich nach einiger Zeit schlicht ein Gefühl der Übersättigung eingestellt, und ich war ehrlich gesagt erleichtert, als ich den Wälzer endlich durchhatte. Wer es dennoch probieren will, sollte sich für eine Woche nichts anderes vornehmen.