Cher in Wien: "Ich bin 73. Und was macht eure Großmutter heute Abend?"

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Winke, winke, Gekreisch. Der Vorhang war noch zu, da lugte eine neugierige blaue Perücke seitlich daraus hervor, das Gesicht darunter grinste ein bekanntes Lächeln. Cher war gelandet. Dasselbe wiederholte sich eine Minute später auf der anderen Seite des Bühne. Beides heizte die Halle mehr an als Vorgruppe und der DJ-Darsteller mit seinem Animationsprogramm zusammen. Doch beide waren vergessen, als Cher schließlich unter dem heftigen Empfängnisgetöse der Disco-House-Wumme "Woman's World" die Bühne betrat. Sie sah aus wie eine Mischung aus Kleopatra und Königspudel, was sie kurz darauf so kommentierte: "How do you like my natural blue hair?"

Cher also. Sängerin, Schauspielerin, Diva, Naturlässige, Grenzgängerin, Feministin, bunter Vogel, Idol. Da stand sie am Montag in der Stadthalle und machte nach zwei Liedern gleich einmal eine Pause, um etwas zu erzählen. Nämlich über ihren 40. Geburtstag, und wie sie damals von welchem Regisseur welche Absage erhalten hatte, weil sie angeblich zu alt für eine Rolle und nicht mehr sexy genug gewesen sei. Tränen seien gekullert, das volle Programm, doch die Geschichte erwies sich als Mission-Statement: Sch... – pfeift drauf, was die anderen sagen, lasst euch nicht von anderen kleinmachen. Und über ihr Alter? Da stand sie langbeinig, den Disco-Popo zur Hälfte im Freien, und sagte: "Ich bin 73. Und was macht eure Großmutter heute Abend?" Gekreisch.

Love Parade und Personale

Dann ging die Show weiter. Die war eine Mischung aus Love Parade und Personale, die die als Cherilyn Sarkisian in Kalifornien geborene Ausnahmeerscheinung als bunte Revue aufführte. Zurück zu ihren Anfängen ging sie mit zwei Songs aus ihrer Zeit mit (ihrem Ex-Mann) Sonny Bono, als sie mit ihm das Folk-Pop-Duo Sonny & Cher bildete: "The Beat Goes On" und "I Got You Babe" bot sie im bunten Sixties-Outfit dar, wobei sie meinte, sie sei sich nicht sicher gewesen, ob sie "I Got You Babe" wirklich singen sollte — oder erst auf ihrer nächsten Abschiedstour.

Es folgte ein weiterer Kostüm- und Perückenwechsel, zurück kam Cher, um zart dominant angetan den Song "Burlesque" aufzuführen. Tänzerinnen und knackige Tanzbuben schwebten um sie herum und glänzten im schwierigen Fach der Trockenbegattung.

Eine Metamorphose später kam sie als blondiertes Abba-Girl aus der Maske und schmetterte "Waterloo", "SOS" und "Fernando" in die ausverkaufte Halle, die sich da längst erhoben hatte und zustimmend die Hüften kreisen ließ. Während Cher sich wieder einmal verwandelte, überbrückten Zuspieler über die Videowalls die Zeit. Filmausschnitte aus diversen Karriere- und Lebensstationen, ihre Danksagung bei der Oscar-Empfängnis, Kindheitsfotos, alte Auftritte. Dann bog sie nach Memphis ab.

Abstecher ins Heartbreak Hotel

Sie checkte in Elvis Presleys "Heartbreak Hotel" ein und ließ mit Betty Everetts "Shoop Shoop Song" die Unschuld der frühen Sixties wiederauferstehen. Alles perfekt und doch mit der natürlichen Nonchalance, die Cher von den Hupfdohlen jüngerer Zeit wohltuend unterscheidet.

Leider endete der Auftritt eher grässlich mit Heimsuchungen aus Chers musikalisch schwierigster Zeit Ende der 1980er: Michael Boltons klobigem "I Found Someone" und dem genauso verrockten "If I Could Turn Back Time" — könnte sie die Zeit zurückdrehen, sollte sie nicht vergessen, diese beiden Titel nicht aufzunehmen.

Dann hieß es schon wieder winke, winke, dieses Mal zum Abschied. Pflichtschuldig kam die Gute für das missionarische "Believe" noch einmal zurück, dann war der letzte Wien-Auftritt von Cher zu Ende. Bis zur nächsten Abschiedstour. (Karl Fluch, 8.10.2019)