Was im Restaurant auf den Tisch kommt, ist das eine. Worauf man beim Essen sitzt, das andere. Wiener Gastronomen und Köche erzählen, warum der Stuhl im Gasthaus eine so wichtige Rolle spielt.

Ein Stuhl wie Cary Grant – elegant und doch mit Pep.
Foto: Nathan Murrell

Wir haben erst seit kurzem neue Stühle in unserem Restaurant Filippou. Das Projekt gestaltete sich unglaublich spannend, es war ein bisschen, als würden wir ein Kind bekommen. Mit der Idee neuer Sitzmöbel gingen wir schon länger schwanger. Auf einer Party haben wird dann den Wiener Designer Martin Mostböck kennengelernt, der gleich Feuer und Flamme war, als wir ihm davon erzählten. Wir wollten die Sache sehr sensibel angehen, etwas Eigenes kreieren und nichts von der Stange kaufen, auch wenn es großartige Entwürfe gibt.

"Das Problem mit dem BH haben wir auch gelöst."

Mostböck kam also zum Essen in unser Restaurant, und als er nach dem Mahl die Serviette auf den Tisch legte, meinte er nur: "Ui, jetzt hab ich Angst." Durch unser Essen, durch unsere Arbeit, unsere Art des Anrichtens hat er erst die Herausforderung erkannt, die auf ihn zukam. Die Angst hat sich gelohnt. Wir wollten etwas Reduziertes, Komfortables, etwas Detailverliebtes. Herausgekommen ist etwas Eckiges mit dezenten Rundungen, etwas Japanisch-Reduziertes und gleichzeitig eine Hommage an die Wiener Moderne. Schließlich sind wir Nachbarn der Postsparkasse von Otto Wagner.

Teil des Briefings war auch zu erwähnen, dass ein international herumgekommener Gourmet erkennen soll, dass der Stuhl dasselbe Niveau haben soll wie unser Essen, die Getränke und die Menschen, die hier arbeiten. Der Sessel ist ein wichtiges Puzzleteil des großen Ganzen. Der Stuhl sollte – so unschön das Wort klingt – nach Fine Dining genauso aussehen wie nach Bistro. Nach Niveau ohne Opulenz. Nach Schlichtheit und wow.

Nervensäge

Für den ersten Entwurf brauchte Mostböck drei Wochen, dann begannen einige Wochen des Tüftelns. Ich bin in meiner Nachdenklichkeit, meiner Design- und Detailverliebtheit manchmal ein richtiger Projektverzögerer. Eine Nervensäge. Wie auch immer: Unsere gesamte Belegschaft ist probegesessen, und wir haben ihr Feedback eingesammelt. Es ging um Höhe und Sitztiefe, und auch das Problem mit dem BH haben wir gelöst.

Der erste Prototyp hatte nämlich keine Polsterung unter dem Lederbezug der Lehne. Dadurch haben dort die Verschlüsse der BHs gerubbelt. Von besagter Party, auf der wir den Designer kennenlernten, bis zur Auslieferung der 45 Stück vergingen sieben Monate. Ich kann mich erinnern, wie ich zum Produzenten Braun Lockenhaus ins Burgenland fuhr und den Handwerkern über die Schulter schaute.

Es war unglaublich aufregend. Schließlich wurden wir zu Mitdesignern. Ich finde das geil. Klar waren wir nervös, wie das Möbel bei den Gästen ankommen würde, schließlich soll uns der Stuhl mindestens die nächsten 20 Jahre begleiten. Das ist ja fast schon eine halbe Life-Time-Entscheidung.

Wir sind sehr happy, der Sessel macht den Raum klarer und luftiger. Das mit dem Feedback seitens der Kunden ist eine eigenartige Geschichte. Manche haben gesagt: "Wow, da habt ihr euch wirklich etwas angetan!", andere fühlen sich insgesamt wohler, wissen aber gar nicht, woran das liegt, und können die Veränderung nicht dem Objekt selbst zuordnen. Wir haben zum Beispiel auch massiv die Toiletten umgebaut. Das hat kaum jemand gemerkt. Fazit: Dieser Sessel spielt im Gastraum die wichtigste Rolle, er muss alle Stückln spielen können. Ein Gast verbringt bis zu fünf Stunden auf ihm, eine Zeit, die sich in verschiedene Dramaturgien unterteilt, von formell bis relaxed. (Michael Hausenblas. Rondo, 11.10.2019)