Hatten Sie schon einmal ein totes Kind in Ihrer Gefriertruhe? Pia Klemp schon. Die 1983 Geborene war Kapitänin auf den Seerettungsschiffen Juventa und Sea-Watch 3 im Mittelmeer. Dem kleinen Kind konnte nicht mehr geholfen werden, die junge Mutter hat überlebt und war an Bord des Rettungsschiffes. Es war der pure Horror.

Foto: Verlag Maro

Pia Klemp hat gemeinsam mit ihren aus Hippies, Punks und Anarchos zusammengestellten Crews eintausend oder mehr Menschen im Mittelmeer vor dem Tod durch Ertrinken bewahrt. Dafür ermittelt der Staat Italien derzeit gegen sie; ihr droht eine Haftstrafe. Um nicht in die Fänge der italienischen Behörden zu gelangen, fährt sie aktuell keine Rettungseinsätze und hatte Zeit, einen Roman zu schreiben. Es ist ein raubeiniger Text, wie das Leben auf einem Boot mit bunt zusammengewürfelter Crew eben so ist. Die Seefrau berichtet von vollgekotzten, verstopften Waschbecken ebenso wie von lauwarmem Dosenbier im Maschinenraum und Sex an Bord.

Trotz aller für Binnenlandbewohner auch humorvoll klingenden Betrachtungen des Lebens auf See: "Lass uns mit den Toten tanzen" ist in erster Linie ein politisches Buch. Die Erzählungen von Menschen, die in letzter Verzweiflung aus den KZ-ähnlichen Lagern in Libyen in winzigen Nussschalen aufs offene Meer flüchten, ihre Rettung oder aber ihren Tod vor den Augen der Helfer und Helferinnen, gehen unter die Haut. Klemp erzählt auch vom Hass, der den Rettern in Europa entgegenschlägt, von den Bespitzelungen durch den italienischen Geheimdienst und der Beschlagnahme der Juventa 2017.

Vermutlich werden die wenigsten Leser und Leserinnen alles teilen können, was Klemp als Aktivistin inhaltlich vertritt. Aber darum geht es auch nicht. In erster Linie entlarven Klemps Berichte das Gerede von den europäischen Werten als inhaltsleere Floskeln einer zutiefst inhumanen, rassistisch geprägten Politik – mehr als es sterile Fernsehbilder je könnten. (Thomas Neuhold, 8.10.2019)